Friedberger Allgemeine

Der Ex-Minister, der jetzt Pizza ausfährt

Syed Sadaats Geschichte geht um die Welt. In Afghanista­n war er Spitzenpol­itiker, heute schlägt er sich in Leipzig durch. Warum er für Gespräche mit den Taliban wirbt

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Vom Tellerwäsc­her zum Millionär: Diese Geschichte ist nicht neu. Die eines ehemaligen Staatsmini­sters, der nun Pizza und Burger ausliefert, anstatt Regierungs­befehle zu erteilen, hingegen schon. Es ist die Lebensgesc­hichte von Syed Ahmad Shah Sadaat. Einst Teil der afghanisch­en Regierung, arbeitet er heute in Leipzig als Kurierfahr­er. Manches an seiner Geschichte lässt sich kaum überprüfen, doch bewegend ist sie allemal. Der 50-Jährige stammt aus Nangarhar, einer Provinz im Osten Afghanista­ns. Als Kind habe er den Einmarsch sowjetisch­er Truppen erlebt, erzählt er der Leipziger Volkszeitu­ng. 1988 sei seine Familie vor dem Krieg nach Großbritan­nien geflohen. Seine Eltern, beide Lehrer, investiere­n ihr Geld in die Ausbildung ihrer acht Söhne. Er habe in Oxford Ingenieurw­esen studiert, zwei Master in Telekommun­ikation gemacht und für verschiede­ne Firmen gearbeitet. Er verdient gut, hat einen teuren Wagen vor seinem Haus in Oxford stehen. Aber er ist einsam. Da kommt ein Anruf aus Afghanista­n im Frühjahr 2016 genau richtig: Der afghanisch­e Präsident Aschraf Ghani bietet dem Experten einen Posten im Kommunikat­ionsminist­erium an. Sadaat will seinem Heimatland dienen, plant, jedes Dorf in den Gebirgen und abgelegene­n Tälern Afghanista­ns ans Internet anzuschlie­ßen. Fotos zeigen ihn staatsmänn­isch im Anzug, der Blick meist ernst und stolz.

Was dann passiert, lässt sich ebenfalls allein aus Sadaats Perspektiv­e erzählen:

Weil die Taliban im ganzen Land auf dem Vormarsch sind, zweigen offenbar bereits 2018 Regierungs­mitglieder Gelder aus allen Ministerie­n ab. Sadaat sträubt sich dagegen und muss deshalb die Regierung verlassen. Seit Dezember 2020 ist er in Deutschlan­d. Er lerne täglich, um seine Deutschken­ntnisse zu verbessern; für einen Job in seiner Branche reichen sie noch nicht aus. Und so wird aus dem Kommunikat­ionsminist­er ein FastFood-Bote. Die feinen Anzüge und teuren Autos tauscht er gegen Funktionsk­leidung und ein gebrauchte­s Mountainbi­ke. Seine Geschichte geht um die

Welt. Die mediale Präsenz beschert ihm neue Jobangebot­e. Sein jetziger Arbeitgebe­r wolle ihn für die Unternehme­nskommunik­ation gewinnen. Auch aus Afghanista­n erhält der ExMinister Nachrichte­n. „Manche fragen sich, warum ich bereit bin, Essen auszutrage­n“, sagt er. „Andere sind stolz auf mich, weil der Job der Beweis ist, dass ich nie ein korrupter Politiker war.“

Warum Sadaat, der vor Krieg und Korruption in seinem Land geflohen ist, sich dafür ausspricht, dass der Westen die Taliban-Regierung anerkennt und Gespräche aufnimmt? „Wenn ihr sie nicht anerkennt, wird alles noch viel schlimmer“, sagt er dem Spiegel. Und was für den Westen gilt, scheint auch für ihn selbst zu gelten. Eine Rückkehr nach Afghanista­n kann er sich jedenfalls – trotz allem – immer noch vorstellen. Vanessa Polednia

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Foto: dpa

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