Wie das Leben in den Städten der Zukunft aussieht
Lauter, enger, schmutziger? Bis 2050 sollen laut den Vereinten Nationen zwei Drittel aller Menschen in Städten leben. Wie sich das mit dem knappen Wohnraum und der Debatte um Mobilität vereinbaren lässt, erläutert die Architektin und Stadtplanerin Martina
Frau Prof. Baum, angenommen, Sie würden einen Film drehen, der in einer Stadt im Jahr 2050 spielt – wie würde diese Zukunftsstadt aussehen? Martina Baum: Ich bin von Berufs wegen Optimistin. Im Bereich der Architektur und der Stadtplanung versuchen wir, ein möglichst positives Zukunftsbild zu gestalten. Ich würde daher als Film sicherlich keine Dystopie drehen, sondern ein positives, gutes Zukunftsbild zeichnen, das wir vielleicht wirklich erreichen können. In meiner Version wäre die Stadt ein Lebensraum, in der die unterschiedlichsten Menschen friedlich und kooperativ zusammenleben.
Aktuell gibt es weltweit 34 Megacitys mit jeweils mehr als 10 Millionen Einwohnern. Viele von ihnen haben teils enorme Probleme mit Luft- und Wasserverschmutzung und Unmengen an Müll. Wie kann man möglichst erfolgreich mit solchen Problemen umgehen? Baum: Das ist die Schattenseite. Die Dichte und Mischung einer Stadt bieten nicht nur Nährboden für Innovation und Vielfalt; es entsteht auch ein enormer Ressourcenverbrauch. Die angesprochenen Probleme muss man aktiv angehen. Mit einer umweltfreundlichen Mobilität lässt sich beispielsweise die Luftqualität verbessern. Insbesondere in Megacitys mit unkontrolliertem Wachstum steht man zusätzlich vor der Herausforderung, extrem prekäre Lebensverhältnisse zu verhindern. Enorme Ungleichheiten gefährden den sozialen Frieden.
Soziale Ungerechtigkeit findet man nicht nur in Städten wie Neu-Delhi oder Mexiko-Stadt. Wie lässt sich eine Stadt gerechter gestalten?
Baum: Das Ziel von Stadtentwicklung sollte sein, das Allgemeinwohl im Blick zu halten und nicht die Interessen einzelner Marktakteure. Zum Gemeinwohl zählen gute Lebensbedingungen, Zugang zu Bildung, Kultur und sozialen Einrichtungen. Um benachteiligten Menschen und Stadtvierteln ein breiteres Angebot zu ermöglichen, benötigt es jedoch nicht nur bauliche Maßnahmen. Man muss auch die gesellschaftliche Ebene einer Stadt weiterentwickeln.
Welche Rolle spielt der immer knapper und teurer werdende Wohnraum dabei? Baum: Die Wohnungsfrage ist tatsächlich sehr komplex. In florierenden Orten mit großem Zuzug von außen gibt es oft mehr Bedarf an Wohnraum als vorhanden ist. Da müssen wir zum einen darüber nachdenken, wie viel Fläche wir tatsächlich brauchen. Es wäre eine große Chance, das Thema Wohnen jenseits der eigenen vier Wände zu denken. Wenn man zum Beispiel einen geteilten Arbeitsplatz in der Nachbarschaft nutzt, reicht weniger private Wohnfläche. Zum anderen ist problematisch, dass Wohnen zu einem global gehandelten Gut geworden und nicht mehr an den lokalen Markt gebunden ist. Wenn jedoch globale Investoren Wohnungen kaufen, sind sie weniger an der lokalen Lebensqualität als an den Renditen interessiert. Die Frage ist also nicht nur, was und wie viel wir bauen, sondern auch, wer baut.
Ist die Stadt der Zukunft eine möglichst grüne Stadt?
