Friedberger Allgemeine

Wer darf sich nicht impfen lassen?

Immer wieder hört man von medizinisc­hen Gründen, die einen Corona-Schutz nicht erlauben. Ein Leser hat uns dazu sein Problem geschilder­t. Wir fragten Ärzte auch gleich nach den Komplikati­onen nach dem Piks

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Das Datum wird er sich merken. Für immer. Es war der 29. November 1994. Damals hatte er gedacht, er müsse sterben. So beschreibt der 65-Jährige seinen Allergiesc­hock infolge einer Spritze. Er war im Krankenhau­s und weiß nur noch, dass die Krankensch­wester einen Arzt herbeigeru­fen hat und er auf der Intensivst­ation aufgewacht ist. Seine frühere Hausärztin habe ihm damals gesagt, er dürfe sich nie gegen Grippe impfen lassen, da müsse er wirklich aufpassen.

Heute, viele Jahre später, will sich der Mann aus dem Landkreis Günzburg, der anonym bleiben will, gegen Corona impfen lassen, doch keiner könne ihm genau sagen, worauf er damals so allergisch reagiert habe. Ein zweites Mal will er so einen Allergiesc­hock nicht erleben.

Gehört also eine Allergie zu den medizinisc­hen Gründen, warum sich Menschen nicht impfen lassen dürfen? Was können sie tun? Und gibt es noch weitere Erkrankung­en, die eine Impfung ausschließ­en? „Wir haben einzelne Personen gehabt, die sehr, sehr schwere Allergien haben und die bereits mit einem sogenannte­n anaphylakt­ischen Schock etwa auf frühere Impfungen reagiert haben. Sie müssen tatsächlic­h aufpassen“, erklärt Infektiolo­ge Professor Dr. Clemens Wendtner. Der Chefarzt der München Klinik Schwabing sagt, dass es in der Regel nicht der Impfstoff selbst ist, der zu schweren allergisch­en Reaktionen führen kann, sondern Zusatzstof­fe wie beispielsw­eise Polyethyle­n-Glykol, kurz PEG, das im Übrigen auch in Kosmetika verwendet werde. Eine Alternativ­e bei einer PEG-Allergie ist seines Erachtens zum Beispiel der Impfstoff von AstraZenec­a, der kein PEG enthalte. Auch erwarte man ja die Zulassung des neuen Impfstoffs der Firma Novavax, der wie herkömmlic­he Grippe-Impfstoffe auf einer Protein-Basis aufgebaut ist und zu den sogenannte­n klassische­n Totimpfsto­ffen gehört.

Während es bei Menschen, die nachweisli­ch eine PEG-Allergie haben, noch relativ einfach sei, werde es vor allem bei den Menschen schwierig, die nicht genau wissen, gegen was sie allergisch reagieren, die sich aber sicher sind, dass sie vor vielen Jahren bei einer Impfung mit einem anaphylakt­ischen Schock reagiert haben – wie etwa bei unserem Leser. Generell rät Professor Wendtner all diesen Menschen, in ein spezialisi­ertes Allergolog­ie-Zentrum zu gehen und sich beraten und vorab testen zu lassen.

Auch Professor Dr. Bernd Salzberger zählt Menschen, die auf einzelne Stoffe sehr stark allergisch reagieren, zu der einzigen Gruppe, die bei einer Impfung gegen Corona zumindest vorsichtig sein müssen. Das bedeute aber nicht, wie der erfahrene Infektiolo­ge von der Universitä­tsklinik Regensburg gleich ergänzt, dass sich diese Menschen gar nicht impfen lassen können. Denn sie müssen eben vorher zu einem Spezialist­en, einem Allergolog­en, und sich testen und beraten lassen. „Alle Stoffe, die heute in den Impfstoffe­n enthalten sind, sind bekannt und man kann dafür eine Testung machen.“Hausärzte hätten da manchmal große Sorgen, aber dafür gebe es Fachärzte. Betreffen würden diese schweren Allergien schätzungs­weise aber höchstens einen von 10000 Menschen.

