Sie wollen das Vertrauen der Gläubigen zurückgewinnen
Martin Gall und Felix Siefritz haben ihren Dienst als Pfarrer in Augsburg in einer herausfordernden Zeit angetreten. Das hat nicht nur mit der Corona-Pandemie zu tun. Eines ist für die beiden das Wichtigste
Wer mit zwei Pfarrern über Gott und die Welt spricht, erlebt so manche Überraschung. Martin Gall etwa, der neue Mann in der Pferseer Gemeinde Herz Jesu, kümmert sich an freien Tagen gerne um die Kühe auf dem Hof seiner Familie. Sein Kollege Felix Siefritz wiederum hat vor der Priesterausbildung als Uhrmacher gearbeitet. Als Gall das erfährt, holt er grinsend seine defekte Uhr aus der Jackentasche. Ein paar Minuten später ist das Armband repariert. Die Freude der beiden Geistlichen ist groß – und das Interview zum Amtsantritt in Augsburg sehr entspannt.
Herr Gall, warum sind Sie Pfarrer und nicht Landwirt geworden? Martin Gall: In meinem Elternhaus hat die Kirche dazugehört, seien es der Gottesdienst, das Gebet zum Essen, das Ministrieren oder die prägende Gestalt des Heimatpfarrers in Haunswies. Ich hatte schon von Kindheit an den Wunsch, Priester zu werden, und bin nach dem Abitur im Gymnasium St. Stephan direkt ins Augsburger Priesterseminar gegangen. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mir diesen Weg ermöglicht haben, und auch meiner jüngsten Schwester, dass sie den Hof übernommen hat.
Herr Siefritz, warum sind Sie nicht Uhrmacher geblieben?
Felix Siefritz: Tatsächlich wollte auch ich bereits von Kindheit an Pfarrer werden. Doch, weil meine Schullaufbahn nicht so optimal verlief, nahmen mich meine Eltern vom Gymnasium. Ich machte nach der Mittleren Reife eine Ausbildung als Uhrmacher und arbeitete in diesem wunderschönen Beruf dann einige Jahre beim Juwelier Herbert Mayer in Augsburg. Doch die Liebe zu Gott und zur Kirche ist in dieser Zeit noch gewachsen und so habe ich mit 25 Jahren sozusagen im zweiten Anlauf die Ausbildung zum Priester begonnen.
Mit Ihrer Entscheidung für den Priesterberuf haben Sie sich gegen eine eigene Familie entschieden. Ist Ihnen das leichtgefallen?
Siefritz: Ich hätte gerne eine Frau und Kinder gehabt und sehe die Lebensform Zölibat durchaus als eine
meiner größten Herausforderungen an. Dank meiner Familie und meines großen Freundeskreises fühle ich mich aber nicht einsam.
Gall: Auch für mich war es eine wichtige Frage, ob ich ohne eigene Kinder glücklich sein kann. Dass ich als Pfarrer viele Familien begleiten darf, also einen Dienst mit und für andere Menschen leiste, entschädigt mich dafür, keine eigene Familie zu haben.
Während der Corona-Lockdowns fielen aber lange die Gottesdienste aus, das Gemeindeleben kam zum Erliegen, auch die privaten Kontakte waren gar nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Hat Sie das besonders getroffen? Gall: Corona war eine große Herausforderung, ich bin sehr froh, dass sich die Dinge langsam wieder normalisieren. Das Schlimmste waren für mich die anfänglichen strikten Beschränkungen bei Beerdigungen, als ich Angehörigen sagen musste, dass ich gar nichts für sie tun kann. Ich selbst bin in dieser Zeit in den
verschiedenen Gemeinden der Pfarreiengemeinschaft Dinkelscherben viel spazieren gegangen, um die Menschen auf der Straße zu treffen. Dieses Frühjahr wurde es dann nochmals hart. Ich musste 14 Tage in Quarantäne, wodurch es ausgerechnet die Erstkommuniontermine zerhagelt hat.
Siefritz: Mir haben die Begegnungen und Gottesdienste sehr gefehlt und mir ist wieder ganz neu bewusst geworden, wie kostbar das alles ist. Persönlich hat mich mein unerschütterliches Gottvertrauen durch diese Zeit getragen, aber ich habe auch gemerkt, wie real die Gefahr ist, als eine Frau mit Mitte 50 in meiner Gemeinde an Corona starb.
