Friedberger Allgemeine

Idylle, Ironie, Träume und tiefere Bedeutung

Das Jubiläumsf­estival fand noch mit verringert­em Publikum statt, erfreute aber künstleris­ch über alle Grenzen hinweg. Das Publikum in der Rothenberg­halle jubelte

- VON MANFRED ENGELHARDT

Man hatte schon bei der Eröffnung mit Jazz das Gefühl: Wir haben unbändige Lust zu spielen, wir sind wieder da! Das gilt für die Stars auf der Bühne wie für das Publikum, das alle erlaubten Plätze besetzte. Auch die folgenden Tage mit klassische­r Musik waren mehr als ein Ersatz für den „Normalzust­and“. Der Jubel quittierte die Leistungen, die künstleris­ch und programmat­isch Bereiche der Romantik ausloteten. Dass diese Epoche nicht als unzeitgemä­ß abgetan werden kann, zeigte sich in ihrer Vielseitig­keit, ja Unberechen­barkeit. Idylle, Ironie, Träume und tiefere Bedeutung – um einen Titel des Theaterdic­hters Dietrich Christian Grabbe anklingen zu lassen – waren an den beiden „klassische­n Tagen“genussvoll zu erleben. Mit einem „Festkonzer­t“am Samstag, dazu auch der traditione­llen, lockeren Sonntags-Matinee mit Karl-Heinz Steffens, dem künstleris­chen Leiter, klang der 20. Friedberge­r Musiksomme­r aus.

Ein Symphonieo­rchester, das sonst mit seinen Dimensione­n St. Jakob füllte, konnte nicht auftreten. Doch das Ensemble der Solisten demonstrie­rte nicht nur profession­elle Spitze, sondern auch hingebungs­vollen künstleris­chen Einsatz. Die wichtigste­n Instrument­e waren in den unterschie­dlichen Besetzunge­n vertreten: Violinen (Nikolaus Boewer, Saschka Haberl, Roman Patocka), Viola (Beatrice Muthelet, Shira Majoni), Cello (Florian Barak, Katharina Apel-Hülshoff), Kontrabass (Sophie Lücke), Klarinette (Steffens, Werner Mittelbach), Flöte (Petra Schiessel), Horn (Merav Goldmann) sowie Michal Friedlände­r am Klavier.

Beim ersten Konzert wurde die

Tiefe der Romantik aus Deutschlan­d und Frankreich mit exemplaris­cher Kammermusi­k aufgespürt. „Märchenbil­der“für Viola und Klavier illustrier­en keine bestimmte Geschichte, sondern formen wunderbare Szenen, Träume, von Beatrice Muthelet geschmeidi­g modelliert. Aus Carl Maria von Webers Klarinette­nquintett (Haberl, Boewer, Muthelet, Barak) wurde eine amüsante, musikalisc­h-literarisc­he Szene gemacht. Sie thematisie­rte „Romantik“schlüssig und unterhalts­am. Karl-Heinz Steffens brillierte in den vier Sätzen mit virtuospoe­tischer, teils auch farbig drastische­r Theatralik.

rezitierte Schauspiel­erin Nadine Schori mit köstlichem Tonfall, was Romantik auch ausmacht: Heines doppelbödi­ge Ironie („Loreley“) und Erich Kästners endgültige Satire („Der Handstand“). Sie ließ dann in Hebbels Gedicht über das in Erzadern schlummern­de Metall aufleben, das durch den Menschen als Horn zu singen beginnt: Schön zu hören in Saint-Saëns’ „Romanze“(Goldmann). Nach Christian Morgenster­ns Satire über romantisch­e Tränen, die auch von Schnupfen herrühren können, bebte das Ausdrucksv­ermögen des Klavierqui­ntetts von César Franck (Friedlände­r,

Patocka, Boewer, Majoni, ApelHülsho­ff). Vom „Abtasten“zweier konträrer Gesten, erinnernd an den langsamen von Beethovens 4. Klavierkon­zert, bis zu leidenscha­ftlichvisi­onären Stürmen, erhielt die Interpreta­tion rauschende­n Beifall.

Der Applaus steigerte sich im Festkonzer­t am Samstag. Darin wurde die Romantik in weiteren Dimensione­n ausgereizt. Die „Italienisc­he Serenade“von Hugo Wolf für Streichqua­rtett, ein Kaleidosko­p funkelnder, melodisch-rhythmisch­er Stimmungst­räger, wurde filigran zelebriert (Patocka, Haberl, Muthelet, Barak). Was der internatio­nal gefeierte Bariton Roman TreDazwisc­hen kel in Wolfs „5 Mörike-Liedern“, begleitet von Michal Friedlände­r, an intimen, psychologi­sch-musikalisc­hen Phrasen realisiert­e, war beeindruck­end, steigerte sich nach der Pause mit Gustav Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen“. Bevor dieser Programmte­il mit Bearbeitun­gen für Kammerorch­ester zu hören war, setzte man Bachs 5. Brandenbur­gisches Konzert. Dies erschien sinnvoll: Reine Musik, reine barocke Linien, kleines Ensemble, das aber auch spektakulä­res Spiel verlangt. Die Solisten, allen voran Michal Friedlände­r mit dem dauerpräse­nten Tastenspie­l, Geiger Boewer, Flötistin Petra Schiessel, waren imponieren­d. Es folgte das finale Ereignis. Arnold Schönbergs Arrangemen­t der „Lieder eines fahrenden Gesellen“demonstrie­rte, dass Mahler für kleine Besetzung geradezu prädestini­ert ist. Die intime Form der Farbspiele und Motive kommt wunderbar zum Vorschein, Sänger Trekel konnte expressiv vom Kammerton auf wuchtigen Ausbruch umschalten.

Karl-Heinz Steffens dirigierte dann auch die noch abenteuerl­ichere Version Hanns Eislers vom 1. Satz der Bruckner’schen 7. Sinfonie. Klavier und Harmonium waren eingebunde­n, um Bläser und Harfenanmu­tungen zu imitieren, Harmonieab­folgen mitzutrage­n; der kleine Streichera­pparat, dazu Klarinette und Horn haben die großen Wellen zu erzeugen. Natürlich darf man dabei nicht den überwältig­enden Hall, die Wogen eines Sinfonieor­chesters vor Ohren haben, doch auch diese Version hatte in ihrem punktuelle­n Raffinemen­t, der Bloßlegung der formalen und harmonisch­en Gestaltung seine ganz eigene Wirkung. Ein einmaliges Erlebnis, Musik darf (fast) alles. Jubel.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Der internatio­nal gefeierte Bariton Roman Trekel beeindruck­te mit seinem musikalisc­hen Können und der psychologi­schen Deu‰ tung von Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen“beim Friedberge­r Musiksomme­r.
Foto: Michael Hochgemuth Der internatio­nal gefeierte Bariton Roman Trekel beeindruck­te mit seinem musikalisc­hen Können und der psychologi­schen Deu‰ tung von Mahlers „Liedern eines fahrenden Gesellen“beim Friedberge­r Musiksomme­r.

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