„Die Ressourcen sind endlich, nicht nur unsere“
Die neue Spielzeit beginnt mit einer Uraufführung des US-Dramatikers Neil LaBute. Staatsintendant André Bücker erklärt, wie es dazu kam, wie das Haus aus der Krise kommt und was es mit dem Spielzeitmotto auf sich hat
Herr Bücker, voller Saal und ausverkauft – wie lange haben Sie darauf verzichten müssen?
André Bücker: Das gab es jetzt 18 Monate lang nicht mehr bei uns am Haus. Ausverkauft ja, anders als andere Theater hatten wir in der Corona-Pandemie nie ein Zuschauerproblem, wenn wir spielen durften. Anderswo waren 150 Zuschauerinnen und Zuschauer erlaubt, und 50 wollten es sehen. Bei uns kam das Publikum – aber volles Haus, darauf warten wir schon lange. Das letzte Mal hatten wir das im März 2020.
Jetzt dürfen Sie wieder voll belegen. Ist die erste Premiere der Saison, die Uraufführung „Die Antwort auf alles“schon ausverkauft?
Bücker: Während wir jetzt sprechen, hat der Vorverkauf gerade begonnen. Ich hoffe, dass wir am Samstag in einer ausverkauften Brechtbühne in die Saison starten. Das wäre ein tolles Signal, dass unser Publikum gleich wieder kommt.
Wie war das 18 Monate lang für Ihr Ensemble, wenn es spielen durfte, vor stark gelichteten Rängen aufzutreten? Bücker: Zuletzt haben wir vor 1000 Leuten auf der Freilichtbühne gespielt. Das wirkte nicht leer und war total in Ordnung.
Aber Sie mussten auch vor 50 Zuschauerinnen und Zuschauern im Kongress am Park spielen.
Bücker: Das war das erste Sinfoniekonzert, das wir nach dem Lockdown geben durften. Das war absurd, das muss man klar sagen. Die wenigen Leute in diesem riesigen Saal, das war nicht nachvollziehbar auch in Hinblick auf den Infektionsschutz nicht. Solche Sachen passieren uns hoffentlich nie wieder, auch wenn es natürlich sein kann, dass wir einmal eine schlechter besuchte Vorstellung haben.
Theater planen Jahre im Voraus und müssen seit 18 Monaten ständig improvisieren und umplanen. Sind Sie schon wieder im alten Betriebsmodus angekommen?
Bücker: Wir nähern uns dem alten Modus wieder an. Es gibt ein paar Automatismen, die normalerweise am Theater funktionieren, die wir erst wieder aktivieren müssen.
Bücker: Gerne, hier eine kleine Anekdote. Bei einer Opernprobe steht auf der großen Bühne selbstverständlich ein Klavier. Wenn man das aber so lange nicht gemacht hat wie wir, fehlt es plötzlich. Und im ersten Moment weiß keiner, wo es eigentlich ist und wer dafür jetzt zuständig ist. Solche Sachen. Darüber hinaus haben wir nicht stillgestanden, sondern permanent eine Doppeltund Dreifach-Planung erstellt, um uns auf alle Möglichkeiten, wie wir spielen könnten, vorzubereiten. Auch für die neue Spielzeit hatten wir drei Pläne in der Schublade, je nach Situation – einen für Vollbesetzung, auf den wir jetzt zugreifen mit Vollbesetzung und allen Abos, wir hatten eine Wahlgutscheinlösung für Schachbrettmuster und eine Lösung mit allen Abständen. Das war das Anstrengende in Pandemiezeiten, dass wir immer doppelt und dreifach parallel planen mussten.
Wie sicher sind Sie, dass Sie nicht mehr absagen oder verkleinern müssen in der neuen Saison?
Bücker: Auch wenn die Zahl der Impfungen mittlerweile nur noch langsam steigt, hoffe ich, dass wir nicht wieder hinter den Status jetzt zurückmüssen. Es kann immer sein, dass wir eine Vorstellung absagen müssen, weil wir einen QuarantäneFall im Haus haben, aber grundsätzlich gehe ich davon aus, dass wir die Situation jetzt beibehalten werden. Mit 3G und Maske können sich alle Leute, die zu uns kommen, sehr sicher fühlen. Zumal es viele Studien gibt, die festgestellt haben, dass von Theaterbesuchen kein erhöhtes Übertragungsrisiko ausgeht.
Ist das jetzt der Moment, an dem das Schlimmste der Krise überstanden ist und es wieder aufwärts geht mit dem Kulturleben?
Bücker: Ich denke schon. Wir merken das bei uns im Haus. Wir hatten Anfang der Woche eine Vollversammlung zum Spielzeitstart. Der Saal im Martinipark war fast voll, es war wirklich eine ausgelassene Stimmung, die Kolleginnen und Kollegen haben sich extrem gefreut, dass es nun wieder losgeht. Das ist ja auch unser Daseinszweck. Wir proben nicht für uns, wir spielen für ein Publikum. Wir wollen unsere Arbeit zur Diskussion stellen, wollen unterhalten und Denkstoff liefern, all das.
Eine Frage noch zur Corona-Spielzeit 2020/21: Wie ging das den neuen Ensemblemitgliedern, die eingestiegen sind, zum Teil niemanden kannten und so gut wie nicht spielen durften?
