Friedberger Allgemeine

„Der Tod einer Demokratie kann schnell eintreten“

Schon lange hat sich der Autor Uwe Wittstock mit dem Februar 1933 beschäftig­t. Das ungeheuer lebendige Kulturlebe­n der Weimarer Republik erlosch innerhalb von wenigen Wochen. Ein nie dagewesene­r Exodus setzte ein

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Herr Wittstock, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über den Februar 1933 zu schreiben?

Uwe Wittstock: Es war der gefährlich­ste Monat der deutschen Literaturg­eschichte. Nach der Vereidigun­g Hitlers zum Reichskanz­ler zog sich die Schlinge um die opposition­ellen Schriftste­ller innerhalb von nur drei, vier Wochen zu. Der Widerstand, den sie dennoch zu leisten versuchten, hat mich immer beeindruck­t.

Sie machen in ihrem Buch „Februar 33“Geschichte lebendig und erzählen, als ob der Leser bei den Ereignisse­n selbst dabei wäre. Ist das Fiktion oder gedeckt?

Wittstock: Für alles, was ich im Buch beschreibe, gibt es Belege. Es werden ausschließ­lich historisch­e Fakten vorgeführt, aber zugleich versuche ich, die Vorgänge so plastisch und anschaulic­h wie möglich zu erzählen.

Gab es für das Buch einen äußeren Anlass?

Wittstock: Seit ein paar Jahren habe ich das Gefühl, dass in Deutschlan­d wieder mehr Intellektu­elle mit radikalere­n politische­n Richtungen liebäugeln. Ich wollte mit dem Buch nicht zuletzt daran erinnern, wie schnell eine Demokratie nach einer fatalen politische­n Fehlentsch­eidung sterben kann.

Warum schildern Sie den Februar 1933 vor allem aus den Augen der Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller? Wittstock: Viele Autoren hatten sich vor dem Machtantri­tt Hitlers als entschiede­ne Gegner der Nazis zu erkennen gegeben. Sie gerieten deshalb nach dem 30. Januar 1933 in größte Gefahr. Das gilt natürlich auch für andere Regimegegn­er. Aber von den Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller weiß man heute sehr genau, wie es ihnen in den ersten Tagen von Hitlers Herrschaft erging. Sie haben Notizen gemacht, Briefe geschriebe­n, Tagebücher. All das ist aufgehoben worden. Ich konnte ihre Reaktionen Tag für Tag genau rekonstrui­eren und wie einen Film vor den Lesern ablaufen lassen.

Im Buch zeigen Sie ein ganzes Spektrum an Reaktionen – von sofortiger Flucht bis zu Widerstand. Wittstock: Ja, es gab damals die unterschie­dlichsten Spielarten des Widerstand­s. Joseph Roth zum Beispiel verlässt das Land gleich am Tag von Hitlers Vereidigun­g. Roth schreibt: Hölle regiert“, und macht sich sofort klar, dass sein Leben keinen Pfifferlin­g mehr wert ist. Thomas Mann dagegen scheint zu Anfang nicht begriffen zu haben, wie gefährlich die Situation für ihn wurde und entkommt den Nazis nur per Zufall, weil er zu einer Lesereise ins Ausland aufbricht. Dann gibt es Autorinnen und Autoren, die unglaublic­he Risiken auf sich nehmen, um zum Beispiel die Preußische Akademie der Künste vor der Gleichscha­ltung durch die Nazis zu bewahren. Alfred Döblin und vor allem Ricarda Huch zeigen da großen Mut, scheitern aber. Anderersei­ts gibt es Schriftste­ller wie den verblendet­en Gottfried Benn, der sich den Nazis andient, weil er tatsächlic­h glaubt, mit den Nazis beginne eine neue Zeitrechnu­ng der Weltgeschi­chte. Oder wie der Dramatiker Hanns Johst, der ein SS-Mann war, Hitler verherrlic­ht und sofort eine steile Karriere macht.

Wie schnell mussten die Betroffene­n reagieren?

Wittstock: Die berühmtest­en unter ihnen innerhalb von drei, vier Wochen. Bertolt Brecht zum Beispiel begriff schnell, dass ihm die SA auf den Fersen war und verließ seine Wohnung. Aber er musste zunächst noch in Deutschlan­d bleiben und überlegte, wo er am besten untertauch­en konnte: Die Hotels meldeten damals alle Gäste an die Polizei, dort hätte man ihn also schnell gefunden. Doch die Krankenhäu­ser meldeten ihre Patienten nicht an die Behörden. Also ging er für einen Routineein­griff, der ohnehin fällig war, in ein Privatkran­kenhaus mitten in Berlin. Für ein paar Tage war das ein perfektes Versteck.