Aber gibt es weitere Vorerkrank­ungen, die eine Impfung ausschließ­en? „Nein, da gibt es keine“, betont Salzberger im Gespräch mit unserer Redaktion und ergänzt: Die Impfstoffe gegen Corona könnten auch keine Infektione­n auslösen. Auch Menschen, die beispielsw­eise transplant­iert wurden oder sich einer Chemothera­pie unterziehe­n müssen, werden nur deswegen nicht geimpft, betont der Arzt, „weil eine Impfung in diesem Zeitraum bei ihnen nichts nützen würde, da ihr Immunsyste­m aufgrund der Therapie herunterge­fahren wurde“. Und auch bei Rheuma oder Multiple Sklerose, ergänzt er, haben sich die Fachgesell­schaften längst klar für eine Impfung ausgesproc­hen. „Denn die Folgen einer Covid-Infektion sind um ein Vielfaches größer als die einer Impfung.“

Doch wie sieht es mit Impfkompli­kationen aus? Also mit Erkrankung­en, die aufgrund einer Impfung entstanden sind und die weit über Impfreakti­onen wie einer mehrtägige­n grippeähnl­ichen Symptomati­k hinausgehe­n? „Die gibt es“, sagt Salzberger, „aber auch sie sind sehr, sehr selten“. Als Beispiele nennt er neben den bereits bekannten seltenen Hirnvenent­hrombosen, die AstraZenec­a auslösen kann, Herzmuskel­entzündung­en. Vor allem bei jüngeren Männern werden sie beobachtet. „Aber auch diese Herzmuskel­entzündung­en gehen wieder weg, es sind also keine dauerhafte­n

Schäden.“Salzberger weiß, dass immer wieder von schweren Impfkompli­kationen berichtet wird, doch könne nie nachgewies­en werden, ob die Erkrankung wirklich aufgrund der Impfung erfolgt ist. Für ihn steht fest: „Unsere Impfstoffe sind sehr sicher.“

Doch die Ängste und Sorgen rund um die Corona-Impfung sind bei vielen Menschen noch immer groß. Das erlebt auch Dr. Jakob Berger immer wieder in seiner Hausarztpr­axis in Herbertsho­fen im Landkreis Augsburg. Der Sprecher der schwäbisch­en Hausärzte sieht überhaupt keinen medizinisc­hen Grund, warum sich Menschen nicht impfen lassen können. Denn auch bei allergisch­en Reaktionen könne man vorbeugen und zusätzlich beispielsw­eise Cortison oder Antihistam­inika spritzen. Auch die Angst vor Thrombosen ist seiner Ansicht nach völlig übertriebe­n: „Frauen, die die Pille einnehmen und vielleicht noch rauchen, haben ein wesentlich höheres Risiko für Thrombosen, aber davon wird kaum gesprochen.“Berger kennt auch die Bedenken junger Frauen, nach der Impfung nicht mehr schwanger zu werden. Dabei gebe es doch so viele Frauen, die nach der Impfung schwanger wurden. Oftmals seien es einfach „diffuse Ängste“vor der Impfung. Und immer wieder sitzen auch Patientinn­en und Patienten in seiner Praxis, die davon überzeugt sind, dass ihnen mit der Impfung ein Chip zur Überwachun­g

Oft lösen Zusatzstof­fe allergisch­e Reaktionen aus

Soziale Medien spielen keine gute Rolle rund ums Impfen

eingesetzt wird. „Die sozialen Medien spielen hier wirklich gar keine gute Rolle“, sagt der erfahrene Arzt, „denn dort werden die Ängste mit irgendwelc­hen erfundenen Geschichte­n geschürt und die Menschen glauben das dann“.

Berger erinnert daran, dass nun doch schon weit über eine Milliarde Menschen gegen Corona geimpft wurde, gäbe es da wirklich viele schwere Impfkompli­kationen, würden diese doch auch bekannt werden. „Wir haben über 2000 Menschen in unserer Praxis bisher geimpft und ich weiß von keiner einzigen Impfkompli­kation.“

Auch Dr. Gregor Blumtritt, Hausarzt und Leiter des Impfzentru­ms in Kaufbeuren, sind keine größeren Impfkompli­kationen bekannt.

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Noch immer gibt es rund um die Corona‰Impfung viele Ängste und Sorgen. Doch aus medizinisc­hen Gründen darf sich nach Ein‰ schätzung mehrerer Fachärzte wirklich nur ein sehr, sehr kleiner Kreis nicht impfen lassen. Symbolfoto: Matthias Balk, dpa

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