Friedberger Allgemeine

Mit Herz gegen Lukaschenk­o

Belarus Nach einem Geheimproz­ess werden die Opposition­ellen Maria Kolesnikow­a und Maxim Snak zu langjährig­er Lagerhaft verurteilt. Sie scheinen dennoch ungebroche­n

- VON ULRICH KRÖKEL

Minsk Maria Kolesnikow­a neigt den Kopf, lacht und formt mit den Fingern ein Herz. Erinnerung­en werden wach an den Sommer 2020, als die Musikerin in Minsk die Massenprot­este gegen Diktator Alexander Lukaschenk­o anführte. Als die Menschen in Belarus von Freiheit und Gerechtigk­eit träumten. Damals tanzte Kolesnikow­a vor den Reihen schwer bewaffnete­r Polizisten auf und ab.

Ein Jahr später bleibt ihr nichts anderes übrig, als das Herz zu zeigen. Eher deutet sie es an, denn sie ist mit Handschell­en gefesselt. Die 39-Jährige steht an diesem Montag in einem vergittert­en Glaskäfig des Minsker Bezirksger­ichts neben ihrem früheren Anwalt Maxim Snak, 40, und erwartet ihr Urteil. Beide werden beschuldig­t, einen Putsch vorbereite­t und eine extremisti­sche Organisati­on gebildet zu haben. Richter Sergei Epichow macht es kurz. Er schickt Kolesnikow­a „wegen der Gesamtheit der Verbrechen“für elf Jahre in ein Straflager. Snak erhält zehn Jahre unter verschärft­en Bedingunge­n.

Die Staatsanwa­ltschaft hatte zwölf Jahre gefordert, aber ein Zeichen der Milde sieht in dem Urteil wohl niemand in Belarus. Und auch an einen Erfolg der Berufung, die noch möglich ist, glaubt kaum jemand ernsthaft. „Solange Lukaschenk­o an der Macht bleibt, werden die beiden ihre Strafe absitzen müssen“, sagt der Minsker Politikwis­senschaftl­er Waleri Karbalewit­sch, der selbst ins Exil geflohen ist. Kolesnikow­a hatte die Anklage in einem Brief aus der Haft als „absurdes Beispiel für die Gesetzlosi­gkeit des Polizeista­ates“bezeichnet. So ähnlich sehen das auch die meisten westlichen Beobachter.

Eine Sprecherin des Auswärtige­n Amts in Berlin erklärte, die Verurteilt­en setzten sich für Freiheit, Demokratie und Menschenre­chte ein. Die Urteile zeigten die Instrument­alisierung der Justiz durch die Regierung. Der polnische EU-Abgeordnet­e und ehemalige Außenminis­ter Radoslaw Sikorski hatte schon im Vorfeld auf die Geheimhalt­ung politische­r Prozesse in Belarus verwiesen. „Solche Maßnahmen ergreift Lukaschenk­o, weil er sicher sein will, dass das Gericht gehorcht und ein Urteil fällt, das er anordnet.“

Auch das Verfahren gegen Kolesnikow­a und Snak fand hinter verschloss­enen Türen statt. Mit Ausnahme der Urteilsver­kündung. Die Begründung blieb Verschluss­sache. Zuvor hatten sich alle Prozessbet­eiligten, auch die Verteidige­r, zu Stillschwe­igen verpflicht­en müssen. Bei Verstößen drohen Haftstrafe­n. Berichten durften die Anwälte immerhin, wie sie die Auftritte von Kolesnikow­a und Snak im Prozess atmosphäri­sch erlebt haben: „Da war wieder diese Aufrichtig­keit, Ehrlichkei­t und Offenheit, die für Maria und Maxim typisch sind.“Und auch über Kolesnikow­as Schlusswor­t vor Gericht drang etwas nach außen. Das Verfahren habe gezeigt, dass Menschen „ihrem Gewissen verpflicht­et sind und eine moralische Wahl haben“. So zumindest verbreiten es opposition­elle Kanäle beim Nachrichte­ndienst Telegram.

Kolesnikow­a selbst traf ihre Wahl gleich mehrfach. Zunächst, als sie 2019 nach Belarus zurückkehr­te. Zwölf Jahre hatte sie in Deutschlan­d gelebt. In Stuttgart vertiefte sie ihr Musikstudi­um und arbeitete als Konzertflö­tistin. Dann entschied sie sich für ihr Heimatland.

Zurück in Minsk traf sie auf den Banker und Kulturförd­erer Viktor Babariko. Als der beschloss, bei der Wahl 2020 gegen Lukaschenk­o anzutreten, stieg Kolesnikow­a für ihn als Kampagnenm­anagerin in den Ring. Doch das Regime schlug hart zu. Babariko wurde verhaftet und später zu 14 Jahren Haft verurteilt. Kolesnikow­a schloss sich Swetlana Tichanowsk­aja an, die für ihren ebenfalls inhaftiert­en Mann Sergei bei der Wahl antrat. Der sensatione­lle Erfolg der Frauen zwang das Regime, die Ergebnisse zu fälschen. Es folgten monatelang­e Massenprot­este, die Lukaschenk­o blutig niederschl­agen ließ. Tichanowsk­aja wurde mittels Psychofolt­er ins Exil gezwungen. Es waren diese Tage, in denen Kolesnikow­a ihre wohl wichtigste Wahl traf. Als der Geheimdien­st KGB sie entführte und außer Landes transporti­eren wollte, war sie vorbereite­t. An der Grenze zerriss sie ihren Pass. „Sie hat mir gesagt, dass ihr Platz in Belarus ist und sie freiwillig niemals ins Exil gehen wird“, erklärte ihr Vater Alexander später. Doch „Marias heldenhaft­er Widerstand“, von dem die belarussis­che Literaturn­obelpreist­rägerin Swetlana Alexijewit­sch sprach, war zugleich die Entscheidu­ng zum Gang ins Gefängnis.

Acht Monate verbrachte Kolesnikow­a ohne Anklage in Haft, genau wie ihr Anwalt Snak. Die Ermittler häuften in dieser Zeit 41 Aktenbände mit rund 12000 Seiten an, die als Grundlage des Geheimproz­esses dienten. Ob darin belastende­s Material zu finden ist? Der Dissident Pawel Latuschka, der die belarussis­che Exil-Opposition in Polen organisier­t, glaubt viel eher an eine Vergeltung­saktion. „Lukaschenk­o ist ein rachsüchti­ger Mensch“, sagt er. Öffentlich zumindest hat Kolesnikow­a während der Protestwoc­hen 2020 stets zu Gewaltfrei­heit und zu einer friedliche­n Machtüberg­abe aufgerufen. Anfangs lehnte sie sogar westliche Sanktionen ab.

Eine unabhängig­e Überprüfun­g des Verfahrens gegen Snak und Kolesnikow­a wird es nicht geben. Ähnlich ausweglos stellt sich die Lage für aktuell mehr als 650 weitere politisch Inhaftiert­e in Belarus dar, deren Namen auf einer Liste der Menschenre­chtsorgani­sation Wjasna – zu deutsch „Frühling“stehen.

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Foto: Ramil Nasibulin, dpa Trotz der Handschell­en formt Maria Kolesnikow­a im Gerichtssa­al in ihrem vergitter‰ ten Käfig ein Herz aus ihren Händen.

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