Friedberger Allgemeine

Der Lautsprech­er

CSU-Chef Markus Söder hält beim Parteitag die Rede eines Kanzlerkan­didaten, der keiner sein durfte. Er schickt Kampfansag­en nach links und rechts und stellt sich klar hinter Armin Laschet – zumindest öffentlich

- VON HOLGER SABINSKY‰WOLF UND MICHAEL STIFTER

Nürnberg Draußen vor der Halle, im Fanshop der CSU, kann man sich aussuchen, ob man den weiß-blauen Lautsprech­er lieber in Klein oder gleich als XL-Version möchte. Drinnen nicht. Markus Söder dreht den Regler auf maximale Lautstärke. Kurz vor Beginn des Parteitags twittert der CSU-Chef ein Foto von seinen Notizen. „30 Seiten Union pur!“, verspricht er. Es werden 30 Seiten Söder pur. Der Franke hat hier ein Heimspiel. Nicht nur, weil sich die CSU bei ihm zu Hause in Nürnberg trifft, sondern auch, weil er die eigenen Leute im Endspurt des Wahlkampfs hinter sich hat. Nur gegen wen? Dass man in Bayern nicht zufrieden mit Kanzlerkan­didat Armin Laschet ist, lässt sich längst nicht mehr verbergen. Noch reißen sich die meisten einigermaß­en zusammen. Aber es brodelt.

Söder hält die Rede eines Kanzlerkan­didaten, der aus unerfindli­chen Gründen keiner werden durfte. Er braucht keine Minute, um zum ersten Mal vor einem drohenden Linksrutsc­h nach der Bundestags­wahl zu warnen. Das sei keine Rote-Socken-Kampagne, aber die

SPD-Vorsitzend­en Kurt Schumacher, Willy Brandt und Helmut Schmidt würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie erleben müssten, dass ihre Partei mit den Linken gemeinsame Sache machen könnte, sagt Söder – und zitiert im gleichen Atemzug den ersten Bundeskanz­ler Konrad Adenauer mit den legendären Worten „Wir wählen die Freiheit!“Spätestens hier wird klar, in welcher Liga hier gespielt wird. Adenauer, Brandt, Schmidt, Söder – Bundeskanz­lerliga.

Kanzler soll aber ja eben nicht er selbst werden. Und weil der CSUChef weiß, dass die Medien auf solche Momente warten, diktiert er ihnen unter großem Applaus einen Satz in die Blöcke und Tastaturen: „Für alle Journalist­en zum Mitschreib­en: Wir wollen Armin Laschet als Kanzler haben statt Olaf Scholz oder Annalena Baerbock.“Ist hiermit notiert.

Doch was passiert, wenn der Unionskanz­lerkandida­t scheitert? Darüber denkt natürlich auch Söder nach. Allerdings nur, wenn die Mikrofone und Kameras aus sind. Für den Moment hat er eine andere Botschaft: „Wir setzen auf diesem Parteitag einen neuen Trend. Wir werden den Linken zeigen, dass wir noch nicht aufgegeben haben. Ich habe keinen Bock auf Opposition.“Keine Frage, Söder kann Bierzelt. Olaf Scholz als Schuldenka­nzler. SPD-Gruselkabi­nett statt Schattenka­binett. Grüne Umerziehun­gsmoral. Gender-Gaga. Anton Hofreiter, der sich seit Jahren erfolgreic­h weigert, die Leistungen des bayerische­n Friseurhan­dwerks in Anspruch zu nehmen. Die CSU als Kämpferin für die Leberkäs-Etage – und nicht die Kaviar-Etage. Volksfests­timmung!

Als Söder fertig ist, wird es laut. So laut, dass selbst der Pappaufste­ller von Franz Josef Strauß am Eingang ein bisschen zu zittern scheint. Und alle in der Halle spüren: Dieser Mann hat sich längst nicht damit abgefunden, dass ein paar ältere Herren in der CDU ihn, für den es doch nur Hauptrolle­n gibt, zum Nebendarst­eller degradiert haben. Draußen im Fanshop gibt es übrigens auch einen Söder-Meterstab. Ob er ausreichen würde, um das versammelt­e Selbstbewu­sstsein in der Messehalle zu ermessen, darf in diesem Moment bezweifelt werden.

Wie das alles ausgeht? Auch wenn sich die Laschet-Begeisteru­ng in der CSU im kaum noch messbaren Bereich bewegt, gefällt nicht allen die aktuelle Kraftprobe mit der Schwesfrüh­eren terpartei. Und im Umfeld des Kanzlerkan­didaten vermeidet man es derzeit lieber, den Namen des bayerische­n Ministerpr­äsidenten auch nur in den Mund zu nehmen. Doch es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass das Drehbuch dieser spannendst­en Bundestags­wahl aller Zeiten doch noch eine Überraschu­ng, eine neue Rolle für Söder vorgesehen hat. Auch wenn der CSU-Chef selbst abwinkt – nicht wenige in der Union können sich vorstellen, dass er einen neuen Anlauf aufs Kanzleramt nimmt. Spätestens in vier Jahren.

Noch ist es nicht so weit, noch hofft die Union, dass sich Armin Laschet irgendwie ins Ziel retten kann. Um zumindest nach außen hin die Kulisse aufrechtzu­erhalten, dass die Schwesterp­arteien Seite an Seite kämpfen, geben die beiden Generalsek­retäre Paul Ziemiak und Markus Blume Stunden vor dem Parteitag noch ein gemeinsame­s Statement ab – „maximale Geschlosse­nheit“und so weiter. Es verrät eine Menge über das Verhältnis zwischen CDU und CSU, dass dies überhaupt nötig wurde. Der tatsächlic­he Kanzlerkan­didat kommt erst am Samstag. Dann wird sich zeigen, ob sein Gastgeber der Versuchung widerstehe­n kann, Laschet einmal mehr als zweitbeste Lösung wirken zu lassen, die die Union zu bieten hat.

Doch es geht ja nicht nur um Berlin, sondern auch um Bayern. Die nächste Landtagswa­hl ist der einzig wahre Gradmesser für die CSU. Auch hier sind die Aussichten allerdings trüb. Söder lässt sich davon nicht beirren. Er verteidigt seinen Kurs, gerade in der Corona-Politik, und bedankt sich bei seinen Mitstreite­rn: „Selbst in den schwersten Stunden wusste ich, dass ich von euch getragen werde.“Man bleibe im Team Vorsicht, „wir sind aber nicht das Team stur“, sagt Söder und zitiert aus Hass-Nachrichte­n an ihn. „Dreckiger Nazi. Wir vergewalti­gen deine Alte. Du kaputteste Judensau aller Zeiten.“Für einen Moment wird es still im Saal. Dann schickt Söder eine Kampfansag­e an Rechtsradi­kale, Querdenker und Judenhasse­r: „Wir lassen uns nicht einschücht­ern und bedrohen. Wer die Demokratie angreift, muss mit unserem erbitterte­n Widerstand rechnen.“So muss man das sagen, egal ob man Kanzler werden will oder nicht.

Nimmt Söder einen neuen Anlauf aufs Kanzleramt?

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ?? CSU‰Chef Markus Söder hielt beim Parteitag in Nürnberg mehr als eine Stunde lang eine kämpferisc­he Rede.
Foto: Daniel Karmann, dpa CSU‰Chef Markus Söder hielt beim Parteitag in Nürnberg mehr als eine Stunde lang eine kämpferisc­he Rede.

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