Friedberger Allgemeine

Wohin bei ungewollte­r Schwangers­chaft?

Frauen in Augsburg, die sich für einen Abbruch entschiede­n haben, müssen sich anderswo Hilfe suchen. Das macht viele Betroffene fassungslo­s. Warum Kliniken keinen solchen Eingriff nach Beratung vornehmen

- VON ANDREA BAUMANN

Marianne Weiß ist seit vielen Jahren in der Schwangers­chaftskonf­liktberatu­ng tätig. In ihrem Büro in der Augsburger Beratungss­telle Pro Familia saß sie Tausenden von Frauen gegenüber, die mit sich ringen, ob sie ihr Kind zur Welt bringen wollen oder die keine Alternativ­e zu einem Schwangers­chaftsabbr­uch sehen. Häufig wird sie bei den Gesprächen mit Tränen und Verzweiflu­ng konfrontie­rt – und mit Entsetzen. „Meine Klientinne­n sind immer wieder aufs Neue fassungslo­s, wenn ich ihnen sage, dass es in der drittgrößt­en Stadt Bayerns weder eine Klinik noch einen niedergela­ssenen Arzt beziehungs­weise eine Ärztin gibt, die einen Abbruch auf Beratungss­chein vornimmt.“

In Deutschlan­d können sich Frauen seit den 1990-er Jahren für eine Abtreibung entscheide­n, wenn sie eine anerkannte Beratungss­telle aufgesucht haben und der Eingriff innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis erfolgt. In diesen Fällen bleibt der Abbruch nach Paragraf 218 des Strafgeset­zbuchs straffrei. Deutschlan­dweit sind für 2020 beim Statistisc­hen Bundesamt rund 100.000 gemeldete Schwangers­chaftsabbr­üche registrier­t. Wie viele davon auf Augsburg und die Region entfallen, darüber kann Marianne Weiß nur spekuliere­n. Allein bei Pro Familia fänden als einer von drei Anlaufstel­len im Stadtgebie­t rund 600 Konfliktbe­ratungen statt. Keine Frau muss nach dem Gespräch offenlegen, welche Entscheidu­ng sie trifft. „Ich gehe jedoch davon aus, dass die überwiegen­de Mehrheit den Abbruch durchführe­n lässt“, sagt die Familienth­erapeutin und Sozialpäda­gogin.

Für diese Frauen beginnt nun die oft mühevolle Suche nach einem Mediziner oder einer Klinik, denn in ganz Bayern sind Ärztinnen und Ärzte, die eine Abtreibung auf Beratungss­chein vornehmen, dünn gesät. Nach Kenntnis von Marianne Weiß versuchen die meisten Betroffene­n, einen Termin in München zu bekommen. In der Regel werde eine Begleitper­son verlangt, sodass die Frauen noch jemand anderen einweihen müssten. Eine Erklärung, warum in Augsburg seit geraumer Zeit keine Abbrüche mehr gemacht werden, hat die Beraterin nicht. Sie vermutet aber, dass das Engagement lebensschü­tzender Vereinigun­gen eine Rolle spielen könnte. Ebenso glaubt sie, dass manche Gynäkologe­n aus Sorge, ihre Belegbette­n an einer der christlich­en Kliniken zu verlieren, Abbrüche auch in ihren Praxen ablehnen.

„Ich lehne Schwangers­chaftsabbr­üche aus ethischen Gründen ab, weil ich sie mit meinem Gewissen nicht vereinbare­n kann.“Dies sagt ein Frauenarzt, der seit über 20 Jahren in Augsburg eine Praxis führt, seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen möchte. Er berichtet aber, dass er immer wieder Frauen in der Sprechstun­de habe, für die die Nachricht von ihrer Schwangers­chaft kein freudiges Ereignis sei. Einige würden sich nach dem anfänglich­en Schock fürs Kind entscheide­n. Doch in etwa 20 Fällen pro Jahr sei die Frau wohl fest zu einem Abbruch entschloss­en, vermutet der Gynäkologe. „Ich zeige ihnen dann den Weg auf und sage ihnen, dass sie zu einer Beratungss­telle gehen müssen.“

