„Die CDU ist in eine Falle getappt“
Der Augsburger Werber Daniel Melcer hat die Wahlkampagnen von Kurt Gribl und Eva Weber erdacht. Wie er den aktuellen Höhenflug der SPD erklärt – und warum ihn die Union an Karstadt erinnert
Herr Melcer, erklären Sie es uns aus der Sicht eines Werbers: Was läuft im Wahlkampf für Armin Laschet und die Union gerade nicht rund?
Daniel Melcer: Entscheidend ist der Faktor Mensch. Am Ende geht es um Menschen, die man wählt, auch wenn das, wie beim Bundestag, nicht direkt geschieht. Man wählt weniger die Partei, sondern die Protagonisten, die dafür stehen – im Guten wie im Schlechten. Jetzt sehen wir, wie stark Angela Merkel die Marke CDU geprägt hat – und wie die Marke plötzlich entkernt und instabil wirkt, wenn die zentrale Person weg ist. Das zeigen auch die Umfragen. Ein Einbruch von rund 40 auf teilweise 20 Prozent, das ist schon dramatisch. Es geht darum, was strahlt die Partei aus und was strahlt die Person aus? Meine These: Angela Merkel ist die stärkere Marke als die CDU.
Aber ist es nicht immer schon so, dass die Kanzler die Partei überstrahlen? Etwa Adenauer, Brandt oder Kohl? Melcer: Die Parteien hatten früher noch eine stärkere Position als heute. Das hat etwas damit zu tun, dass die Parteien sich seit vielen Jahren inhaltlich angenähert haben. Alle größeren Parteien sind in die Mitte gerückt und haben Positionen der anderen übernommen. CDU und CSU positionieren sich zur Klimapolitik. Die Grünen zur Wirtschaftspolitik. Es gibt ideologische Grünen-Wähler, denen ihre Partei zu konservativ geworden ist und die zu radikaleren Splitterparteien abwandern. Prognosen zufolge wird die Summe der kleinen Parteien wohl doppelt so viele Stimmen erhalten wie bisher. Die Parteien der Mitte leiden unter der Profillosigkeit der Mitte.
Wenn das alle größeren Parteien trifft: Warum steht ausgerechnet die Union gerade so schlecht da?
Melcer Die CDU ist in die Selbstverständlichkeitsfalle getappt. Diese Selbstverständlichkeit, an der Macht zu sein, hat mit Angela Merkel ja über viele Jahre funktioniert. Der Glaube, dass die Geschwindigkeit nach der Vollbremsung von Angela Merkel noch ausreicht, um einen neuen Kandidaten ins Ziel zu schubsen, war naiv. Die Falle schnappt jetzt zu und trifft Laschet. Dazu kommt die Schwäche der Union als Marke. Sie erinnert mich an Karstadt: Das hat mal gut funktioniert und wollte ein Angebot für „alle“sein. Aber „alle“wird in einem Zeitalter der Individualisten zum größten Niemand.
Ist das auch das Problem des Kandidaten Armin Laschet?
Melcer: Er hat eine freundliche Benutzeroberfläche und ist nach allen Seiten offen. Das ist das Problem, zumindest für die Kampagne. In der Kommunikation ist es wie in der Architektur: Nur Kantiges steht gut, Rundgelutschtes wackelt. Die Kandidatenauswahl war mutlos. Der Kandidat spricht mutlos. Die Kampagne wirkt mutlos. Man fühlt die Angst des Machtverlusts. Angst ist kein guter Kommunikationsberater. Und die Macher von Wahlkommunikation unterschätzen auch Klugheit des Volkes. die
Was meinen Sie damit?
Melcer: Heute sind alle Wählerinnen und Wähler Experten, was Kommunikation angeht. Wir alle managen unsere Social-Media-Auftritte. Wir alle haben Erfahrung, wie wir mit unseren Smartphones eine hohe Bildqualität herstellen können. Wir alle überlegen uns gute Texte. Die Zeiten sind vorbei, in denen man eine Werbeagentur gebraucht hat, um nur ein gutes Foto oder einen netten Film zu produzieren. Wenn allerdings eine Kampagne hinter dem zurückbleibt, was jeder Einzelne heute leisten kann, wird es schwer, Vertrauen zu gewinnen.
Wie erklären Sie sich den Höhenflug der SPD mit Olaf Scholz?
Melcer: Olaf Scholz wirkt wie die männliche Angela Merkel. Das Volk wittert in ihm einen weichen Übergang. Starke Veränderungen machen uns Angst. Lieber Evolution statt Revolution. Scholz wirkt stabil, unaufgeregt und emotionsfrei – wie Angela Merkel eben. Und er profitiert von der handwerklich besten Kampagne. Trotz schlechter Umfrageergebnisse der SPD setzte man stark auf das Partei-Rot. Das ist mutig. Wir sehen unübliche Perspektiven bei den Bildmotiven. Klare Aussagen in den Headlines. Die Botschaften sind einfach und nachvollziehbar. Und sie machen klar, wofür die SPD steht. Die Headline „Kanzler für Deutschland“spielt mit Führungsanspruch und der Kraft des Faktischen. Das ist clever.
Wie schwer wiegt Armin Laschets Lachen bei einer Pressekonferenz während der Flutkatastrophe? Kann ein solcher Fehler eine ganze Kampagne ins Rutschen bringen?