Bücker: So etwas hat keiner je erlebt. Auch, vielleicht sogar gerade wegen der Pandemie-Zeit, hat sich aber ein sehr großer Zusammenhalt im Haus entwickelt, auch unter den neuen Kollegen, alle haben sich gegenseitig unterstützt. Auch die Verbindungen von technischen und künstlerischen Abteilungen sind enger geworden.
Hat durch die Pandemie das Verhältnis zu den freien Künstlern, die Sie engagieren, gelitten?
Bücker: Nein, gar nicht. Wir haben zum Beispiel zwei Mal im Sommer auf der Freilichtbühne gespielt – das waren mit die größten Shows, die ein Theater in Deutschland zu der Zeit gegeben hat. Dafür haben wir hauptsächlich Gäste engagiert, die dankbar waren, dass wir die „Musical-Gala“und „Chicago“herausgebracht haben in Pandemie-Zeiten. Da haben wir extrem viele positive Rückmeldungen bekommen.
Bücker: Das ist anzunehmen. Wir sind in jeder Beziehung ein Spiegelbild der Gesellschaft. Es gibt Leute, die es seltsam finden, zu Veranstaltungen zu gehen, an denen keine Abstandsregeln mehr gelten. Es gibt Leute, die es nicht gut finden, eine Maske tragen zu müssen. Andere lehnen 3G ab. Da werden wir wahrscheinlich die eine oder andere Diskussion führen müssen. Aber ich verweise noch einmal auf das, was ich vorhin gesagt habe: Wir konnten bislang alle unsere Karten für die Vorstellungen verkaufen. Das macht mich optimistisch.
Ihr Motto für die neue Spielzeit lautet „endlich“. Endlich wie endlich wieder spielen?
Bücker: Aber auch endlich wie die Ressourcen sind endlich. Nicht nur unsere, auch die der Welt. Wir haben zwei Produktionen – „Freitags vor der Zukunft“jetzt gleich im September und „Das Ende der Schöpfung“–, die sich mit Nachhaltigkeit, Klimawandel, Bewahrung der Natur beschäftigen. Drumherum veranstalten wir zwei Kongresse mit Vorträgen, Workshops und großem Programm. Hier arbeiten wir mit zahlreichen lokalen Initiativen und Akteuren sowie der Universität Augsburg zusammen. Und im Mai nächsten Jahres auch auf internationaler Ebene mit namhaften Protagonisten, die in diesem Thema zu Hause sind.
Das hört sich auch so an, als ob das Staatstheater Augsburg finanziell aus dem Vollen schöpfen kann. Von Kürzungen sind Sie verschont geblieben? Bücker: Ja, da bin ich auch sehr dankbar für das Bekenntnis der Träger, der Stadt und des Freistaats. Das ist ein wichtiges Signal. Es wäre ein Riesenfehler, in Krisenzeiten gerade an der Kultur zu sparen. chen mit den Kammerspielen passiert, dort muss gespart werden?
Bücker: Man kann da nur den Kopf schütteln, dass gerade in einer Kulturstadt wie München, das ist sicher keine der ärmsten Städte in Europa, so etwas jetzt gemacht wird. Das wäre nicht notwendig.
In der Corona-Pandemie hat sich das Staatstheater Augsburg zu einem der führenden Häuser in Deutschland im Hinblick auf die Digitalisierung entwickelt. Was ist da passiert?
Bücker: Wir sind jetzt tatsächlich ein Fünf-Sparten-Haus geworden, die Entwicklung hat sich verstetigt. Wir produzieren weiter digital, auch in dieser Saison wird es hybride Produktionen geben, in denen die VRBrillen zum Einsatz kommen. Das hat uns bei Kritikerumfragen im vergangenen Jahr zahlreiche Nennungen eingebracht und wir sind inzwischen international ein gefragter Partner.
Bücker: Corona hat sich als Beschleuniger für die Digitalisierung erwiesen, nicht nur auf der Bühne, sondern auch hinter der Bühne - im Ticketing, in technischen Abteilungen, für Fortbildungen. Nur ein Beispiel, wir haben eine Bauprobe für das Ballett mit dem Choreografen Peter Chu gemacht – er saß in Las Vegas, wir in Augsburg und wir haben das virtuell in einem 3-D-Modell gemacht. Chu war total begeistert darüber und sagte zu uns, dass das technisch super-fortgeschritten sei im Vergleich zu anderen Theatern. Chu arbeitet an den großen Häusern der Welt.
„Von Theaterbesuchen geht kein erhöhtes Risiko aus“
„Ein Beschleuniger für die Digitalisierung“
Eine letzte Frage: Wie sind Sie eigentlich zur Uraufführung des renommierten amerikanischen Schriftstellers Neil LaBute gekommen?
Bücker: Es gab einen persönlichen Kontakt aus dem Ensemble zu Neil LaBute, so sind wir ins Gespräch gekommen.
Bücker: Sondern nach der US-Premiere die europaweite Erstaufführung. Wegen Corona fiel die amerikanische Premiere aus. Da hat sich Neil LaBute gewünscht, dass die Uraufführung bei uns in Augsburg stattfinden soll.