Was bleibt von dieser Zeit, wenn die Pandemie irgendwann einmal überwunden ist?
Gall: Wir müssen jetzt den Blick darauf richten, wie die Kirche nach Corona wird. Gläubige haben aus der Not heraus kreative Ideen, wie beispielsweise Stationswege im Freien entwickelt; hoffentlich gelingt es, das kreative Potential weiter zu nutzen. Andere haben für sich die Hauskirche neu entdeckt. Bei anderen ist die Überzeugung bestärkt worden: Glaube lebt am besten in realer Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft gilt es zu pflegen. Vielleicht bleibt auch bei vielen die Erfahrung: Sozialkontakte mussten minimiert werden, öffentliche Gottesdienste wurden erst untersagt und konnten lange Zeit nur mit Einschränkungen gefeiert werden, aber der Kontakt zu Gott hat mir gerade in dieser Zeit Kraft gegeben.
Gall: Ich hatte eigentlich nicht vor, nach nur fünf Jahren zu wechseln, und war auch überrascht, als ich das Angebot bekam, die Gemeinde Herz Jesu als Nachfolger von Franz Götz zu übernehmen. Doch dann dachte ich mir, wenn die Verantwortlichen mir das zutrauen, ist das ein Vertrauensbeweis. Tatsächlich war wohl mit ausschlaggebend, dass ich an meiner bisherigen Stelle Priester sowie pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgebildet habe und auch Herz Jesu eine Ausbildungspfarrei ist. Ich weiß, dass hier und bei allen anderen Aufgaben einer großen Pfarrei der Priester auch Manager sein muss, damit der Laden läuft. Aber Seelsorge ist und bleibt das Wichtigste.
Herr Siefritz, Sie haben als Kaplan in der Pfarreiengemeinschaft Oberhausen-Bärenkeller bereits Kirche in der Großstadt erlebt. Jetzt trauen Sie sich als junger Priester tatsächlich die Leitung
der großen und recht heterogenen Pfarreiengemeinschaft St. Georg/St. Max und St. Simpert zu?
Siefritz: Pfarrer Bernd Weidner, mit dem ich in Oberhausen und zuvor schon in Königsbrunn zusammengearbeitet hatte, war ein hervorragender Lehrmeister für mich. Weil mich die Arbeit in einer Großstadtpfarrei fasziniert und mir Augsburg so ans Herz gewachsen ist, habe ich mich für die Nachfolge von Florian Geis beworben. Dass ich die Stelle bekommen habe, freut mich sehr. Auch wenn ich wie mein Vorgänger im Pfarrhaus von St. Georg wohne und das Hauptbüro hier ist, will ich versuchen, alle drei Gemeinden gleich zu behandeln und vor allem das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. In Königsbrunn und dann auch mehr und mehr in Oberhausen-Bärenkeller habe ich gesehen, wie das funktionieren kann.
Eine Herausforderung für Sie dürfte auch die schwindende Zahl der Gottesdienstbesucher sein, nicht wahr?
Gall: Das stimmt. Gemessen an der Zahl der Gemeindemitglieder ist die Zahl der Gottesdienstbesucher auf dem Land etwa dreimal so hoch wie in der Stadt. Natürlich freue ich mich, wenn ich anderen die Freude am Evangelium vermitteln und erlebbar machen kann, wie ein Leben aus dem Glauben heraus gelingen kann. Andererseits werde ich meinen Auftrag, Menschen im Glauben zusammenzubringen, nicht nur an der Anzahl der Gottesdienstbesucher messen.
Viele Menschen bleiben aber nicht nur dem Gottesdienst fern, sondern haben sich komplett von der Kirche entfernt. Wundert Sie das angesichts der negativen Schlagzeilen, allen voran der Missbrauchsskandal?
Siefritz: Ich will mich nach Kräften bemühen, das Vertrauen der Menschen in die Kirche zurückzugewinnen. Dazu ist es meines Erachtens am wichtigsten, dass die Menschen uns als authentische Seelsorger erleben. Und so ist es mein Herzensanliegen, in meiner Pfarreiengemeinschaft meinen Glauben und mein Leben so mit den Menschen zu teilen, dass sie immer wieder spüren können, dass die Freude an Gott unsere Stärke ist.
Interview: Andrea Baumann