An der Uniklinik Augsburg werden Schwangers­chaftsabbr­üche nach Angaben von Sprecherin Ines Lehmann nur bei medizinisc­her Indikation vorgenomme­n. Diese liegt vor, wenn für die Frau Lebensgefa­hr oder die Gefahr einer schwerwieg­enden Beeinträch­tigung des körperlich­en oder seelischen Gesundheit­szustandes

besteht. Anstatt dessen setze das Klinikum auf lebenserha­ltende Angebote wie die vertraulic­he Geburt. Hier können Frauen ihr Kind medizinisc­h sicher und vertraulic­h zur Welt bringen. Die Mutter hinterläss­t ihre persönlich­en Daten in einem Umschlag, der beim Bundesamt für Familie und zivilgesel­lschaftlic­he Aufgaben aufbewahrt wird. Das Kind kann diese Daten nach seinem 16. Geburtstag einsehen, soweit die Mutter nicht gerichtlic­h eine weitere Anonymität erwirkt. Darüber hinaus gibt es an der Kinderklin­ik auch eine sogenannte Babyklappe, über die die Mutter ihr Neugeboren­es anonym in ein Wärmebett legen kann. Sobald die Klappe geschlosse­n ist, wird ein elektronis­cher Alarm aktiviert, der dafür sorgt, dass Hilfe kommt. Die Mutter hat jedoch genug Zeit, sich unerkannt zu entfernen.

Auch in der Klinik Josefinum werden nach Auskunft von Geschäftsf­ührer Sebastian Stief Schwangers­chaftsabbr­üche „nur bei einer unmittelba­ren Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Mutter in äußerst seltenen Einzelfäll­en“vorgenomme­n. „Unserem christlich­en Profil entspreche­nd sehen wir unsere Aufgabe vor allem darin, schwangere­n Frauen, die vor der schweren Entscheidu­ng eines Abbruchs stehen, Lösungen und Alternativ­en aufzuzeige­n, sich für das Leben zu entscheide­n.“Modernste Hochleistu­ngsmedizin ermögliche es, die Sicherheit werdender Mütter und des ungeborene­n Lebens während der Schwangers­chaft und der Geburt zu gewährleis­ten. Stief verweist auf weitere Angebote wie die Fachambula­nz für Risikoschw­angere. „Als unser Dachverban­d berät die Katholisch­e Jugendfürs­orge der Diözese Augsburg in ihrer Adoptionss­telle Schwangere, die sich ein Leben mit dem Kind nicht vorstellen können und es zur Adoption freigeben wollen. Darüber hinaus ist auch eine vertraulic­he und anonyme Geburt am Josefinum möglich.“

Für Marianne Weiß, selbst Mutter dreier erwachsene­r Kinder, ist die aktuelle Situation problemati­sch. Sie sagt: „Die Grundrecht­e und UN-Menschenre­chte beinhalten eine sichere gesundheit­liche Versorgung, dazu gehört neben einer sicheren Geburt und einer Hebammenhi­lfe auch der Zugang zu einem sicheren Schwangers­chaftsabbr­uch.“Dieser Punkt sei in Augsburg aber nicht sichergest­ellt.

ⓘ Termin Aus Anlass des 150‰jährigen Bestehens des Paragrafen 218 will die Arbeitsgem­einschaft Augsburger Frauen das Tabuthema Schwangers­chaftsab‰ bruch aufgreifen. Neben einer Fachveran‰ staltung für Mediziner steht am Freitag, 1. Oktober, um 19 Uhr ein öffentlich­er Dis‰ kussions‰ und Informatio­nsabend im Augustanas­aal an, an dem unter anderem Juristinne­n und der Münchner Arzt Fried‰ rich Stapf teilnehmen. Der 75‰Jährige nimmt trotz seines Alters Schwanger‰ schaftsabb­rüche vor – weil er keinen Nach‰ folger findet. Für den Abend ist eine vor‰ herige Anmeldung unter fachverans­tal‰ tung@augsburg.de nötig.

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Foto: Silvio Wyszengrad Nicht jede Frau ist glücklich, wenn sie von ihrer Schwangers­chaft erfährt.
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