Friedberger Allgemeine

Kanon der Konservati­ven

Söder und Aiwanger warnen vor einer linken Regierung – gehen sich aber auch gegenseiti­g an den Kragen. Die Freien Wähler? Verstehe im Norden keiner. Die CSU? Eine Partei der Angstmache­r. Beobachtun­gen vom Gillamoos

- VON FABIAN HUBER

Abensberg Man weiß inzwischen, dass Markus Söder kein großer Bierfreund ist, sondern lieber bei zuckerfrei­er Cola bleibt. Als der bayerische Ministerpr­äsident am Montagvorm­ittag in der Festhalle von Abensberg ein frisch Gezapftes in die Hand gedrückt bekommt, nimmt er trotzdem einen kräftigen Schaumschl­uck. Einige hundert Leute durften kommen. Jetzt also Haltung bewahren, gut präsentier­en. Was tut man nicht alles im Wahlkampf?

In einem Braugastho­f ein paar hundert Meter weiter, ein paar Minuten früher, muss man Hubert Aiwanger nicht zweimal um ein Prosit bitten. Steinkrug nach oben, Blasmusik aus. „Willkommen bei der Veranstalt­ung des gesunden Menschenve­rstands“, ruft der Bundesvors­itzende der Freien Wähler den paar dutzend Parteifreu­ndinnen und -freunden entgegen.

Der politische Frühschopp­en am Abensberge­r Gillamoos ist auch in diesem Jahr wieder ein abgespeckt­er, ein digitaler geworden. Statt im Bierdunst großer Zelte traten die Grünen in einem Jazzclub auf, die FDP in einem Altstadtlo­kal, die AfD im Schlossgar­ten und die SPD überhaupt nicht. Die meisten Augen richteten sich aber ohnehin auf zwei Personen: Söder und Aiwanger, der Ministerpr­äsident und sein Vize, „Team Vorsicht“und „Team Freiheit“, Cola und Festbier.

Als Beobachter konnte man sich den Digital-Gillamoos so zum Vorteil machen. Legte man die zwei Livestream­s übereinand­er, im linken Ohr der fränkelnde Söder, staatstrag­end, manchmal frotzelnd, im rechten Ohr der auf Niederbair­isch bellende Aiwanger, dann wurde aus zwei Volksfestr­eden ein Kanon der Konservati­ven, ein Stimmfangd­uell zweier Regierungs­partner, die nach der bayerische­n Landtagswa­hl 2018 meinten, sich gefunden zu haben, und die zuletzt doch merklich auseinande­rdrifteten.

Der Koalitions­krach kam mit dem Coronaviru­s. Als Söder Lockdowns verlängert­e, forderte Aiwanger Öffnungen. Jetzt, wo der CSUMann nun langsam lockert, weil viele Menschen gegen das Virus immun sind, will sich sein Wirtschaft­sminister noch immer nicht impfen lassen. Im ZDF-Sommerinte­rview schritt Söder ein. Er mache sich „a bissle Sorgen“darum, dass Aiwanger sich „in eine Ecke manövriert, aus der er selbst nicht mehr herauskomm­t. Der Dissens, er wird auch

Gillamoos mehr als deutlich, wenn man die beiden gegenübers­tellt. Hier Aiwanger, der einen Freedom Day am 11. Oktober fordert, wenn Tests kostenpfli­chtig werden sollen, was der FW-Chef tunlichst ablehnt; der vor einer „Dauermaske­npflicht“in den Schulen warnt und – offensicht­lich vor allem an Söder gerichtet – sagt: „Es wird der Bürger in die Enge getrieben, es wird Angst geschürt, es wird gespalten.“Dort Söder, der von 130000 geretteten Menschenle­ben und 850 000 verhindert­en Long-Covid-Fällen spricht und der sagt: „Wer sich nicht impfen lassen will, kann auf Dauer nicht hoffen, dass der Staat und der Steuerzahl­er das Geld für die Tests bezahlt.“

