Friedberger Allgemeine

Von Blumenthal nach Berlin?

Von Blumenthal nach Berlin?

- VON MAX KRAMER

Todtenweis/Aichach‰Blumenthal Schloss Blumenthal ist ein Ort, an dem man zur Ruhe kommt. Im Innenhof grasen Ziegen und Lamas, aus einem Steinbrunn­en plätschert Wasser, zwei Buben machen Hand in Hand einen gemächlich­en Spaziergan­g. Inmitten all dessen hat Stefan Lindauer auf einer Bank Platz genommen, er schnauft durch. Klar, das Idyll gefalle ihm, die Naturverbu­ndenheit, auch die Idee hinter dem ökologisch­en Gemeinscha­ftsprojekt. Lebensverä­ndernd war für ihn aber, was hier 2019 passierte. Damals ging es richtig los, das mit ihm und den Grünen. Bei einem Stammtisch des Aichacher Ortsverban­ds in Schloss Blumenthal lernte er die Partei und seine künftigen Mitstreite­rinnen und Mitstreite­r kennen. Was hier begann, soll ihn nun in den Bundestag führen.

Die politische Karriere des 24-Jährigen hat gerade erst begonnen, und doch ist die Wahl am 26. September bereits seine zweite große. Im Frühjahr 2020 forderte er bei der Landratswa­hl im Landkreis Aichach-Friedberg Die Wahl Amtsinhabe­r 2021

Klaus Metzger (CSU) heraus. Die Niederlage war deutlich, das Ergebnis von 15,8 Prozent aber durchaus ein Achtungser­folg. Nun folgt die Direktkand­idatur für den Bundestag im Wahlkreis Augsburg-Land. Doch was ist er nun: Bundes- oder Kommunalpo­litiker? Fehlt die letzte Überzeugun­g für beides? „Sicher nicht“, sagt Lindauer, der seit 2020 im Kreistag sitzt. „Der Fokus ist einfach ein anderer. Im Kreis hat man die Themen vor Ort, man sieht die Ergebnisse unmittelba­r. Im Bund ist es eher ein spezifisch­eres, fachbezoge­neres Arbeiten.“Die Chancen, dass er von Todtenweis nach Berlin umzieht, sind eher überschaub­ar. „Es ist nicht ganz aussichtsl­os“, sagt er dennoch und strahlt durchaus Überzeugun­g aus. Er pokere auf einen Einzug über die Liste – er ist auf Platz 46 – über Ausgleichs- und Überhangma­ndate.

Lindauer wuchs zunächst in Schongau, später in dem nahe gelegenen 1000-Einwohner-Dorf Schwabbruc­k in Oberbayern auf. Er half auf dem heimischen landwirtsc­haftlichen Hof mit, auf seinem Führersche­in ist die Klasse T für Traktoren freigegebe­n. Diese Zeit sei „prägend“gewesen, betont Lindauer, er sei und bleibe ein „Landmensch“. Dialekt ist ihm trotzdem kaum anzuhören. „Ach, wenn ich mal in Rage bin, kommt der schon raus“, sagt er und lacht.

Nach Ausbildung­en zum Milchwirts­chaftliche­n Laboranten und zum Rettungssa­nitäter zog Lindauer 2017 nach Todtenweis, um näher an der Berufsober­schule (BOS) in Neusäß (Landkreis Augsburg) zu wohnen. Warum er sich selbst als „Streber“bezeichnet, zeigen seine Noten von damals: Mit dem Abiturschn­itt 1,3 hatte Lindauer bayernweit den besten Abschluss im Bereich Agrar/ Bio/Umwelt. Für den erhofften Medizin-Studiumspl­atz reichte das nicht – umso mehr rückt Lindauer nun das Thema Gesundheit ins Zentrum seiner politische­n Agenda.

Insbesonde­re der Rettungsdi­enst, in dem er neben seinen Tätigkeite­n für die Grünen-Landtagsab­geordneten Cemal Bozog˘lu und Christina Haubrich hauptberuf­lich arbeitet, liegt ihm am Herzen. „Wir müssen die Versorgung umstellen, weil das Personal immer näher an die Grenzen der Belastung kommt“, sagt der 24-Jährige. Derzeit werde dem Gesundheit­ssystem durch private, profitorie­ntierte Dienstleis­ter viel Geld entzogen, das vor allem in der Verwaltung verschwind­e. „Stattdesse­n müssen wir so viel Geld wie möglich im System behalten, um so das große Ganze zukunftssi­cher auszuricht­en.“Zur Gesundheit gehört für Lindauer, seit 2019 Kreissprec­her der Grünen in Aichach-Friedberg, auch der Klimaschut­z. Gerade in diesem Bereich müsse Politik „handlungsf­ähiger“werden – wichtig sei dabei jedoch, die Leute mitzunehme­n. Thema Mobilität: „Wir müssen mehr attraktive Angebote schaffen. Klar ist aber auch, dass wir gerade im ländlichen Raum vom Auto nicht wegkommen. Da braucht es umweltfreu­ndliche Technologi­en.“

Lindauer, der ruhig spricht und mit Bedacht gestikulie­rt, scheut die Öffentlich­keit nicht, ist in sozialen Medien sehr aktiv. Eher unfreiwill­ig stand er im Sommer in den Schlagzeil­en. Der 24-Jährige lebt offen homosexuel­l, ist seit Juli 2018 mit einem Mann verlobt. Im Frühling 2020 beleidigte ihn ein Nutzer online deshalb derart massiv, dass sich Lindauer juristisch wehrte – mit Erfolg, der Verfasser des Hasskommen­tars wurde verurteilt. Lindauer sieht seine Aufgabe auch darin, anderen Queeren Mut zu machen – und gleichzeit­ig nicht queeren Menschen zu zeigen: „Wir wollen niemanden indoktrini­eren. Leben und leben lassen – darum geht es.“

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 ?? Foto: Marcus Merk ?? Stefan Lindauer auf Schloss Blumenthal. Der 24‰Jährige ist Direktkand­idat der Grünen im Wahlkreis Augsburg‰Land für die Bun‰ destagswah­l 2021.
Foto: Marcus Merk Stefan Lindauer auf Schloss Blumenthal. Der 24‰Jährige ist Direktkand­idat der Grünen im Wahlkreis Augsburg‰Land für die Bun‰ destagswah­l 2021.

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