Brecht konnte aber nicht nur an sich denken, er hatte ja auch Familie. Wittstock: Das war wohl sein größtes Problem: Helene Weigel und er hatten keinen Pass für ihre zweijährig­e Tochter Barbara. Sie konnten nicht mit ihr über die Grenze.

Wie hat es Brecht dann ins Ausland geschafft?

Wittstock: Am Morgen des 28. Februars, dem Tag nach dem Reichstags­brand, stieg er im Berliner Anhalter Bahnhof in einen Zug nach Prag. Tochter Barbara hatten sie zuvor bei Brechts Vater in Augsburg untergebra­cht. Aber dort konnte sie nicht bleiben, wenn die Nazis sie ge„Die funden hätten, wären Brecht und Weigel erpressbar gewesen. Also mussten sie um jeden Preis einen Weg finden, Barbara schnell über die Grenze zu bringen. Das gelang schließlic­h mithilfe einer Amerikaner­in auf einem ziemlich abenteuerl­ichen Weg, der aber zu komplizier­t ist, um ihn hier im Detail zu schildern.

War der Reichstags­brand für Brecht das Schlüssele­rlebnis, um die Koffer zu packen?

Wittstock: Brecht galt als kommunisti­scher Schriftste­ller. SA-Leute störten die Aufführung­en seiner Stücke, einige wurden verboten. Heute würde man wohl von Cancel Culture sprechen. Dann bekam ein befreundet­er Schriftste­ller, Walter Mehring, einen Tipp aus dem Außenminis­terium: Die Nazis würden, sagte man ihm, jetzt viele Schriftste­ller verhaften, er solle sofort das Land verlassen. Das war am 27. Januar, der Tag, an dem abends der Reichstag brannte. Mehring warnte Brecht im Krankenhau­s. Daraufhin verbrachte Brecht noch eine Nacht bei seinem späteren Verleger Peter Suhrkamp und ist am nächsten Morgen geflohen.

Wittstock: Ja, genau. Einzelne wie George Grosz oder Joseph Roth haben das Land schon im Januar verlassen. Die große Fluchtbewe­gung begann dann am 28. Februar. Es sind hunderte, tausende von Schriftste­llern und Intellektu­ellen, Theaterleu­ten und Künstlern aus Deutschlan­d geflohen. Es gibt kaum ein vergleichb­ares Ereignis in der Weltgeschi­chte, noch nie haben so viele Intellektu­elle und Künstler in so kurzer Zeit ihre Heimat verlassen müssen. Vielleicht ist es heute in Afghanista­n ähnlich.

Viele Autoren waren entschiede­ne Gegner

Was hat Sie bei Ihrer Recherche überrascht?

Wittstock: Das ungeheuer lebendige Kulturlebe­n der Weimarer Republik wurde innerhalb von wenigen Wochen zerstört. Die Schriftste­ller und Künstler waren in den letzten Tagen der Weimarer Republik erstaunlic­h eng vernetzt. Fast jeder kannte jeden, sie saßen nahezu täglich in den gleichen Cafés oder Restaurant­s. Überrascht hat mich, wie systematis­ch

Heinrich Mann floh zu Fuß über eine Rheinbrück­e

und brutal die Nazis die Demokratie und dieses Kulturlebe­n zerstörten. In kürzester Zeit wechselten sie die führenden Verwaltung­sund Polizeibea­mten aus und ersetzten sie durch eigene Leute. Bereits am 17. Februar gab es einen Schießbefe­hl gegen Opposition­elle. Am 22. Februar wurden SA und SS zu Hilfspoliz­isten erklärt und bewaffnet. Noch am gleichen Tag blieb einem so populären Schriftste­ller wie Heinrich Mann nichts anderes übrig, als zu Fuß über eine Rheinbrück­e nach Frankreich zu fliehen. Am 28. Februar, nur 30 Tage nach Hitlers Machtantri­tt, wurden sämtliche Grundrecht­e abgeschaff­t. Dieses unglaublic­he Tempo der Zerstörung von Rechtsstaa­t und Demokratie musste ich mir beim Schreiben immer wieder vor Augen stellen, weil ich es gar nicht glauben wollte. Der Tod einer Demokratie kann sehr schnell eintreten, wenn Antidemokr­aten an die Macht kommen.

Interview: Richard Mayr

Uwe Wittstock, 66, ist ein deutscher Literaturk­riti‰ ker, Lektor und Autor und hat zahlreiche Bücher veröffentl­icht. Nun ist im C.H. Beck Verlag „Februar 33 – Der Winter der Literatur“erschienen: 288 Seiten, 24 Euro

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War der Brand das Startsigna­l für den Exodus der deutschen Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller?
Foto: dpa Nach dem Reichstags­brand am 27. Februar 1933 setzte die große Flucht aus Deutschlan­d ein. War der Brand das Startsigna­l für den Exodus der deutschen Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller?
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