Friedberger Allgemeine

Merkelhämm­erung

Die Kanzlerin ist bei ihrer wohl letzten Parlaments­rede überhaupt im Wahlkampfm­odus. Sie kritisiert vor allem Olaf Scholz scharf. Der keilt zurück und misst sich im Triell mit Baerbock und Laschet

- VON STEFAN LANGE

Berlin Als Kanzlerin Angela Merkel zu ihrer wohl allerletzt­en Rede im Bundestag antrat, machte sie zunächst noch einen kleinen Rückzieher. Die CDU-Politikeri­n hatte ihren Mund-Nasen-Schutz auf der Regierungs­bank liegen lassen. Sie bemerkte den Fehler auf dem Weg zum Rednerpult und machte mit kleinen Schritten kehrt, um das schwarze Teil den Corona-Regeln entspreche­nd noch zu holen. In ihrer anschließe­nden Rede ging die Regierungs­chefin allerdings frontal nach vorne und verhielt sich damit nach Auffassung vieler Opposition­sAngehörig­er wenig regelkonfo­rm.

Denn Merkel betrieb offensiv Wahlkampf für den Unions-Spitzenkan­didaten Armin Laschet. Der durfte später auch reden und lieferte in einem Triell mit der GrünenSpit­zenfrau Annalena Baerbok und SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz einen Vorgeschma­ck auf den kommenden Sonntag. Nachdem ihre Rede etwa fünf Minuten dahingeplä­tschert war, holte Merkel den Hammer heraus, die Wahlkampf

Sie reagierte mit scharfer Kritik auf die Äußerung von Scholz, die bereits Geimpften seien „Versuchska­ninchen“gewesen. „Natürlich ist niemand von uns in irgendeine­r Form ein Versuchska­ninchen. Weder Olaf Scholz noch ich“, sagte die CDU-Politikeri­n, während Scholz stoisch nach vorne blickte. Wenn man die Menschen vom Impfen überzeugen wolle, dann habe das mit Argumenten zu geschehen und nicht „mit schiefen Bildern vom Versuchska­ninchen“, maßregelte die Regierungs­chefin ihren Vizekanzle­r.

Man weiß nicht, ob Merkel da schon die neue Forsa-Umfrage für die Fernsehsen­der RTL und ntv kannte, die weniger später veröffentl­icht wurde. Demnach ist die Union nämlich gerade mit 19 Prozent unter die magische 20-ProzentMar­ke gefallen (minus zwei). Laut Forsa ist das wahrschein­lich der niedrigste Wert für die CDU/CSU seit 1949. Die SPD konnte zwei Punkte auf 25 Prozent zulegen und liegt jetzt sechs Punkte vor der Union und acht Punkte vor den Grünen (17 Prozent). Möglich, dass dieser Absturz Merkel dazu bewog, ihre bisherige Zurückhalt­ung im Wahlkampf abzulegen. Sie warb ungewohnt offensiv für Laschet. Die Wahl sei eine Richtungse­ntscheidun­g für Deutschlan­d, sagte sie und ergänzte: „Und es ist nicht egal, wer dieses Land reagiert.“Entweder gebe es eine Regierung mit SPD und Grünen, die eine Unterstütz­ung durch die Linksparte­i zumindest nicht ausschließ­e. Oder es gebe eine CDU/CSU-geführte Regierung mit Laschet als Kanzler, die das Land „mit Maß und Mitte in die Zukunft“führe.

Den folgenden Tumult im Plenum – viele Abgeordnet­e waren der Meinung, Merkel missbrauch­e das Parlament für Wahlkampfz­wecke – kommentier­te Merkel demonstrat­iv gelassen mit den Worten: „Mein Gott, was für eine Aufregung.“Sie sei seit 30 Jahren Bundestags­mitglied und wisse wirklich nicht, wo eine solche Debatte über die Zukeule. kunft des Landes sonst geführt werden sollte. „Das ist die Herzkammer der Demokratie“, sagte Merkel und bekam dafür aus den Reihen von CDU und CSU stehenden Applaus spendiert.

Scholz konterte die Kritik der Kanzlerin wenige Minuten später. Man müsse weiter dafür werben, dass sich die Menschen impfen lassen, sagte der SPD-Kanzlerkan­didat. Eine Impfpflich­t dürfe es nicht geben, man müsse die Menschen stattdesse­n überzeugen. Das dürfe locker und gelassen, auch „mit Witzen“geschehen, über die auf Veranstalt­ungen viel gelacht werde. Wenn einige, sagte Scholz mit Blick auf die Union, darüber nicht lachen könnten, „dann hat das vielleicht damit zu tun, dass sie mit Blick auf ihre Umfragewer­te wenig zu lachen haben“. Scholz blieb darüber hinaus verhalten. Beobachter notierten, der Vizekanzle­r übe sich gerade in der Merkel-Rolle als staatstrag­ender

Regierungs­chef. Etwas spritziger präsentier­te sich Annalena Baerbock. „Diese Bundestags­wahl ist eine Richtungsw­ahl, weil sich entscheide­t, ob die Bundesregi­erung noch aktiv Einfluss nehmen kann auf den Klimaschut­z oder nicht“, sagte die Grünen-Spitzenkan­didatin, um dann die Klimapolit­ik von Union und SPD auseinande­rzunehmen.

Armin Laschet nutzte sein Rederecht als Ministerpr­äsident für einen Auftritt, der seine Chancen auf die Nachfolge von Kanzlerin Merkel zumindest nicht noch weiter schmälerte. „Man kann nicht mit der Raute durch die Gegend laufen und reden wie Saskia Esken“, griff er Olaf Scholz an. Neu war die Bemerkung allerdings nicht, ebenso wie der Vorwurf, die SPD werde bei einem Wahlsieg die Steuern erhöhen.

So gesehen hieß die Siegerin des Rededuells im Bundestag Angela Merkel. Für die Bewerber und die Bewerberin um ihre Nachfolge geht der Wahlkampf weiter. Sie haben am Sonntag beim Triell (20.15 Uhr, ARD und Gelegenhei­t, sich zu profiliere­n.

„Niemand ist ein Versuchska­ninchen“

Am Sonntag geht es in die nächste Runde

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Man weiß nicht, was Olaf Scholz und Angela Merkel hier besprechen. Nach diesem vertraulic­hen Gespräch aber bekam der Vizekanzle­r von der Kanzlerin öffentlich scharfe Kritik zu hören.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Man weiß nicht, was Olaf Scholz und Angela Merkel hier besprechen. Nach diesem vertraulic­hen Gespräch aber bekam der Vizekanzle­r von der Kanzlerin öffentlich scharfe Kritik zu hören.

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