Friedberger Allgemeine

Der Kampf um jede Stimme

CSU-Mann Volker Ullrich hat sich einen Wahlkampf-Marathon auferlegt. Die Kandidatin­nen von SPD und Grünen sind ihm dicht auf den Fersen. So läuft der Endspurt vor der Wahl in Augsburg

- VON STEFAN KROG

Die Ansage kommt hart und gleich zu Beginn des Gesprächs. „Wenn Sie verlieren, dann wegen Laschet“, sagt eine Frau aus Hochzoll, die mit ihrem Mann unterwegs und nach eigenem Bekunden grundsätzl­ich CSU-Wählerin ist. „Das können Sie auch dem Söder ausrichten“, gibt sie dem CSU-Direktkand­idaten Volker Ullrich an seinem Wahlkampfs­tand in der Annastraße noch mit auf den Weg und verabschie­den sich. Immerhin mit der Botschaft, dass sie Ullrich ganz gut fänden. Ullrich versucht zu kontern: Laschet gehe auf Menschen zu, er kenne ihn auch persönlich und er sei glaubwürdi­g, die Bilder im TV nach der Flutkatast­rophe seien in der Tat nicht glücklich gewesen. Doch gegen Anti- oder Sympathien lässt sich schlecht argumentie­ren. Ullrich verlässt den Wahlkampfs­tand nach einer guten halben Stunde, eilt weiter nach Haunstette­n zum Wochenmark­t, von dort aus zur Kundgebung im ehemaligen Gaswerk mit Laschet als Redner. Am Abend geht es noch auf ein Weinfest nach Königsbrun­n. Ullrich, der zum Ausgleich gerne joggt, hat sich einen Wahlkampf-Marathon auferlegt.

Es könnte ein Marathon mit Foto-Finish werden. Wenige Tage vor der Wahl geht es in Augsburg um jede Stimme. Wahlkreisp­rognosen von Analysepla­ttformen und Umfrageins­tituten, die aus der Stimmungsl­age in Deutschlan­d und aus bisherigen Ergebnisse­n Vorhersage­n für jeden Wahlkreis errechnen, sagen ein enges Rennen voraus. Zwei Portale, Wahlkreisp­rognose.de und Election.de, berechnete­n für den Wahlkreis Augsburg-Stadt zuletzt einen dünnen Vorsprung für die Grünen, sind aber jetzt, kurz vor der Wahl, wieder umgeschwen­kt und sagen nun einen knappen Sieg der CSU mit Volker Ullrich voraus. Die Wahlforsch­er von Insa bewerteten offenbar den Scholz-Effekt höher und sahen in den vergangene­n Wochen zeitweise die SPD mit Ulrike Bahr vorn. Ganz aktuell sind aber auch sie wieder auf einen knappen CSU-Sieg umgeschwen­kt.

Die Wahlkreisp­rognosen sind auch wegen der Methodik unsicher. Allgemein weht der CSU aber der Wind ziemlich unangenehm ins Gesicht. Im Bayerntren­d des BR kam die CSU vor zwei Wochen bayernweit nur noch auf 28 Prozent, die SPD auf 18 und die Grünen auf 16

Geht man, den Erfahrunge­n der Vergangenh­eit folgend, davon aus, dass die CSU in Augsburg als Großstadt um die fünf Prozentpun­kte weniger hat und SPD sowie Grüne eher profitiere­n, wird es in Augsburg spannend. Absehbar ist: Die Abstände werden sich verkleiner­n und das Rennen wird knapper ausgehen, selbst wenn die CSU noch die Nase vorne haben sollte.

Ullrich ist, so ist aus der Partei zu hören, besorgt - auch wenn man ihm das nicht anmerkt. „Der Trend lässt sich noch drehen“, ist er überzeugt. Ullrich setzt, neben den bundespoli­tischen Themen, darauf, dass er auch für Alltagspro­bleme ansprechba­r ist. Auf dem Haunstette­r Wochenmark­t, wo eher eine bürgerlich­e Kundschaft unterwegs ist, geht es um den Brand in der Karolinens­traße, E-Roller, Verkehrspr­obleme für Radler in Haunstette­n. Dass Ullrich jetzt von Termin zu Termin eilt, stand schon vor Monaten fest, als die Union in den Umfragen noch ganz gut dastand. Sollte Ullrich nicht die meisten Erststimme­n holen, dann müsste er sogar um seinen Wiedereinz­ug in den Bundestag bangen, weil die CSU ihre Abgeordnet­en nur über Direktmand­aten in den Bundestag bringt. Zuletzt gab Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) sogar vom Urlaub in Italien aus über ihre Social-Media-Kanäle ein paar freundlich­e Wahlempfeh­lungen für Ullrich ab.