Melcer: Man versucht natürlich, Fehler zu vermeiden und gleichzeitig Fehler der anderen für sich auszunutzen – vor allem in den sozialen Medien. Ich persönlich sehe das mit Sorge, wie einzelne Fehler medial skandalisiert werden, nicht nur in den sozialen Medien. Auch die etablierten Medien springen auf. Das wird dazu führen, dass immer weniger kluge Menschen in die Politik gehen und wir Politiker bekommen, die aus Angst, einen Fehler zu machen oder etwas Falsches zu sagen, sich nur noch mathematisch korrekt ausdrücken. Und am Ende so menschlich sind wie eben eine mathematische Formel. Das kann nicht unser Ziel sein.
Hatten Sie es da in den Kommunalwahlkämpfen einfacher, weil es dieses Schlechtmachen des politischen Gegners hier noch nicht so gibt?
Melcer: Und wie es das im Kommunalwahlkampf gibt. Nichts ist emotionaler als ein Kommunalwahlkampf. Da landet Politik auf dem Boden der Lebenswirklichkeit der Menschen.
Ich könnte mich aber nicht erinnern, dass ein Fehler von Eva Weber so ausgeschlachtet worden wäre.
Melcer: Eva Weber hat auch keine Fehler gemacht.
Trotz Internet und Social Media gibt es in Wahlkämpfen noch immer eine Plakatflut. Auch jetzt wieder. Warum ist das so?
Melcer: Plakate sind in erster Linie eine Sirene für: Es ist Wahlkampf. Sie wirken nach außen, aber vor allem auch nach innen. Zur Mobilisierung der eigenen Parteimitglieder.
Bei der OB-Wahl in Augsburg hatte Eva Weber den Vorteil, dass sie die Wunschnachfolgerin von Kurt Gribl war. Ist es ein Problem für Armin Laschet, dass Angela Merkel ihn nur zaghaft unterstützt?
Melcer: Die Goldmedaille im Synchronschwimmen bekommen Merkel und Laschet sicher nicht. Söder und Laschet bekommen sie auch nicht. Das ist schon ein Problem. Die Gegner von Armin Laschet sind ja weniger die SPD und die Grünen, es ist die CSU. Die Menschen spüren das. Söder hat zwei Tonspuren, wenn er über Laschet redet. Er sagt formal, er unterstütze ihn – aber an den Pausen und an der Zögerlichkeit merkt man, dass er eigentlich etwas anderes denkt. Er spielt ganz bewusst damit. Söder ist ein Machtmensch, er hält sich für den besseren Kandidaten, und die CSU lässt keine Gelegenheit aus, das – zumindest subtil – so auch zu vermitteln. Die Kampagne von Armin Laschet leidet unter diesem Feind im eigenen Bett enorm. Wie soll ich andere überzeugen, wenn nicht mal meine eigenen Leute wirklich überzeugt sind? Man hat ja fast den Eindruck, Söder hofft jetzt schon auf die nächste Wahl.
Wäre Söder wirklich der bessere Kandidat gewesen?
Melcer: Ich glaube, dass sowohl die CDU/CSU als auch die Grünen unter den Kandidaten leiden. Auch mit Habeck wäre es ein spannenderer Wahlkampf geworden, und er hätte meiner Meinung nach die besseren Chancen gehabt. Am Ende profitiert Scholz weniger von seinen eigenen Stärken als von den Schwächen der anderen.
Hat Annalena Baerbock als Frau einen Nachteil?
Melcer: Nein, ganz im Gegenteil. Es ist die Zeit der Frauen. Auch Eva Weber hat gezeigt, dass eine junge, weibliche Kandidatin erfolgreich ist.
Melcer: Die Briefwahl ist der Star. Bei dieser Bundestagswahl wird wahrscheinlich die Briefwahl die Urnenwahl zahlenmäßig überflügeln. Das wäre eine Premiere. Die Grünen setzen gleichzeitig auf den zeitlichen Vorsprung in der Briefwahl. Das ist nachvollziehbar, weil die Zahlen seit dem Anfangs-Hype der Grünen kontinuierlich sinken.
Wenn Markus Söder davon spricht, man müsse jetzt den Trend drehen, ist das also gar nicht so absurd?
Melcer: Ja, es ist schon möglich, es im letzten Moment noch drehen zu können. Man wünscht sich als Wähler nur andere Inhalte – vielleicht sogar eine Vision, wie das Land in zehn Jahren aussehen soll, und weniger eine Feindbild-Kampagne, was vermieden werden soll. In diesem Wahlkampf hatten alle drei Parteien ihr Momentum. Wenn das Momentum geht, kommt es aber selten wieder zurück. Die Frage ist, ob man es bis zum Schluss durchhält. Die Grünen hatten ihr Momentum am Anfang, konnten es aber nicht halten. Dann hatte es die CDU, konnte es aber nicht halten. Jetzt hat die SPD ihr Momentum. Die spannende Frage ist: Retten sie sich über die Ziellinie?
Wenn Sie eine Wette auf das Wahlergebnis abschließen müssten: Auf wen würden Sie setzen?
Melcer: Ich kann mir schon vorstellen, dass es CDU und CSU auf den letzten Metern noch drehen können. Aber ich verstehe jeden, der aktuell auf die SPD wettet.
Interview: Jörg Heinzle
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Daniel Melcer, 52, ist Gründer der Augsburger Werbeagentur team m&m. Seine Agentur entwickelte unter anderem die beiden Wahlkampagnen von Augs burgs AltOB Kurt Gribl (CSU) und auch die Kampagne von dessen Nachfolge rin Eva Weber (CSU).