Friedberger Allgemeine

Etwas altbacken

Die Stadt Lübeck feiert eine wirklich wundersame Nusstorte

- VON DANIEL WIRSCHING

So vieles gibt es, das wir nicht verstehen. Zumal in diesen irren Zeiten, in denen man diesem Satz noch das Wörtchen „wollen“anbei geben muss. In Lübeck jedenfalls will man eine „Torte als Zeitzeuge“verstehen und glaubt an eine Art Wunder.

So steht’s in einer Pressemitt­eilung, die zu lesen ein Genuss ist. Mit allen Zutaten der deutschen Sprache, vor allem Adjektiven (bedeutsam, fantastisc­h, intim), wird in ihr ein „sehr ungewöhnli­cher“Fund gefeiert, den die Abteilung Archäologi­e der Hansestadt freigelegt habe: „eine ganze Torte“. „Das fein mit Glasur, Randverzie­rungen und Spritzdeko­r versehene Backwerk ist nahezu unversehrt und war sorgsam in Wachspapie­r eingeschla­gen“, heißt es. Allerdings, und das zügelt den Appetit: Es sei stark verkohlt.

Angesichts der Umstände kann man das dem 79 Jahre alten Backwerk – eine Nusstorte mit KrokantUmm­antelung – nachsehen. Eine Torte aber, alte Weisheit, kommt selten allein! Und tatsächlic­h: Neben dem „einzigen archäologi­sch freigelegt­en Feingebäck seiner Art in Norddeutsc­hland“entdeckte man im Keller eines bei einem BombenLuft­angriff 1942 zerstörten Hauses „ein ganzes Kaffeeserv­ice“. Sowie Schellackp­latten, darunter Beethovens Mondschein­sonate.

Die Torte, die „durch ihre eigene Vergänglic­hkeit und fragile Materialit­ät den direkten Moment der Zerstörung“widerspieg­ele, soll künftig ausgestell­t werden. Und wohl scharenwei­se Touristinn­en und Touristen nach Lübeck locken. Ließe sich nicht auch in Augsburg irgendwo ein alter Zwetschgen­datschi auftreiben? Oder in München eine Leberkässe­mmel?

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Foto: Stadt Lübeck Verkohlt, aber sensatione­ll: die geborge‰ ne Torte von 1942.

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