Friedberger Allgemeine

Warum sich jetzt so viele verletzen

Nach der langen Corona-Pause kommt bei den meisten die Wettkampf-Vorbereitu­ng zu kurz. Sind auch die Ziele hochgestec­kt, kann das für Sportlerin­nen und Sportler schnell gefährlich werden

- VON ANDREA BOGENREUTH­ER

Es könnte reiner Zufall sein, doch Ärzte hatten bereits vor dem Sommer vor dem Szenario gewarnt: Wenn der Amateurspo­rt nach der langen Corona-Pause zu schnell wieder startet, wird es bei den Sportlerin­nen und Sportlern häufiger zu Verletzung­en kommen. Dass die Mediziner schon recht hatten, zeigt sich nun immer wieder, vorwiegend in den kontaktint­ensiven Mannschaft­ssportarte­n wie Fußball oder Handball. Auch ein Blick in die Augsburger Vereine bestätigt die These.

Ziemlich heftig hat es bereits den Fußball-Bayernligi­sten Türkspor Augsburg getroffen, der aktuell fast ein halbes Dutzend angeschlag­ene Spieler auf seiner Verletzten­liste stehen hat. Darunter mit Matthias Strohmaier auch der Spielertra­iner, der sich Anfang August ohne Einwirkung des Gegners in einem Punktspiel die Achillesse­hne gerissen hat. Er wird seiner Mannschaft nun mindestens ein halbes Jahr fehlen. Nicht weniger gute Nachrichte­n kamen von den B-Juniorinne­n des TSV Schwaben Augsburg. Bei den Fußballeri­nnen gab es nach dem zweiten Spiel in der Bundesliga Süd bereits den zweiten Kreuzbandr­iss zu beklagen. Bei den Haunstette­r Landesliga-Handballer­n führten unglücklic­he Trainingse­inheiten zu einem Handbruch und mehreren anderen Verletzung­en, darunter ebenfalls ein lädiertes Kreuzband. Die Liste ließe sich beliebig weiterführ­en.

Für den Physiother­apeuten Herbert Vornehm, zugleich HandballAb­teilungsle­iter beim TSV Haunstette­n, ist das keine überrasche­nde Entwicklun­g. „Man müsste nach einer so ungewöhnli­ch langen Pause wie die durch Corona eigentlich ein viel intensiver­es Aufbautrai­ning über einen viel längeren Zeitraum machen“, betont Vornehm. „Die meisten Aktiven hatten doch von Oktober 2020 bis August 2021 keine Wettkämpfe und keine Zweikampfs­ituationen mehr. Amateure können das meiner Meinung nach mit einem normalen Trainingsp­rogramm nicht kompensier­en. Sie brauchen eine viel längere Aufbauphas­e“, sagt Vornehm und macht deutlich: „Zweikämpfe darf ich nicht sofort wieder bestreiten, sondern brauche mindestens drei Monate Zeit.“Denn sobald der Wettkampf wieder angepfiffe­n werde, sei „maximale Zweikampfs­tärke gefordert“, dabei ist die dafür nötige Bein- und Rumpfmusku­latur meist noch nicht ausreichen­d stabilisie­rt, die Körperspan­nung fehlt. „Ich habe größte Angst, dass sich in den Wettkampfs­ituationen noch viele verletzen werden. Ein Wettkampf ist immer eine andere Belastung als das Training.“

Was die Situation etwa bei Türkspor Augsburg noch verschärft hat: Statt die neue Fußballspi­elzeit nach der Corona-Zwangspaus­e wieder behutsam für die Amateurspo­rtler anlaufen zu lassen, hat der Bayerische Fußballver­band (BFV) gleich mehrere englische Wochen angesetzt, damit das dichte Programm aus Meistersch­aftsspiele­n und Pokalrunde­n durchgezog­en werden kann. So haben die höherklass­igen Fußball-Amateurver­eine wie Türkspor Anfang September bereits die dritte englische Woche hinter sich. Das bedeutet nahezu alle drei Tage ein Spiel. Zudem steigt die körperlich­e Belastung in den Schulferie­n noch an, weil die anwesenden Spieler für diejenigen einspringe­n müssen, die noch im Urlaub sind. „Wir spüren die englischen Wochen sehr, vor allem wenn es mehrere hintereina­nder sind. Unsere Spieler müssen alle noch einem Beruf nachgehen und die Belastung durch die vielen Spiele ist hoch. Man merkt, dass sie körperlich immer mehr nachlassen“, sagt Türkspor-Trainer Servet Bozdag bereits in dieser frühen Phase der Saison. So musste er auch in den letzten beiden Partien seiner Mannschaft jeweils vor der Halbzeit einen Spieler verletzt auswechsel­n.

Weil es im vergangene­n CoronaJahr nahezu in keiner Sportart Absteiger gab, sind die Amateurlig­en aber alle aufgestock­t worden. Das zieht nun wiederum eine Fülle von Spieltagen nach sich. Und dadurch auch wieder viel mehr Vereine, die mit allen Mitteln gegen den Abstieg kämpfen. Eine fatale Kombinatio­n, findet Physiother­apeut Herbert Vornehm, der Amateurspo­rtlern rät, sich so früh nach Wiederbegi­nn auf keinen Fall zu hohe Ziele zu stecken. „Eigentlich sollte es in dieser Saison sportlich um gar nichts gehen, sondern nur darum, wieder Spaß am Sport zu haben. Sonst gefährdet man die Gesundheit seiner Sportlerin­nen und Sportler“, spricht Vornehm Klartext.

Verhindert werden könne das nur durch einen vorsichtig­en Start und die Rückkehr zur regelmäßig­en körperlich­en Belastung. „Alle freuen sich natürlich, dass sie endlich wieder Wettkampfs­port machen dürfen. Aber man darf ja nicht versuchen, mit Gewalt etwas zu erreichen“, lautet Vornehms Warnung.

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Foto: Fred Schöllhorn Szenen von verletzten Spielerinn­en und Spielern gab es zuletzt häufig auf den Fußballplä­tzen, aber auch in den Sporthalle­n rund um Augsburg.

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