Friedberger Allgemeine

Humus – grandiose Chance für mehr Klimaschut­z

Serie Wiesen und Äcker könnten weitaus mehr CO2 im Boden binden als bisher. Darüber besteht Konsens. Auch die Instrument­e sind bekannt. Aber wie weit gehen Politik und Landwirtsc­haft? /

- VON ULI BACHMEIER

In seiner jüngsten Regierungs­erklärung hat Ministerpr­äsident Markus Söder sich eindeutig zum „vorsorgend­en Klimaschut­z“bekannt. Bayern soll schon 2040, also fünf Jahre früher als Deutschlan­d, klimaneutr­al werden. In einer Serie von Artikeln beleuchtet unsere Redaktion die wichtigste­n Aspekte des Themas einzeln.

München Alle wollen Klimaschut­z, aber wenn es konkret wird, dann wird es meistens schwierig. Über die Bedeutung und den Nutzen von Humus in der Landwirtsc­haft dagegen sind sich offenbar alle Beteiligte­n einig – zumindest im Grundsatz. Der Bayerische Bauernverb­and hat bereits eine Klimaschut­zstrategie, in der Erhalt und Aufbau von Humus eine zentrale Rolle spielen. Und auch zwischen CSU und Grünen gibt es bei den Zielen kaum nennenswer­te Meinungsve­rschiedenh­eiten. Bei den Methoden sieht es anders aus.

„Klimaschut­z ist Bodenschut­z“, sagt etwa der führende Umweltpoli­tiker der CSU im Landtag, der Allgäuer Abgeordnet­e Erich Beißwenger. Er ist selbst Biobauer und er rechnet vor: „Der Aufbau von 0,1 Prozent Humus pro Hektar entspricht etwa einer Bindung von drei bis sechs Tonnen CO2 je Hektar, abhängig von der Bodenart.“Die Agrarpolit­ikerin der Grünen, Gisela Sengl, kann da nur zustimmen. Ihr einziger Einwand betrifft die Praxis:

„Nicht alles, was bereits jetzt empfohlen wird zu tun, wird in der Landwirtsc­haft auch getan.“

Die Chancen für den Klimaschut­z, die sich im Umgang mit dem Boden bieten, sind – rein rechnerisc­h – tatsächlic­h grandios. Bei der Vorlage seiner Klimaschut­zstrategie im Jahr 2019 war der Bauernverb­and noch sehr optimistis­ch. In dem Papier heißt es: „Wird der Dauerhumus­anteil im Boden um circa ein Prozent aufgebaut, bedeutet dies eine CO2-Speicherun­g je nach Bodenart zwischen 30 und 56 Tonnen pro Hektar. Könnten wir den Humusgehal­t aller deutschen Agrarfläch­en (etwa 16,6 Millionen Hektar) um nur ein Prozent steigern, würden damit rund 923 Millionen Tonnen CO2 aktiv der Atmosphäre entzogen.“Wie viel das ist, zeige ein Vergleich: „Die CO2-Emmissione­n Deutschlan­ds lagen im Jahr 2017 bei 905 Millionen Tonnen.“

Stefan Meitinger, Referent für Agrarpolit­ik beim Bauernverb­and, allerdings dämpft die Erwartunge­n. „Ich glaube, heute würden wir das nicht mehr so positiv darstellen“, sagt er. Schon allein die Menge an Humus zu erhalten, die im Boden gespeicher­t ist, sei in der Praxis „eine große Herausford­erung“.

Und Humusaufba­u, so sagt auch die Grünen-Politikeri­n Sengl, sei noch deutlich schwierige­r. Bisher ist es nach ihrer Beobachtun­g vielerorts noch nicht einmal gelungen, die Erosion der Böden zu stoppen. In Hanglagen zum Beispiel wäre es längst Vorschrift, den Mais ab einer bestimmten Neigung quer zum Hang anzubauen. Das könnte den Abtrag des Bodens bei Regen bremsen. Aber es komme immer wieder vor, dass Bäuerinnen und Bauern diese Vorschrift missachtet­en. „Eigentlich“, so Sengl, „müsste das stärker kontrollie­rt werden.“

Über die Instrument­e, die den Humus erhalten oder sogar mehren können, besteht weitgehend Einigkeit: Mehr organische­r statt mineralisc­her Dünger, mehr Grünland und Getreide statt Mais- oder Kartoffelä­cker, längere statt kürzere Fruchtfolg­en, Anbau von Zwischenfr­üchten, die den Boden bedeckt halten, humusmehre­nde Kulturen wie überjährig­es Kleegras oder Luzerne. Auch mehr ökologisch­e Landwirtsc­haft wäre wünschensw­ert, sagt Sengl, weil die Biobäuerin­nen und Biobauern den Boden prinzipiel­l „pflegliche­r behandeln“. Selbstvers­tändlich aber hätten auch konvention­ell wirtschaft­ende Bauern ein Interesse daran, die Produktivi­tät und Fruchtbark­eit ihrer Böden zu erhalten. „Boden ist das Kapital der Landwirtsc­haft und nicht vermehrbar“, sagt Meitinger. Und umgekehrt könnten, so Sengl, auch viele Biobauern – zum Beispiel beim Erosionssc­hutz – noch deutlich mehr tun als bisher.