Baum: Eine lebenswerte Stadt der Zukunft sollte grüner und nachhaltiger sein als das, was wir heute kennen. Das ist allein schon notwendig, um die Städte fit für den Klimawandel zu machen. Wir werden ganz andere Witterungsverhältnisse haben. Die Starkregen-Ereignisse der letzten Monate haben die Städte teilweise massiv getroffen. Wir müssen weg von einer rein menschenzentrierten Planung und das Zusammenleben von Mensch, Fauna und Flora gesamtheitlich gestalten. Mit mehr Grünflächen zur Naherholung und einem besseren Stadtklima wird außerdem die Lebensqualität erhöht.
Baum: Die Innenstädte stehen momentan vor einem großen Wandel. Das hat stark mit gesellschaftlichen Prozessen zu tun. Wir kaufen anders ein als vor ein paar Jahren, und die Arbeitswelt hat sich enorm verändert. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklungen noch mal beschleunigt. In der Innenstadt wird es leer stehende Läden und Büroräume geben. Das könnte eine Chance für neue Konzepte sein. Aktuell sehen viele Fußgängerzonen gleich aus, überall findet man die gleichen Ketten. In Zukunft könnten sich stattdessen wieder lokale Akteure ansiedeln und regionale Besonderheiten anbieten. Andere Flächen lassen sich womöglich für Kunst und Kultur oder auch für neue Formen des Wohnens nutzen.
Wird die Möglichkeit des Homeoffice das Leben auf dem Land attraktiver machen?
Baum: Dazu braucht man natürlich erst einmal einen Bereich, in dem man konzentriert arbeiten kann, und eine stabile Internetverbindung. Grundsätzlich steigert das aber auf jeden Fall die Attraktivität des ländlichen Raums. Das kann eine Entlastung für die Städte bedeuten.
Baum: Durch die Digitalisierung haben wir Werkzeuge mit viel Potenzial. Ein smartes Parkmanagementsystem spart beispielsweise Zeit bei der Parkplatzsuche. Gleichzeitig sehe ich darin große Gefahren. Denn das nötige Equipment, also die Hard- und Software, kommt von externen Firmen. Das sind global agierende Unternehmen, die solche
Lösungen für Städte anbieten und verwalten. Dadurch kann eine gefährliche Abhängigkeit entstehen. Schließlich sind diese Firmen vor allem an dem Geld und den Daten interessiert.
Welche Möglichkeit haben Bürgerinnen und Bürger, um ihre Stadt selbst möglichst lebenswert zu gestalten? Baum: Der erste Schritt ist, überhaupt ein Bewusstsein für ‚meine‘ Stadt und ‚meine‘ Nachbarschaft zu entwickeln. Damit kommt dann das Interesse an einer positiven Entwicklung des Umfelds. Engagieren kann man sich auf der einfachsten Ebene, indem man wählen geht. Wenn man etwas mehr Zeit hat, kann man natürlich auch Initiativen wie ein Gartenprojekt oder eine Aufräumaktion aktiv mitgestalten.
Welche Stadt in Deutschland oder Europa ist für Sie schon am ehesten eine „Zukunftsstadt“?
Baum: Man kann aus verschiedenen Städten und ihren Strategien sehr viel lernen. Paris, zum Beispiel, geht die letzten Jahre massiv voran, die Stadt lebenswerter und inklusiver zu gestalten. Kopenhagen ist ein Vorreiter in Bezug auf Lebensqualität, aber auch in Hinblick auf Nachhaltigkeit und Klimaanpassung. Aber auch Städte wie Karlsruhe versuchen, das Fahrradfahren attraktiver zu machen. Insbesondere in Deutschland müsste man aber noch viel stärker eine zukunftsfähige Entwicklung der Städte vorantreiben.
Interview: Vera Kraft
Martina Baum, 44, ist Professorin für Stadtplanung und Entwerfen an der Universität Stuttgart. Ihr Forschungs schwerpunkt ist der Wandel europäischer Städte.