Bauarbeiter fordern höhere Löhne, sonst drohen Streiks
Rund 150 Beschäftigte der Baubranche demonstrieren am Mittwoch in Augsburg mit der Gewerkschaft IG Bau für bessere Löhne. Dabei setzen sie den Arbeitgebern das Messer auf die Brust
„Ich bin es wert“steht auf dem T-Shirt eines Bauarbeiters, der am Mittwoch kurz vor Mittag mit 150 Kolleginnen und Kollegen in einem Demonstrationszug durch Augsburgs Innenstadt zieht. Die Beschäftigten der Baubranche kämpfen mit der Gewerkschaft IG Bau in der aktuellen Tarifrunde für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Bundesweit hatte die Gewerkschaft am Mittwoch rund 890.000 Beschäftigte des Baugewerbes zu Protestaktionen aufgerufen.
Die Verhandlungen mit den Arbeitgebern laufen seit Mai. Die IG Bau fordert ein Lohnplus von 5,3 Prozent, eine Entschädigung der langen Wegezeiten zu den Baustellen und eine Angleichung der Ostan die Westlöhne. Das Angebot der Arbeitgeber von drei Prozent für 24 Monate ist den Arbeitnehmervertretern zu wenig. Die Themen Wegezeit und Angleichung der Ost- an die Westgehälter sei zudem bislang völlig unberücksichtigt geblieben, heißt es seitens der Gewerkschaft.
Beim Protestzug vom Königsplatz über die Volkhart- und Frölichstraße über den Bahnhof und zurück lassen die Beschäftigten aus Augsburg und der Region daher keinen Zweifel daran, dass sie dies nicht akzeptieren wollen. „Arbeitskampf, Arbeitskampf“, rufen sie lautstark und die Kollegen auf der Baustelle rund ums Theater lassen sie wissen: „Ohne Streik wird sich nichts verändern.“Man sei noch zu viel mehr bereit, um seine Forderungen durchzusetzen, erzählt einer der Protestierenden.
Das verdeutlicht auch Karl Bauer, Chef der IG Bau Bayern: „Das ist die letzte Chance am Verhandlungstisch. Sollte die scheitern, gibt es noch den Versuch einer Schlichtung. Danach könnte es auch in unserer Region bald zu Arbeitsniederlegungen auf dem Bau kommen.“Dann würde man sich Baustellen aussuchen, auf denen es wehtut. Der Bahnhof könnte in Augsburg ein solches Projekt sein, so Bauer. Parallel zu den Protestaktionen lief am Mittwoch die bereits fünfte Verhandlungsrunde in Berlin.
Zentraler Bestandteil der Tarifgespräche ist für die Beschäftigten tatsächlich das Thema Wegezeit. Ein Vorarbeiter im Tiefbau berichtet, dass er zuletzt bei einer Baustelle über zweieinhalb Jahre rund 400 Stunden damit verbracht habe, diese zu erreichen und am Abend wieder zu verlassen. „Für diese Fahrzeiten bekommen wir kein Geld. Diese Stunden kommen aber zur eigentlichen Arbeitszeit obendrauf“, erzählt der Mann, der lieber anonym bleiben möchte. Auch andere Kollegen sehen hier die zentrale Forderung in den Tarifverhandlungen. „Ich arbeite als Polier im Straßenbau im Allgäu. Im ländlichen Raum haben wir oft weite Anfahrtswege zu den Baustellen. Eineinhalb Stunden pro Tag für An- und Abfahrt sind da normal“, erzählt er. Diese Zeit wolle er künftig bezahlt bekommen. Laut IG Bau-Regionalleiter Bauer würden rund 90 Prozent der Beschäftigten nach wie vor keine Vergütung der Wegezeit erhalten.
Besonders verärgert sind Gewerkschaft und Beschäftigte über die zähen Verhandlungen, weil die Baubranche selbst während Corona boomt. Die Beschäftigten im Bauhauptgewerbe, um die es aktuell geht, hätten auch während der Pandemie durchgearbeitet, Straßen und Wohnungen fertiggestellt und die Infrastruktur aufrechterhalten. „Hier geht es um Wertschätzung für diese Menschen und deren Arbeit, und alles was kommt ist Ignoranz, sind Mogelpackungen oder Unverschämtheiten“, beschwert sich Karl Bauer.
Die Gewerkschaft verweist zudem auf Zahlen zum Wirtschaftsfaktor Bau. Nach einer aktuellen Schätzung des Pestel-Instituts erwirtschaftete Bayerns Baugewerbe im vergangenen Jahr rund 35,3 Milliarden
Euro – zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Hinzu komme ein anwachsender „Bauüberhang“: Im Freistaat wurden zwischen 2011 und 2019 laut Pestel-Institut 109.000 Wohneinheiten mehr genehmigt als fertiggestellt. Diese Wohnungen müssen erst noch gebaut werden. Allein in Augsburg beläuft sich der Bauüberhang auf derzeit knapp 2300 Wohnungen. In der Stadt setzte die Baubranche im letzten Jahr 555 Millionen Euro um – elf Prozent mehr als im Vorjahr. Von diesen Entwicklungen müssten auch die Beschäftigten profitieren, so die Ansicht der Gewerkschaft.
Auch die Beschäftigtenzahlen stiegen in Pandemiezeiten. Zum Jahresende lag die Zahl in Augsburg bei 5109. Damit gab es im ersten Corona-Krisenjahr 245 Bauarbeiter mehr als 2019 – ein Plus von fünf Prozent. Was die Arbeitszeiten angeht, liegen Bauarbeiter an der Spitze: Pro Kopf arbeiten Baubeschäftigte in Augsburg im Schnitt 1480 Stunden im Jahr. Das sind 174 Stunden und damit 13,3 Prozent mehr als Beschäftigte in Augsburg quer durch alle Berufe durchschnittlich bei der Arbeit verbringen. Die IG Bau Schwaben beruft sich dabei auf den aktuellen Arbeitsmarkt-Monitor des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.