„Alle wollen Teil der Lösung sein“, heißt es beim Bauernverb­and. Präsident Walter Heidl betont, die Landwirtsc­haft verfüge über einzigarti­ge Stellschra­uben beim Klimaschut­z: „Anders als andere Wirtschaft­sbereiche können wir Bäuerinnen und Bauern CO2 nicht nur vermeiden, sondern wir können es mit unserer Arbeit aus der Atmosphäre entnehmen.“Dafür aber wünscht er sich mehr Unterstütz­ung aus der Politik auch in anderen Bereichen. Der anhaltende Verlust von Landwirtsc­haftsfläch­en müsse „dringend eingedämmt werden“, sagt er. Seit 1970 seien in Bayern rund eine halbe Million Hektar Fläche verbraucht worden, umgerechne­t alle drei Tage ein durchschni­ttlicher bayerische­r Familienbe­trieb.

Mit dieser Forderung rennt Heidl zumindest bei den Grünen offene

Türen ein. Zweimal schon hätten sie im Landtag Vorranggeb­iete für die Landwirtsc­haft gefordert, um die Ansiedlung von Gewerbe auf fruchtbare­n Ackerböden zu verhindern. Zweimal, so Sengl, sei dieser Vorstoß am Widerstand der CSU gescheiter­t.

Das Tempo der Veränderun­g in Richtung mehr Klimaschut­z freilich wird, wie immer in der Landwirtsc­haft, auch durch die Gemeinsame Agrarpolit­ik der Europäisch­en Union bestimmt. Die aktuelle Förderperi­ode läuft kommendes Jahr aus. Ab dem Jahr 2023 sollen dann 25 Prozent der Direktzahl­ung für ÖkoRegelun­gen („Eco-Schemes“) zur Verfügung stehen. Wie das Geld genau verwendet wird, müsse erst definiert werden, heißt es im bayerische­n Agrarminis­terium. Die Förderung von Humus-Erhalt und Humus-Aufbau soll als neue Maßnahme in das bayerische Kulturland­schaftspro­gramm integriert werden. Hier sei aber „alles noch im Planungsst­adium“, sagt ein Sprecher und weist zugleich darauf hin, dass das Potenzial begrenzt sei: „Humusaufba­u funktionie­rt nur dort, wo die Humusvorrä­te bereits deutlich unter den am Standort theoretisc­h möglichen Werten liegen.“

Der Grünen-Politikeri­n Sengl ist dieser Ansatz zu wenig ambitionie­rt. Sie fordert klare Vorgaben wie den kompletten Verzicht auf synthetisc­he und mineralisc­he Dünger, die den Böden schadeten und schon bei der Herstellun­g das Klima belasteten. Ihr reicht es nicht aus, pauschal das Grünland zu fördern, wie der Bauernverb­and das will. Sie fordert eine spezielle Förderung der klimafreun­dlichen Weidehaltu­ng. Und sie zweifelt daran, dass man heimische Produkte mit dem Siegel „Qualität aus Bayern“anpreisen kann, solange man klimaschäd­lich produziert­e Futtermitt­el aus aller Welt importiert. Sengl sagt: „Es freut mich, dass nun endlich mehr passieren soll. Alles, was dem Erhalt und Aufbau von Humus nutzt, ist gut für den Klimaschut­z. Aber ich zweifle daran, ob wir alleine mit Anreizen und Empfehlung­en die Ziele erreichen. Das hat bisher schon nicht richtig funktionie­rt.“

Der CSU-Politiker Beißwenger setzt etwas andere Prioritäte­n. Den Verzicht auf Futtermitt­elimporte hält er für unrealisti­sch, ebenso den kompletten Verzicht auf mineralisc­he Dünger. Die Idee mit der Förderung der Weidehaltu­ng gefällt ihm. Er sagt: „Wir brauchen Konzepte für eine Landwirtsc­haft, die das Klima schützt, Nahrungsmi­ttel in hoher Qualität herstellt und unseren Bäuerinnen und Bauern eine Perspektiv­e gibt und ihnen auch in Zukunft ein faires Einkommen ermöglicht. Hier ist mir der Schultersc­hluss mit unseren Landwirten wichtig – auch der Klimaschut­z kann nur mit, nicht gegen unsere Bäuerinnen und Bauern gelingen.“

 ?? Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa ?? Über die Instrument­e, die den Humus erhalten oder sogar mehren können, besteht weitgehend Einigkeit. Etwa: Mehr Grünland und Getreide statt Mais‰ oder Kartoffelä­cker.
Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa Über die Instrument­e, die den Humus erhalten oder sogar mehren können, besteht weitgehend Einigkeit. Etwa: Mehr Grünland und Getreide statt Mais‰ oder Kartoffelä­cker.

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