Auf Hörabenteuer mit Sebastian Knauer
Zum Festivalfinale verbindet der Pianist scheinbar Unvereinbares
50 ist er geworden, vor etwa sechs Wochen. Ein bisweilen bedrohlich anmutender Geburtstag, den manche als Beginn ihrer Midlife-Crisis empfinden. Sebastian Knauer blieb da lieber Realist und arbeitete einfach weiter, unter anderem für das Comeback von Mozart@Augsburg nach 2017, bei dem er in diesem besonderen Jahr wieder eine Schlüsselrolle einnahm, freilich ohne sich dabei das Träumen zu verbieten. Was läge also näher, als sich selbst einen lang gehegten Herzenswunsch zu erfüllen und zwei Helden seiner Jugend in einem gemeinsamen Projekt zu vereinen? Weil den Hamburger Pianisten die Musik des englischen Komponisten Michael Nyman ebenso fasziniert wie die Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, suchte und fand er schließlich beim finalen Konzert am Sonntagabend im Autohaus Reisacher die Klammer zwischen beiden: Er selbst!
Und wieder geht es um das vermaledeite Alter: Mozart war nicht ganz 36, als ihn 1791 der Tod ereilte. Nyman ist 77. Dazwischen puffert Knauer, dieser ebenso innovative wie empathische Tastenvirtuose, der heuer in Augsburg bei sechs Festival-Konzerten durch seine verblüffende Vielseitigkeit glänzte, klug die Extreme ab. Das Finale von Mozart@Augsburg bestreitet er ganz allein am Flügel mit einer Auswahl von Mozart’schen Sonatensätzen, auf deren Motive Michael Nyman
in seinem Auftrag neue Übergangssätze schuf, die nun seinen Namen tragen: „6 Piano Pieces for Sebastian Knauer.“Ein Kunstgriff, mit dem die Musik Nymans, dieses bekennenden Vertreters der Minimal Music und Schöpfers von Soundtracks wie „Das Piano“oder für die Filme des Regisseurs Peter Greenaway („Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“), in unmittelbare Nähe zur Musik Mozart rückt. Ein Wagnis ist es ebenfalls. Denn beide stehen bei den Klassikfans nicht unbedingt auf derselben Wahrnehmungsebene, manche sprechen Michael Nyman sogar den Stallgeruch der E-Musik ab. Doch Sebastian Knauer beweist in seinem erstaunlich kurzweiligen 75-minütigen Vortrag eindrucksvoll: Ein völlig fehlgeleiteter Denkansatz!
Als Grundlage dienen ihm drei verschiedene Sonaten Mozarts, aus denen er jeweils nur den ersten, zweiten und dritten Satz verwendet.
Dazwischen setzt er geschickt Nymans Kompositionen als Bindeglieder. Dabei entstehen Kontraste, die sich nach und nach auflösen und unsichtbare Linien enthüllen, die zwischen beiden verlaufen. Auf den ersten Satz der C-Dur Sonate (Allegro) folgen im ersten Nyman-Stück beispielsweise grummelnde Bassfiguren, so als hätte Wolferl nicht das Leben dahingerafft und er könnte das wuselige Treiben um ihn herum als älterer Mann beobachten. Es sind raffinierte Weiterdeutungen, die Sebastian Knauer geschickt mit seiner ureigenen Anschlagskultur ausschmückt, überraschend homogen, komplementär: Hier die Jugendlichkeit des Salzburgers, da die Abgeklärtheit des Londoners, die sich von Stück zu Stück immer mehr annähern.
Man kann es mit dem Überlappen von Tag und Nacht, von kindlich und reif, von klassisch und modern vergleichen, das sich hier ganz allmählich Bahn bricht. Knauer verschränkt die sechs Stücke in einer Art universeller Symmetrie, obwohl sie ihm Nyman keineswegs auf seine formbewussten Hände schrieb. Er musste sie sich erst erobern, zähmen, domestizieren, wie ein Rudel wilder Tiere. Das gelingt ihm in der Tat famos. Der Hamburger kann „seinen“Mozart aus dem Effeff, keine Frage. Er wuselt bei den rasend schnellen Trillern übers Elfenbein, ohne eine einzige Note zu verlieren, sensibel, leicht und vor allem mit einem hohen Maß an Klarheit. Das Einfache wird hier zur Kunst, und die Kunst einfach. Wie er aber dann nach einer Sekundenpause in Nymans Welt hinübergleitet, diese ungestümen repetitiven Elemente aufgreift und die Form langsam zu einem organischen Ganzen vereint, das hat große Klasse.
Dabei entstehen neue, duale Genussmomente. Mozart klingt mit einem Mal völlig anders, keineswegs mehr gepudert und verzopft, während Nymans lyrische Ader selbst inmitten der morseähnlichen Intermezzi deutlich herausleuchtet. Sebastian Knauer hat es nicht nur geschafft, die Musik des 18. Jahrhunderts mit der des 21. zu verbinden, sondern sie auch auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Das gelingt ihm selbst mit den zwölf unscheinbaren, aber reizvollen Variationen über Mozarts „Ah, vous dirai-je Maman“zum Schluss, das viele nur noch als das Adventslied „Morgen kommt der Weihnachtsmann“kennen. Ein Hörabenteuer erster Güte!