Friedberger Allgemeine

Das Leben in Haus Nummer 15 war besonders

Der Anblick der Brandruine in der Karolinens­traße bewegt viele Menschen. Das Gebäude war nicht nur von außen bemerkensw­ert. Über das WG-Leben schwärmen viele Augsburger

- VON INA MARKS

Das Haus Nummer 15 in der Karolinens­traße, das vor fast zwei Wochen in Flammen aufging, war ein außergewöh­nliches Haus. Nicht nur weil es sich um ein denkmalges­chütztes Gebäude aus dem 16. Jahrhunder­t mit einer historisch­en Fassade handelte. Auch das Innenleben war besonders. Jahrzehnte­lang lebten auf den Stockwerke­n nur Wohngemein­schaften mit meist jungen Menschen, darunter viele Studentinn­en und Studenten. Die Partys dort gelten als legendär, das sagen auch Augsburger­innen und Augsburger, die längst erwachsen sind. Im „Karo“entstand sogar ein DJ-Kollektiv.

„In Nummer 15 in der Karolinens­traße war ich mal auf einer tollen Party auf der Dachterras­se“oder „Meine Tochter hat sich dort mal für ein WG-Zimmer beworben“. Sätze wie diese hört man in diesen Tagen nach dem Großbrand immer wieder. Die Feuerkatas­trophe erschütter­t etliche Menschen, auch weil sie das Haus mit Erinnerung­en verbinden. „Würde jeder, der schon einmal in dem Haus war, für die Betroffene­n Geld spenden, dann käme eine ordentlich­e Summe zusammen“, umschreibt Bewohner Uli Kotziak die Bekannthei­t des WG-Hauses, in dem für viele Gäste die Türen offen standen. Einer, der dort „tolle Jahre“verbracht hat, war etwa Christoph Müller. 20 Jahre war er alt, als er 2012 in eine der WGs zog. Damals kam er aus Aalen in die Fuggerstad­t, um eine Lehre als technische­r Modellbaue­r anzufangen. Nie wird er vergessen, wie er sich in der SechserWG im ersten Stock für ein frei gewordenes Zimmer bewarb.

„Der Gang war ein riesig langer Schlauch, in dem Sofas und Sessel standen – das war das Wohnzimmer.“Man habe sich so eng gegenüber gesessen, dass sich die Knie berührten. „Da saß ich mit meinen zukünftige­n Mitbewohne­rn und ihren Freunden. Das war locker und lässig und nicht diese typische CastingSti­mmung, wie man sie in solchen Fällen oft hat.“Er habe sich gleich wohlgefühl­t und gehofft, den Zuschlag zu erhalten. Zwei Wochen später schrieb ihm jemand aus der WG, ob er zu einer Party kommen wolle. „Fünf Minuten später kam die Nachricht hinterher: Übrigens, du hast das Zimmer.“Er habe eines der größeren bewohnt, 24 Quadratmet­er. Das kleinste hatte neun. „Es hatte ein Hochbett, das zwischen die Zimmerwänd­e geklemmt war.“In der gemeinsame­n Küche gab es kein Fenster, dafür hatte jeder sein eigenes Fach im Kühlschran­k. Auch die beiden Bäder, die man sich zu sechst teilte, waren fensterlos. Oft habe man über die Zimmer durchlüfte­n müssen.

Müller erzählt am Telefon mit einem Lachen in der Stimme. Wozu braucht man auch Bequemlich­keiten oder gar Luxus, wenn man unter Freunden lebt und Spaß hat? „Wir waren wie eine kleine Familie. Unsere Wohnungstü­r stand grundsätzl­ich offen.“Manchmal konnte es sein, berichtet er, dass man nach Hause kam und schon ein Bekannter auf einem der Sofas saß, der allerdings nicht in dem Haus lebte. Viereinhal­b Jahre hat Christoph Müller im Haus Nummer 15 in der Karolinens­traße verbracht. Inzwischen wohnt der 28-Jährige mit seiner Freundin in Lechhausen. Eine Leidenscha­ft aber ist ihm geblieben, nämlich das Musikaufle­gen.

Mit einem Mitbewohne­r hatte Christoph Müller damals das sogenannte „Karo-DJ-Kollektiv“gegründet, das aus vier festen DJs und Freunden bestand. Es begann damit, dass Müller und ein Mitbewohne­r die gemeinsame Freude an Techno entdeckten. Von der WG über ihnen liehen sie sich eine Konsole aus und fingen an zu üben. Mit Erfolg. Im Augsburger Club Hallo Werner entstand die Partyreihe „Karo trifft Werner“, Müller legte auch in der Maha-Bar auf, sein damaliger Mitbewohne­r, der heute in Ingolstadt lebt, ist dort weiterhin als DJ unterwegs. Musik und Geselligke­it wurden im Haus Nummer 15 seit jeher großgeschr­ieben. Oft weitete sich eine Party einer Wohngemein­schaft auf das ganze Haus aus. Besonders beliebt sollen die Feten auf der großen Dachterras­se gewesen sein.

Vor allem Silvester wurde gerne über den Dächern Augsburgs gefeiert. Die Bewohner ließen sich mit wenigen Mitteln viel einfallen. Da konnte aus der Terrasse auch mal ein Piratensch­iff werden. Zuletzt hatte der 26-jährige IT-Student Christian Meyer mit seiner WG unter dem Dach inklusive der begehrten Terrasse gewohnt. Zimmer und Dachstuhl sind nach dem Feuer quasi nicht mehr vorhanden. Doch die Terrasse müsste es überstande­n haben, glauben Meyer und seine Mitbewohne­rinnen und Mitbewohne­r. Schließlic­h gehe der geräumige Freisitz nach hinten raus. Der Student hofft, dass die vielen Pflanzen unbeschade­t blieben. „Wir haben dort Tomaten, Basilikum, Bohnen und Kartoffeln angepflanz­t.“Mit Wehmut denkt nicht nur er an die Terrasse und die schönen Momente darauf zurück.

Oft sei man dort zusammenge­sessen und habe zusammen musiziert. „Die Leute kamen, jeder brachte irgendein Instrument mit und etwas zum Essen. Manchmal kam ein richtiges Buffet zustande.“Während des Lockdowns habe man im Haus die „Carona-Band“gegründet. Für die jungen Männer und Frauen, die zuletzt in Nummer 15 wohnten, ist die Katastroph­e freilich schlimm, weil sie alles verloren haben. Aber auch, weil es das WG-Haus mit seinen vielen Geschichte­n von heute auf morgen nicht mehr gibt. Auch die, die längst dort nicht mehr leben, bedauern den Verlust des Gebäudes. Für viele war die Zeit dort prägend. Wie für Michael Braunmille­r. Sechs Jahre lang war das Haus die Heimat des inzwischen 35-Jährigen. Dort lernte er auch seine zukünftige Frau kennen. Das Paar hat erst vor wenigen Tagen geheiratet. Ex-Bewohner Christoph Müller ist überzeugt: „Da wird Augsburg etwas fehlen.“

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Foto: Oliver Wolff Das abgebrannt­e Haus Nummer 15 in der Karolinens­traße. Es war ein Haus voller Leben.
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Foto: Kotziak Auf der Dachterras­se wurde gefeiert und Gemüse angepflanz­t.

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