Friedberger Allgemeine

Olaf Scholz gibt Ulrike Bahr Rückenwind

Auf der Landeslist­e ihrer Partei bekam Schwabens SPD-Vorsitzend­e nur einen schlechten Platz. Dank guter SPD-Umfragewer­te sind ihre Chancen auf einen erneuten Einzug in den Bundestag gestiegen

- VON NICOLE PRESTLE

Wahlkampf kann wie Achterbahn­fahren sein: Als die bayerische SPD vor einem halben Jahr ihre Kandidaten nominierte, war das ein schwarzer Tag für Ulrike Bahr. Abgerutsch­t von Platz 4 auf Platz 16, war ihr Wiedereinz­ug in den Bundestag auf einmal nicht mehr so sicher. „So einen Listenplat­z muss man erst einmal verdauen“, gibt die 57-Jährige zu. Es wäre, sagt sie, wohl auch das erste Mal, dass die Augsburger SPD keinen Bundestags­abgeordnet­en stellt. Dann aber ist Schluss mit dem schmerzvol­len Rückblick, denn der SPD-Wagen ist in dieser Wahlkampf-Achterbahn eben wieder auf dem Weg nach oben und Ulrike Bahr „vorsichtig optimistis­ch“, was eine weitere Periode im Bundestag betrifft. Es wäre ihre dritte – und sie ist ihr wichtig: „Es gibt viele Dinge, die ich angestoßen habe und die ich zu Ende bringen will.“

Obwohl er im Wahlkampf nicht nach Augsburg kommt, ist Olaf Scholz derzeit wahrschein­lich Bahrs stärkster Verbündete­r. Beim ersten TV-Triell der Kanzlerkan­didaten heimste der SPD-Bewerber die meisten Sympathiep­unkte ein. Dass einige ihn laut Umfragen nur wählen wollen, weil Annalena Baerbock (Grüne) und Armin Laschet (CDU) sich zu viele Missgeschi­cke geleistet haben, stört Ulrike Bahr nicht, vielleicht glaubt sie auch nicht daran. „Olaf Scholz ist seit seinem 17. Lebensjahr in der Partei. Er verkörpert wie kaum ein anderer die Werte der SPD.“Die Augsburger Politikeri­n spürt das auch beim Straßenwah­lkampf in der direkten Begegnung mit den Bürgerinne­n und Bürgern: „Viele wollen Scholz als Kanzler.“Viele, gibt sie zu, seien aber auch noch unentschlo­ssen.

Doch das sind Stimmungen und die sind nicht verlässlic­h. Ulrike Bahr setzt lieber auf Themen, die sie auch im Wahlkampf akribisch abarbeitet. Regelmäßig hat sie in den vergangene­n Wochen ins Stadtcafé vor der Augsburger Stadtbüche­rei zum Talk mit Experten eingeladen. Es ging um bezahlbare­s Wohnen, um die Arbeit von morgen, auch ums Klima, wobei das, sie gibt es selbst zu, nie ihr wichtigste­s Thema war. Die kleinen Tütchen mit Blumensame­n, die Bahr im Wahlkampf verteilt, ändern daran wenig.

Die ehemalige Hauptschul­lehrerin hat sich auf soziale Themen spezialisi­ert. Sie sitzt im Familien- und im Bildungsau­sschuss des Bundestags, befasst sich mit der Kinder- und Jugendhilf­e, mit Kindergesu­ndheit und bürgerscha­ftlichem Engagement und ist überzeugt, dass alle drängenden Probleme Deutschlan­ds zusammenhä­ngen: „Damit Kinder würdig leben können, braucht es bezahlbare­n Wohnraum und Zugang zur Bildung.“Familien stehen für die Augsburger SPD-Politikeri­n quasi als Überthema im Fokus: „Würde ich die Zusammenhä­nge aufzeichne­n, stünden mittendrin die Familien und als Wolke drumherum alle anderen Themen.“

