Heilerin schreibt Aichachs älteste Eiche gesund
Natur Die Sebastianeiche ist 178 Jahre alt und war zuletzt von einem Pilz bedroht. Dann schaltete die Stadt eine Baumheilerin ein. Sie kümmerte sich rund anderthalb Jahre lang um den Baum
Aichach Sie war da, als 1875 die Bahnlinie Augsburg–Aichach–Ingolstadt eröffnet wurde. Sie überlebte zwei Weltkriege, und auch die Jahrtausendwende ging spurlos an ihr vorüber: Aichachs älteste Eiche ragt neben der Sebastiankapelle an der Donauwörther Straße über 20 Meter hoch in den Himmel. Zuletzt aber kämpfte der 178 Jahre alte Baum ums Überleben. Um den Wappenbaum zu retten, setzte die Stadt auch auf die Hilfe von Baumheilerin Lucia Bucher. Sie hat nun eine gute Nachricht von Sebastian, wie sie die Eiche liebevoll nennt.
Bürgermeister Weinmiller ließ 1843 Eichen an den Einfallstraßen der Stadt pflanzen. Die Sebastianeiche hat womöglich als einzige davon bis heute überlebt. Wolfgang Brandner von der Kreisheimatbücherei verweist allerdings auf Forschungsergebnisse des früheren Kreisheimatpflegers Karl Leinfelder (1883 – 1963). Dieser vermutete, dass die bis heute existente Eiche an der Ecke Tandlmarkt/Martinstraße ebenfalls 1843 gepflanzt worden sein könnte. Ob es nun eine oder zwei „älteste“Eichen im Stadtgebiet sind, für Richard Brandner vom Stadtbauamt steht fest: „Das ist einer der wertvollsten Bäume in Aichach.“Deshalb wolle die Stadt die Sebastianeiche so lange wie möglich halten.
Das war zuletzt nicht einfach. Denn der Tropfende Schillerporling, jener Pilz, der 2002 das Ende der ebenfalls 1843 gepflanzten Zametzer-Eiche besiegelt hatte, befiel vor rund zehn Jahren auch die Sebastianeiche. Weither lässt die Stadt die Standsicherheit des Baumes regelmäßig überprüfen. Gegen den Pilz aber, der die Wurzeln zersetzen kann, war bislang kein Kraut gewachsen. Laut Baumheilerin Lucia Bucher aus dem Affinger Ortsteil Haunswies ist der Fruchtkörper immer wieder gekommen, so oft ihn die Stadt auch entfernt habe. Bucher ist ein Begriff, seit sie 2016 in Kühbach einen Ahorn rettete, den junge Kerle komplett entrindet hatten.
Ende 2019 behandelte Bucher die Sebastianeiche. Sie entfernte den dicken Pilzfruchtkörper unten am Stamm mit Hammer und Meisel, versorgte die Wunde mit Keramikpulver und schloss sie mit Lehm. Und sie versorgte die Eiche mit Nährstoffen. Denn sie stand nach Ansicht Buchers unter Dauerstress. Neben dem Pilz setzten ihr Bauarbeiten, Luftverschmutzung und Elektrosmog zu.
Die Baumheilerin servierte der Eiche ein Büfett aus Vitaminen, Enzymen und Mineralien. „Den Baum auf Kur schicken“, nennt Bucher das. Über Löcher in der umgebenden Grünfläche wurde den Wurzeln Schwarzerde-Bokashi zugeführt. Bucher goss mit Unterstützung des Bauhofes mit Effektiven Mikroorganismen (EM) ein und brachte Urgesteinsmehl und Zeolith auf der Grünfläche aus. Hinzu kamen spezielle EM-Gaben für die Pilzwunde.
Ein neuer Fruchtkörper des für den Baum tödlichen Pilzes ist bislang nicht wieder aufgetaucht, und auch die Wunde ist weitgehend verheilt. Bucher geht deshalb davon aus, dass ihre Spezialbehandlung die Pilzsporen vernichtet habe. Mit einem Lachen sagt sie am Telefon: „Vor einem halben Jahr hab ich ihn gesundgeschrieben.“Sie schaut trotzdem oft bei ihrem Schützling Sebastian vorbei, grüßt ihn, nennt ihn beim Namen. Eine freundliche Ansprache an den Baum rät sie auch den vielen Menschen, die sich imSeit mer wieder bei ihr nach seinem Schicksal erkundigen. Bäume mit eigenem Namen hätten eine ganz andere Schwingung, sagt Bucher und ergänzt: „Das ist meine Art, andere sagen: Die spinnt.“Es ist herauszuhören, dass sie Letzteres völlig unbeeindruckt lässt.
Die Sebastianeiche gesundschreiben würde Richard Brandner von der Stadt wohl nicht. So weit lehnt er sich nicht aus dem Fenster. Denn: Der Fruchtkörper sei das Letzte, was von einem Pilz sichtbar werde. Ob und wie Sporen im Inneren des Baumes wirkten, sei von außen nicht zu erkennen. Es sei zwar eine Untersuchung möglich, doch die würde die Eiche nur beschädigen. So bleiben nur das Ergebnis einer weiteren schalltomografischen Untersuchung, die im Frühjahr stattfand, und der Augenschein. Beides fällt positiv aus. „Der Baum steht mächtig da“, freut sich Brandner. Ist es Buchers Behandlung? Ist es der feuchtere Sommer ohne große Hitze- und Trockenperiode?
Das vermag Brandner nicht zu sagen. Er hält aber eine Kombination verschiedener Methoden für sinnvoll, darunter ein weiterer Entlastungsschnitt für die Krone, der im Herbst geplant ist, um Stürmen wenig Angriffsfläche zu bieten, aber auch Buchers Behandlung. „Der Baum ist es immer wert“, sagt Brandner, zumal die Kosten der alternativen Heilmethode überschaubar seien. Eine Rechnung hat Lucia Bucher noch nicht geschrieben. Die aber werde sich in einem mittleren dreistelligen Bereich bewegen, inklusive Material, kündigt sie an. Die schalltomografische Untersuchung kostet laut Brandner an die 1000 Euro, ein Zugverfahren zur Überprüfung der Standfestigkeit, die in ein paar Jahren geplant ist, 1500 bis 2000 Euro.
Unter dem Strich befürchtet Brander, dass die bisherigen Schäden durch den Pilz nicht umkehrbar seien und den Baum auf lange Sicht gefährdeten. Doch Eichen seien robust. Für die kommenden 20 Jahre sieht Brandner keine Gefahr. Fest steht für ihn: „Die Eiche wird alle Unterstützung bekommen, die sie kriegen kann.“
Lucia Bucher rät, Sebastian auch künftig gut zu versorgen. Ihr Tipp: den Rasen drumherum zweimal jährlich mulchen und ab und zu mit Urgesteinsmehl eingießen. Das führe dem Boden Nährstoffe zu und versorge wiederum den Baum. Sie weiß, was alte Bäume leisten können.
Ein Exemplar wie die Sebastianeiche ersetze mindestens 3000 junge, kleine Bäumchen, was die Umwandlung von Kohlendioxid in Sauerstoff anbelange. Deshalb bedauert es Bucher umso mehr, dass die 2002 gefällte Zametzer-Eiche nie nachgepflanzt wurde. Sie hätte heute schon eine stattliche Größe erreicht.