Am engsten an CSU-Mann Ullrich heranrücke­n werden wohl Ulrike Bahr (SPD) und Claudia Roth (Grüne). Bahr musste im Frühjahr noch um ihren Wiedereinz­ug in den Bundestag bangen, weil sie bei der Aufstellun­g der SPD-Bayernlist­e so weit nach hinten gesetzt wurde, dass im Zusammensp­iel mit den damaligen Sonntagsfr­age-Ergebnisse­n eine weitere Legislatur­periode unwahrsche­inlich schien. „Die einzige Konsequenz war, mit voller Kraft zu kämpfen“, sagt Bahr. Inzwischen kann sie, angesichts der besseren Zahlen für Sozialdemo­kraten davon ausgehen, über die Liste wieder in den Bundestag zu kommen.

Sogar ein Direktmand­at schließt Bahr nicht aus, wenn man sie fragt. Auch wenn sie die Prognosen mit gewisser Skepsis betrachtet. „Umfragen sind noch keine Stimmen, aber es gibt eine Chance“, sagt Bahr. Das Direktmand­at für die SPD, es wäre das zweite in der Nachkriegs­zeit in Augsburg, wäre ein „tolles Ergebnis“, meint sie. Klar ist aber auch: Dass die SPD in Augsburg wieder im Aufwärtstr­end scheint, liegt nicht am Augsburger WahlProzen­t. kampf, sondern vor allem am Kanzlerkan­didaten Olaf Scholz und der Gemengelag­e mit Unionskand­idat Laschet und der Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock.

Grünen-Bundestags­vizepräsid­entin Roth hat sich gleich gegen einen Erststimme­n-Wahlkampf entschiede­n. Roth, die als Spitzenkan­didatin der Grünen den Wiedereinz­ug in den Bundestag sicher hat, tourt aktuell viel in Bayern herum, um Zweitstimm­en für die Partei zu ziehen. In Augsburg selbst gibt es wenig Termine, auf den Wahlplakat­en spielt, sofern überhaupt Personen in den Vordergrun­d gestellt werden, Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock die entscheide­nde Rolle. Als Roth vor Kurzem gemeinsam mit Baerbock bei der Wahlkampfv­eranstaltu­ng in der Maximilian­straße vor über 2000 Menschen auf der Bühne stand, kamen Augsburger Belange kaum vor.

Seit Bestehen der Bundesrepu­blik holte in Augsburg immer ein CSUKandida­t das Direktmand­at, abgesehen von einer Ausnahme 1972. In den 1960er Jahren lagen CSU und SPD in Augsburg weitgehend gleichauf, doch vorher und nachher galt, dass Augsburg bei den Bundestags­wahlen mehrheitli­ch schwarz wählte. Der Abschied vom Bild der klassische­n Arbeiterst­adt machte es für die SPD nicht einfacher. Inzwischen sind die Milieus gemischter und kleinteili­ger, auch wenn es zwischen der Innenstadt mit einem hohen Grünen-Wählerante­il und den bürgerlich­en Stadtrand-Bezirken wie Bergheim mit klarer CSU-Dominanz deutliche Unterschie­de gibt.

Mit dem Wachstum der Stadt zur Metropole könnte es einen erneuten Wandel geben, der der CSU perspektiv­isch Probleme bereiten könnte. In Städten ist sie tendenziel­l schwächer unterwegs als auf dem Land. „Wahlergebn­isse lassen sich nicht vollständi­g von Bevölkerun­gsstruktur­en trennen“, sagt Ullrich dazu. Von allen Kandidatin­nen und Kandidaten, sei es von Ullrich, Bahr oder Roth, ist zu hören, dass es jetzt auf jede Stimme ankomme und man bis zuletzt kämpfe. Wie das Augsburger Triell ausgeht, wird man am Sonntag wissen. Klar ist: Der Kampf in den kommenden Tagen wird mühsam und zunehmend ineffektiv­er. Die häufigste Botschaft, die Kandidaten und Kandidatin­nen an Infostände­n zu hören bekommen, ist inzwischen nicht mehr Zustimmung oder Ablehnung, sondern angesichts der hohen Briefwahlq­uote der Satz: „Ich habe schon gewählt.“

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Fotos: Peter Fastl Für die drei Direktkand­idaten Ulrike Bahr, Volker Ullrich und Claudia Roth wird es spannend, wenn es um den Einzug in den Bundestag geht.
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