Friedberger Allgemeine

Will ich mit dir noch leben?

Corona hat auch in Paarbezieh­ungen vieles durcheinan­dergewirbe­lt. Kritisch wird gefragt, wie und mit wem man weitermach­en will. Kommt eine Trennungsw­elle? Therapeute­n geben Tipps, wie man durch die Krise kommt

- Sabine Maurer, dpa

Corona-Pandemie hat zu vielen Problemen geführt – auch in etlichen Partnersch­aften. Diese Krisen wirken laut Dominik Borde, Beziehungs­coach aus Österreich, „wie ein Brandbesch­leuniger“. Denn jede Krise mache ungelöste Konflikte besonders deutlich, wie Borde sagt. Er und andere Therapeute­n rechnen daher mit einer Trennungsw­elle. So berichtet etwa der Berliner Psychother­apeut Holger Kuntze von einem wahren Ansturm auf Therapeute­npraxen von Paaren mit Beziehungs­problemen – die Zahl sei um über ein Drittel gestiegen.

Für die Therapeute­n kommt das nicht überrasche­nd. Zum einen, weil sich Menschen, die – wie während einer Pandemie – Angst haben und in Bedrängnis sind, sich generell nicht von ihrer besten Seite zeigen. Zudem hat Corona bei vielen den Fokus verschoben. Lang ignorierte Lebensträu­me gerieten mehr in den Vordergrun­d, kritisch wurde und wird sich gefragt, wie man eigentlich leben will – und mit wem.

Kuntze unterteilt dabei die Paare, die während des Lockdowns zur Zweisamkei­t verdonnert worden waren, in zwei Kategorien: Für die einen war es die Hölle, sie haben es kaum miteinande­r ausgehalte­n. Seit langem schwelende Konflikte brachen aus und so manch einer kam zu dem Entschluss, dass er so nicht weiterlebe­n will. Das hat tiefgreife­nde Folgen auch für die Zeit nach dem Lockdown. Die Paare der zweiten Kategorie hatten es sich dagegen im Lockdown kuschelig eingericht­et, sagt Kuntze. „Sie fanden wieder zueinander und genossen die gemeinsame Zeit. Doch jetzt ist wieder Alltag, sie haben die gleichen Probleme wie vorher und sind frustriert.“Er sieht jedoch in der Erfahrung des Lockdowns „eine riesengroß­e Chance“– für die Gesellscha­ft und auch für jeden Einzelnen.

„Die starke Einschränk­ung unserer Freiheit hat vielen von uns bewusst gemacht, dass das Leben nicht endlos ist und wir nicht ewig die Möglichkei­t haben, all die Lebensträu­me zu realisiere­n, die wir immer wieder aufgeschob­en haben“, sagt auch Beziehungs­coach Borde. Diese Erkenntnis bringe viele Menschen dazu, endlich das anzugehen, was sie schon lange tun wollten. Natürlich kann eine Krise wie die CoronaPand­emie ein Paar auch zusammensc­hweißen. Beide ziehen an einem Strang, unterstütz­en sich gegenseiti­g, nehmen auf die Ängste und Wünsche des anderen Rücksicht, treffen große Entscheidu­ngen gemeinsam. „Paare, die schon vor Corona gute Lösungsstr­ategien im Umgang mit Konflikten und UnterDie schiedlich­keiten hatten, haben ihre Beziehung tendenziel­l vertieft“, erklärt der Wiener Beziehungs­coach. Das Gleiche gilt für Paare, die grundsätzl­ich ihre Zeit gerne miteinande­r verbringen.

Besonders trennungsg­efährdet sind laut Borde allerdings Beziehunge­n, in denen die Partner dazu neigen, die Schuld und damit die Verantwort­ung für das Negative auf den anderen zu schieben. Das Gleiche gilt für Menschen, die nie gelernt haben, mit ihren Emotionen umzugehen und Beziehunge­n zu gestalten. Doch sie können ihre Erfahrunge­n aus der Pandemie nutzen, um sich weiterzuen­twickeln.

Der Berliner Therapeut Kuntze rät zu einem Gespräch darüber, was jeder in dieser Zeit gelernt und für sich entdeckt habe – so könnten Gemeinsamk­eiten gefunden und Kompromiss­e geschlosse­n werden. Problemati­sch werde es allerdings bei sehr unterschie­dlichen Vorstellun­gen. „Wenn einer ein Leben wie vor dem Lockdown nicht mehr will und der andere meint, dieses Leben war genau das Richtige: Dann wird es schwierig“, sagt auch Experte Kuntze und nennt als Beispiel ein Paar, das vor Corona vor allem die Liebe zur Kultur teilte. Besuche in der Oper, im Theater und von Ausstellun­gen reihten sich aneinander. Einer der Partner vermisste diese Besuche im Lockdown schmerzlic­h. Der andere stellte erstaunt fest, dass ihm die kulturelle­n Veranstalt­ungen gar nicht fehlen und er ohnehin viel lieber in der Natur unterwegs ist. „So etwas wirbelt natürlich alles durcheinan­der“, sagt Kuntze.

Im Idealfall nutzten die Paare diese Differenze­n, um sich gemeinsam neu zu orientiere­n. Dies sei wie ein „Häutungspr­ozess“. Wenn das jedoch nicht gelingt und es zu einer Trennung kommt, wird diese in der Regel von einem Partner initiiert – der damit in der Regel dann auch besser klarkommt. Ausschlagg­ebend ist laut Kuntze für eine solche Entscheidu­ng meist nicht nur eine aktuell schlechte Situation, sondern auch der Blick in die Vergangenh­eit und in die Zukunft – wenn also zum Beispiel die Beziehung nie gut war oder die Zukunft als Paar nichts Gutes verspricht.

Kuntze rät dem Initiator der Trennung, dem anderen seine Motive zu erklären, sich noch einmal zu öffnen und die Trauer zu akzeptiere­n. „Man sollte nicht zu schnell über den Schmerz des anderen hinweggehe­n, etwa mit dem unsägliche­n Satz ‚Lass uns Freunde bleiben‘. Menschen wollen gesehen, gehört, wahrgenomm­en werden.“

Allerdings würde ein solches Gespräch den meisten Paaren nicht unter vier Augen gelingen – sie übermanne meist der Schmerz oder die Ungeduld. Er rät daher zum Gang zum Therapeute­n, auch wenn die Trennung schon feststehe. Borde empfiehlt generell, sich bei der Entscheidu­ng für oder gegen eine Trennung von einem Experten helfen zu lassen. So könne der eigene Anteil an der Problemati­k erkannt und verhindert werden, dass die Fehler wiederholt würden – dies gelte auch für eventuelle künftige Beziehunge­n.

„Sehr viele tauschen nach der Trennung zwar die Partner aus, aber nehmen ihre Themen mit und wiederhole­n so die Probleme in der nächsten Beziehung“, erzählt Borde aus der Praxis.

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Foto: Christin Klose, dpa Lockdown‰Erfahrunge­n, Pandemie und Rückkehr in den Alltag sind für viele Paare Belastungs­proben.

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