Vom Beginn einer wunderbaren Freundschaft
Leben Katharina Gerold ist Parkinson-Patientin und schaltet eine Zeitungsannonce, weil sie sich einsam fühlt. Dadurch lernt sie Christine Fritsch kennen. Was die beiden Frauen verbindet
In der Nähe von Mobiltelefonen und elektrischen Geräten bekommt Katharina Gerold ein komisches Gefühl. Sie zeigt auf ihre rechte Leiste und fährt mit dem Finger hoch bis zum Rippenbogen. Es fühle sich an, als wären eisige, klamme Finger im Begriff aufzutauen, erklärt sie denen, sie sich diesen Zustand vorzustellen versuchen. Die 71-Jährige ist seit zehn Jahren an Parkinson erkrankt, was seit einer Rücken-OP alles andere als besser wurde. Seit Kurzem lebt sie im Seniorenzentrum, doch weil sie sich dort ein wenig einsam fühlte, ging sie einen außergewöhnlichen Schritt.
Die fortschreitende Beeinträchtigung, sagt Katharina Gerold, habe mittlerweile eine „ganz schlechte Konstellation“mit einer Elektrosensibilität erfahren und sie nach immer wiederkehrenden Aufenthalten in der Waldhausklinik vor zwei Monaten in ein Einzelzimmer des Caritas-Seniorenzentrums St. Anna in Lechhausen geführt. Die Elektrosensibilität spüre sie auch im „elektrischen Pflegebett“. „Eigentlich bin ich ein Mensch“, sagt sie, „der sich immer zu helfen wusste.“Auch in diesem Stadium ihrer Erkrankung vertraute sie auf diese Fähigkeit und schritt deshalb zur Tat. Auf der Suche nach Gesellschaft schaltete sie eine Annonce in der Augsburger Allgemeinen. Die Resonanz, sagt sie, sei immens gewesen.
Der Text ihres Inserats lautete wie folgt: „Frau, 71, derzeit im Rollstuhl, suche Menschen, die mich im Altenheim besuchen und mir etwas von Augsburg zeigen.“Viele meldeten sich, die sie jedoch nicht alle zurückrief, weil sie momentan den Telefonhörer nicht selbstständig halten kann. Doch Katherina Gerold hatte ihre Wahl auch so schnell getroffen: Christine Fritsch ist nun seit Kurzem ihre „Auserwählte“, Vertraute, Gesellschafterin. Auch die 78-Jährige, die zwei Söhne an den Krebs verloren hat, ist froh, seit der Kontaktaufnahme jeden zweiten Tag dem Alleinsein entrinnen zu können.
Denn wie sie sagt, ist sie von ihrer Familie „als einzige übrig geblieben“. Nur das mit den gemeinsamen Ausflügen in die Stadt trauen sich die beiden dann doch nicht zu. „Wenn ich irgendwo hinwill“, sagt Katharina Gerold, „brauche ich ein Krankentaxi.“Und obwohl Tramhaltestelle „Kulturstraße“der Linie 1 direkt vor St. Anna liegt, raten ihr die Pflegerinnen und Pfleger davon ab, auszufahren. Auch Christine Fritsch hat Angst, die Patientin könnte aus dem Rollstuhl kippen. Und den Rollstuhl zu schieben, traue sie sich nicht zu, weil sie doch selbst am Rollator nach Sicherheit suchen müsse.
So sitzen die beiden Frauen an diesem Nachmittag in trauter Zweisamkeit an einem Tisch im Aufenthaltsbereich des Seniorenheimes an der Blücherstraße und erzählen sich aus ihrem Leben. Etwa darüber, warum der Enkel von Christine Fritsch gerne von seiner „coolen Oma“spricht, die, wie sie selbst sagt, es genießt, auf ihren sportlichen, tiefer gelegten Toyota-Hybrid angesprochen zu werden, um dann vor aller bewundernden Augen ihren Rollator einzuladen. Und dann sagt sie noch: „Sie glauben gar nicht, wie schön es ist, von früher zu erzählen.“Auch auf die passende Sternenkonstellation weisen die beiden öfter hin: Ihre Kontaktfreudigkeit trotz Krankheit schreibt Katharina Gerold dem Wassermann in sich zu. Dieses Temperament, gepaart mit Ausgeglichenheit, Hilfsbereitschaft und Offenheit der Waage, sei für die beide Frauen der Grund, warum sie sich auf Anhieb so gut verstanden, glauben sie.
Ihren Humor haben sich beide trotz ihrer Schicksale bewahrt. Das wird auch deutlich, wenn die Jüngere über ihre berufliche Tätigkeit als Verkäuferin im Einzelhandel beziehungsweise in einem Geschirrladen erzählt. Ebenso nobel wie die angedie botenen Kristallsterne in dem Weilheimer Markenstudio seien die Preise gewesen, sagt Katharina Gerold und kichert. Auch im Außendienst einer Krankenversicherung sei sie früher einmal beruflich tätig gewesen.
Vom etwas düsteren Aufenthaltsraum im Parterre von St. Anna wechselt die Gruppe auf Wunsch von Katharina Gerold in den sonnendurchfluteten Wintergarten mit Blick auf die belebte Blücherstraße. Dort wünscht sie sich den Platz am leicht zu erreichenden Tischende, während ihre Besucher auf bequemen roten Polstern Platz nehmen dürfen. Sie selbst, die sich im Rollstuhl kaum mehr eigenständig aufrichten und in eine entlastende Position bringen kann, braucht die Tischplatte als Stütze. Dort sinkt sie nach und nach vornüber in sich zusammen, je länger die Unterhaltung andauert.
Begonnen habe es mit dem für Parkinson typischen Tremor, der sich durch das Zittern der Hände manifestiert, „ganz unspektakulär“. Ihre Verfassung scheint sich momentan aber zu verschlechtern. „Bis jetzt habe ich noch nicht verzweifelt“, sagt sie und ergänzt: „Langsam tu ich’s aber schon.“Jede der Frauen versucht, auf ihre Weise „das Beste aus diesem Leben zu machen“. Die eine wollte einfach nur rauskommen, die andere in Kontakt mit Menschen bleiben. Einmal mehr blitzt der humorvolle, wache Geist von Katharina Gerold auf, als es ans Fotografieren geht. Da bedauert sie, ihren „Make-up-Artist“nicht bei der Hand zu haben.