Als einen ihrer größten Erfolge der letzten beiden Legislatur­perioden wertet die 57-Jährige die Bafög-Reform und die Reform des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlich­en, der der Bundesrat im Mai zustimmte. Acht Jahre lang hat Ulrike Bahr daran mitgewirkt, sie ist überzeugt, dass die Reform dazu beitragen kann, junge Menschen in ihrer Entwicklun­g zu selbstbewu­ssten und starken Wesen besser zu unterstütz­en. Dass ihr Kritiker bisweilen die Kompetenz in Sachen Familienth­emen absprechen, weil sie keine eigenen Kinder hat, sieht Bahr gelassen: „Ich habe Beutekinde­r und Beuteenkel“, sagt sie augenzwink­ernd im Hinblick auf ihre Patchworkf­amilie, in der sie mit ihrem Mann Eckard Rasehorn, dem ehemaligen Geschäftsf­ührer der Augsburger Arbeiterwo­hlfahrt, und dessen beiden Kindern lebt.

Die Politik spielt zu Hause eine große Rolle, ihren Mann bezeichnet Bahr als ihren größten Unterstütz­er, aber auch ihren größten Kritiker. Zuletzt hat er sie immer wieder zu Wahlkampft­erminen begleitet, hat – selbst Sozialexpe­rte – mitdiskuti­ert und zugehört. Und natürlich war es daheim auch Thema, was denn werde, wenn es mit dem Einzug in den Bundestag nicht noch einmal klappt. Dass sie sich weiterhin politisch engagieren würde, steht für Ulrike Bahr fest. „Ich habe noch nicht darüber nachgedach­t, in welcher Funktion. Aber politisch bin ich immer.“Doch zunächst will sie kämpfen, bis zur Minute, in der die Wahllokale am 26. September schließen. „Man muss ja am Ende auch vor sich selbst hinstehen können.“

Eine laute Politikeri­n ist Bahr, die seit 1986 bei der SPD und seit 2017 Vorsitzend­e ihrer Partei in Schwaben ist, nicht. Andere Abgeordnet­e im Bundestag beschreibe­n sie als „sehr ruhige“Kollegin, die stets auf Sachebene kommunizie­re, kollegial und zuverlässi­g sei und gerne über Parteigren­zen hinweg arbeite. „Es wäre schön, mehr von ihr zu hören“, bringt es eine Grünen-Politikeri­n auf den Punkt. Doch Ulrike Bahr geht es nicht darum, große Reden zu halten, sie will durch beständige Arbeit punkten. „Gerade im Bildungsbe­reich habe ich mir durch mein kontinuier­liches Dranbleibe­n ein Netzwerk aufgebaut. Persönlich ernte ich dadurch Früchte – und hoffentlic­h jetzt auch im Wahlkampf.“

Die Arbeit in Berlin hat sich für Bahr – wie auch für andere Abgeordnet­e – verändert, seit die AfD im Parlament sitzt. Manche Reden von AfD-Abgeordnet­en seien so beklemmend, „als würde man sich Filme aus den 30er Jahren ansehen“, sagt die gebürtige Nördlinger­in. Die Stimmung in der Gesellscha­ft sei nach rechts gerückt, weshalb man den Bürgerinne­n und Bürgern immer wieder sagen müsse, wofür die AfD steht. Bahr selbst gehört zur parlamenta­rischen Linken, für die Zukunft wünscht sie sich ein progressiv­eres Bündnis, als es das in Deutschlan­d in den vergangene­n vier Jahren gab. „Wir, die SPD, waren ja nicht erpicht auf diese Koalition. Aber jetzt ist es damit auch genug.“

Dass die SPD auch künftig Teil einer Regierungs­koalition sein könnte, will auch Bahr seit den letzten Umfragen nicht mehr ausschließ­en. „Wir haben ja auch ein gutes Programm und es wäre schön, wenn wir es umsetzen könnten.“Bis zum Wahltermin wird Ulrike Bahr weiter dafür kämpfen. Leise, aber beständig. So, wie es seit Jahren ihre Art als Politikeri­n ist.

Info Am Freitag stellen wir mit Volker Ullrich (CSU) den letzten der Augsbur‰ ger Direktkand­idaten vor.

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Foto: Silvio Wyszengrad Ulrike Bahr auf dem Gelände der ehemaligen Kammgarnsp­innerei. Hier, sagt sie, zeige sich am besten, wie sich Arbeit verändert und wie man diesem Wandel begegnen kann.

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