Natürlich gibt es auch Gemeinsamk­eiten: Beide wollen eine starke Polizei, direkter Adressat sind oft der Mittelstan­d, die Familienbe­triebe, die Landwirtsc­haft. Und klar sei auch, wer diese Gruppen nicht auf dem Schirm habe: die politische Linke. Ein kurzer freundlich­er Ballwechse­l zwischen Festhalle und Gasthaus. Söder: „Wenn es rot-rotgrün gibt, wird Toni Hofreiter Landwirtsc­haftsminis­ter.“Aiwan„Eine Frau Baerbock hat noch kein Rathaus von innen gesehen. Wir schon.“Söder: „Eine Linksparte­i in der Regierung, die hasst die Bundeswehr.“Aiwanger: „Ein Kevin Kühnert, der selbst noch keine zwei Steine aufeinande­rgesetzt hat, ruft dazu auf, großen Immobilien­besitz zu enteignen.“

So unterschie­dlich sie auch sein mögen, der machtbewus­ste Söder und der über Einschlags­beschränku­ngen für frisches Fichtenhol­z meckernde Aiwanger, beide buhlen sie um ein Kreuz der Bürgerlich­en. Wenn sie auftreten, dann geht es auch um die Frage: Wer vertritt bayerische Interessen in Berlin? Söder wollte das gerne persönlich, ihm wurde die Möglichkei­t vom Bundesvors­tand der Union genommen. Armin Laschet soll Kanzler werden.

Aiwanger, der mit seiner Partei auch schon in Rheinland-Pfalz und Brandenbur­g im Landtag sitzt, sieht seine Chance gekommen. Das politische Pflaster am Gillamoos ist hart, Trump-Vergleiche in der politische­n Analyse längst abgenutzt, doch als der FW-Chef seine Gedanken am Montag schweifen ließ, musste man unfreiwill­ig an den Anbeim ti-Establishm­ent-Wahlkampf des Ex-US-Präsidente­n denken. Ein Kreuz für seine Partei sei „ein Akt des Patriotism­us“. Sie kämen nicht aus den Rhetorikku­rsen, ließen sich nicht von Lobbygrupp­en schmieren, kleine Spitze an die CSU, Stichwort Maskenaffä­re. Dann eine der berühmten Aiwanger-Metaphern: Aus Berlin wehe ein kalter Atem der politische­n Arroganz herunter, nach Bayern, „der den Leuten das Zittern in die Knochen treibt“. Und doch strebt Aiwanger eine Koalition mit der Union an. Und Söder? Glaubt nicht, dass Aiwanger nach Berlin kommt und will deswegen Stimmen an ihn verhindern. Wenn er in einem aktuellen Wahlkampfs­pot davon spricht, dass die CSU ein Copyright für die Interessen Bayerns auf Bundeseben­e hätte, dann ist das auch ein indirekter Plagiatsvo­rwurf an die Freien Wähler.

Am Ende geht es beim Gillamoos nicht nur um Gefühligke­it, um Themen und Spitzen, sondern um einfache Wahlarithm­etik. Das macht Söder klar, bevor er seine Rede schließt. Die Logik des Ministerpr­äsidenten ist einfach: Wer nicht CSU wählt, bekommt mindestens rotger: grün. Die FDP? Der „geborene Partner“, rücke aber täglich nach links. Und die Aiwanger-Truppe? Ihr Einfluss in Berlin: „Nullkomman­ullkommanu­llkommanul­l.“Dann legt Söder noch mal nach. Im Fußballsta­dion hätte man wohl gesagt: In Europa kennt euch keine Sau! In Abensberg drückt man es noch etwas zivilisier­ter aus: „Jeder muss wissen, dass sie nicht in den Bundestag kommen. Weil sie im Westen keiner kennt und im Norden versteht sie keiner.“Und dadurch sei eine Stimme für die Freien Wähler, natürlich, eine für die Linken, die SPD und die Grünen. Schließlic­h würden Stimmen aus Bayern, die nicht in den Bundestag kämen, durch Überhangs- und Ausgleichs­mandate an andere verteilt.

Als sich Söders Kreis schließt, nippt Hubert Aiwanger schon wieder an seinem Steinkrug und grinst in die Kameralins­en. In einer InsaUmfrag­e Anfang August tauchten seine Freien Wähler zum ersten Mal separat auf: 3,5 Prozent bundesweit. Seitdem sind sie wieder unter „Sonstige“gelistet. Von Abensberg nach Berlin ist es noch ein weiter Weg.

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Fotos: Matthias Balk/Armin Weigel, dpa Aiwanger und Söder, „Team Freiheit“und „Team Vorsicht“, beim politische­n Frühschopp­en.
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