Was wird aus Jens Spahn?
Der Gesundheitsminister spielte einmal im Team Laschet. Im verkorksten Wahlkampf der Union blieb ihm aber allenfalls eine Nebenrolle – Corona war wichtiger. Genau das kann nun zu seinem Vorteil werden
Augsburg Bevor Jens Spahn kommt, kommt erst einmal das Bundeskriminalamt. Egal, wo der CDU-Politiker in diesen Wochen auftaucht, checken Beamte vorher die Lage. Wer ist im Gebäude? Wo droht Gefahr? Gibt es einen zweiten Eingang? Derartige Sicherheitsmaßnahmen sind für einen Gesundheitsminister eigentlich nicht vorgesehen. Doch die Pandemie hat Spahns Job zu einem der gefährlichsten in der Politik gemacht. Er duckt sich selten weg – selbst wenn ihm blanke Wut entgegenschlägt.
Vor einigen Tagen kam der 41-Jährige auf einer Veranstaltung in Rheinland-Pfalz mit einer Impfgegnerin ins Gespräch. Wobei Gespräch eigentlich der falsche Begriff ist. Spahn parierte vielmehr die Attacken
der jungen Frau. Die Stimmung war aufgeheizt. Er behielt die Nerven. „Sie brauchen nicht auf mich hören, Sie brauchen mir nicht mehr glauben, Sie müssen mir nicht einmal zuhören“, sagte der Minister. „Hören Sie einfach auf Ärztinnen und Ärzte, das wird, glaube ich, schon reichen, um Sie von einer Impfung zu überzeugen.“
Spahn wirkt in solchen Momenten unbeeindruckt. Doch wie fühlt sich das an, der meistgehasste Minister Deutschlands zu sein? „Ich lasse das nicht so sehr an mich herankommen. Wenn man anfängt, darüber nachzudenken, geht man irgendwann nicht mehr nach draußen“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Aber klar gibt es Momente, in denen ich lieber zu Hause bei meiner Familie wäre.“
Einer dieser Momente ist ihm besonders in Erinnerung geblieben. Es ist die Begegnung mit einem Mann, etwa 60 Jahre alt. Er wirkt entspannt – bis er Spahn entdeckt. „Dann konnte ich beobachten, wie sein Gesicht richtig zu beben begann, wie Wut und Hass in ihm hochstiegen. Und natürlich frage ich mich, wo das herkommt. War es ein Erlebnis in der Familie, Angst um die Existenz, Sorge um die Kinder, Verschwörungstheorien?“, erzählt der Politiker. Antworten darauf hat er nicht bekommen. Auch wenn er ganz bewusst immer wieder den direkten Kontakt mit seinen Kritikern sucht, muss er einsehen, dass es manchmal einfach keinen Sinn macht. „Wenn da nur geschrien wird: Volksverräter, Mörder, hau ab, dann ist kein Gespräch möglich. Man darf trotzdem nie vergessen: Diese Lauten sind nicht die Mehrheit“, sagt er.
Kein anderer Minister in Angela Merkels Kabinett stand in den vergangenen zwei Jahren derart im Fokus wie Spahn. Das liegt vor allem an Corona, aber auch daran, dass er zu denen gehört, die noch etwas werden wollen. Die sich nicht nur den CDU-Vorsitz zutrauen, sondern auch das Kanzleramt. Und so wird im Berliner Flurfunk längst darüber geredet, was aus ihm werden könnte, wenn Armin Laschet am Sonntag tatsächlich die Wahl verlieren sollte. Wenn die Union sich neu sortieren muss.
Dann könnte Spahn Fraktionschef im Bundestag werden – und damit Anführer der Opposition und womöglich sogar der nächste Kanzlerkandidat. Doch der Weg dorthin ist voller Steine. Spahn ist nicht gerade der Liebling der Partei. Sein Ehrgeiz und das ausgeprägte Selbstbewusstsein lassen ihn bisweilen arrogant wirken. Ein bisschen geht es ihm in der CDU so wie Markus Söder früher in der CSU. Doch der Bayer hat es trotzdem ganz nach oben geschafft. Wieso sollte dem Münsterländer das nicht gelingen?
Wie sich Spahns Karriere weiterentwickelt, wird auch davon abhängen, wie Deutschland aus der Pandemie herauskommt. Er selbst ist zuversichtlich, dass Corona im Frühjahr seinen Schrecken verlieren wird. Trotz aller Anfeindungen, trotz einiger Pannen und Versäumnisse ist er zufrieden. „War deshalb jede einzelne Entscheidung richtig? Nein. War das Krisenmanagement insgesamt erfolgreich? Ja“, sagt er.
Dass Spahn in diesem Jahr vor allem mit dem Kampf gegen die Pandemie verbunden wurde, hat für ihn auch einen Vorteil: Niemand lastet ihm den völlig verkorksten Wahlkampf der Union an. Dabei war er doch einmal im Duo mit Armin Laschet angetreten. Anfang des Jahres verzichtete er nach einem gescheiterten Anlauf darauf, noch einmal für den CDU-Parteivorsitz zu kandidieren. Er unterstützte stattdessen den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen im Dreikampf gegen Friedrich Merz und Norbert Röttgen. Mit Erfolg. Doch das Team scheint sich seitdem irgendwie auseinandergelebt zu haben. Spahn hatte gehofft, im Aufzug mit Laschet ganz nach oben zu fahren, gelandet ist er im Souterrain. Es ist nicht so, dass der Gesundheitsminister in den letzten Wochen auf Distanz zum strauchelnden Kanzlerkandidaten gegangen wäre. Aber er weiß natürlich: Wer zu nah dran ist, könnte nach einem Wahldebakel schnell mitgerissen werden.
Mit seinen 41 Jahren und einiger Regierungserfahrung könnte Spahn einen überzeugenden Neuanfang verkörpern, sollte die Union aus dem Kanzleramt vertrieben werden. Doch er muss mit Gegenwehr rechnen. Längst ist nicht sicher, ob Laschet, der keine Rückfahrkarte nach NRW gebucht hat, anderen kampflos das Feld überlassen würde. Dass Friedrich Merz nach der Wahl – mal wieder – seine letzte Chance wittern könnte, doch noch die Rückabwicklung der Ära Merkel voranzutreiben, ist ebenfalls nicht ausgeschlossen. Und auch an Bundestagsfraktionschef Ralph Brinkhaus und dessen Stellvertretern müsste Spahn erst einmal vorbeikommen. Geht die CDU in die Opposition, könnte die Karriere des Jens Spahn also auch einen massiven Knick bekommen. Ein Platz in der zweiten Reihe verträgt sich schlecht mit seinen Ambitionen. Sollte sich die Union doch noch in eine neue Regierung retten können, könnte es auch sein, dass der ganz große Bruch in der Partei erst einmal ausbleibt. Dann heißt es weiter warten für Spahn. Auf die Frage, ob er gerne Gesundheitsminister bleiben würde, gibt er eine Antwort, die man als erwartbar, bei genauerem Hinhören aber durchaus auch als Ansage an die eigene Partei werten kann: „Ja, denn ich will gestalten – und dafür braucht man ein Amt.“
„Klar gibt es Momente, in denen ich lieber zu Hause bei meiner Familie wäre.“Jens Spahn über die Anfeindungen während der CoronaPandemie