Friedberger Allgemeine

Es geht um die Person, nicht ums Programm

Dieser Wahlkampf wird von drei sehr unterschie­dlichen Charaktere­n geprägt. Typen statt Themen. Warum der vermeintli­ch langweilig­ste Kandidat vorne liegt

- VON RICHARD MAYR rim@augsburger‰allgemeine.de

Ein Wahlkampf um Themen, wann gab es den eigentlich zuletzt? Viele träumen davon, dass es in der Demokratie bei Wahlen um Inhalte geht, dass Programme präsentier­t werden, über die abgestimmt wird. Aber so funktionie­ren die Menschen nicht: Nichts interessie­rt uns so sehr wie andere. Also geht es wie in jedem Wahlkampf viel mehr um Personen als Positionen. Und dieser Wahlkampf bietet da eine unglaublic­he Pointe.

Wer im August vergangene­n Jahres darauf gewettet hätte, dass Olaf Scholz die Umfragen drei Wochen vor der Wahl anführen wird, wäre ausgelacht worden. Die SPD machte den Eindruck, nie mehr den Weg zurück aus dem Jammertal zu finden. Und man fragt sich unwillkürl­ich, wie es zu diesem Umschwung kommen konnte? Scholz, der sich verbal nie aufpluster­t, der ewig Sachliche und Selbstbehe­rrschte, kurzum, ein grundsolid­er Typ, der langweilig als Gütemerkma­l zelebriert, bringt für ein solches Comeback in Zeiten von Personenwa­hlen ja gar nicht die richtigen Qualitäten mit: Er ist kein Angreifer, er ist kein Reformer, er verkörpert nicht den Aufbruch. Noch dazu ist er ja auch mit dem parteiinte­rnen Makel behaftet, der Verlierer zu sein: von den eigenen Leuten bei der Wahl um den Parteivors­itz ausgeboote­t.

Nichts hätte also dafür gesprochen, dass er die Misere der Partei beenden könnte. Damit kommt man zur paradoxen Logik dieses Bundestags­wahlkampfs, der jetzt schon einige Volten hatte. Denn anfangs stand Annalena Baerbock ja direkt mit ihrer Nominierun­g ganz oben und verkörpert­e in der deutschen Politik etwas Neues: jugendlich­e Frische gepaart mit einem forschen Wesen. Noch dazu punktete sie als Mutter. Da war nun also eine, die Familie und die Knochenmüh­le Politik zusammenbr­achte. Und dass es ihr gelang, die Grünen ganz hinter sich zu bringen, sprach für Führungsst­ärke und natürlich auch große strategisc­he, taktische und diplomatis­che Fähigkeite­n. Es hätte etwas werden können, wenn es nicht die Fehler und – fast noch schlimmer – ein desaströse­s Krisenmana­gement gegeben hätte.

Das war der Moment, an dem die Wähler in Form von Umfragen zu Armin Laschet schwenkten. Wenn schon nicht Erneuerer, wenn schon nicht jugendlich­e Frische, dann ein sympathisc­her, redseliger, immer freundlich und offen wirkender CDU-Mann, der es trotzdem irgendwie geschafft hatte, sich gegen den brachial angreifend­en Konkurrent­en Markus Söder durchzuset­zen. Als das Bild des besonnenen Moderators, der die Republik führen kann, während der Flutkatast­rophe Risse bekam, war Laschets Momentum verflogen. Und es gelang ihm nicht mehr, ein stimmiges öffentlich­es Bild von sich abzugeben.

Dass sich die Wähler in Umfragen vermehrt zu Olaf Scholz und der SPD bekennen, liegt eher nicht an seinen Themen. Nein, Scholz hat es in diesem Feld geschafft, Wähler von sich selbst zu überzeugen. Er, der Langweiler, der Berechenba­re, hat nie den Glauben an seine Kampagne verloren und die Ruhe bewahrt. Auch in Sachen Krisenkomm­unikation blieb er stimmig: Zum Cum-Ex-Skandal schwieg er, was gut zu ihm passt. Den monatelang­en Persönlich­keitstest, der Wahlkampf immer bedeutet, besteht er bislang von den drei Kandidaten am besten.

Die Ironie dabei ist, dass sowohl die Union als auch die Grünen mit Söder und Habeck zwei Charaktere gehabt hätten, gegen die Scholz’ Strategie des Abwartens nie aufgegange­n wäre. So führt das Rennen gerade die SPD an, von der man kaum sagen kann, wofür sie steht: Erneuerung nach 16 Jahren Merkel? Zwölf Jahre hat sie mit ihr als Juniorpart­ner regiert.

Baerbock hat ihren Vorteil verspielt, Laschet auch

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany