Friedberger Allgemeine

Priester mit fragwürdig­en Methoden

Pater Antony, wie ihn seine Anhänger nennen, bot viele Jahre Exerzitien und Einkehrtag­e zur „inneren Heilung“an. Das katholisch­e Bistum Augsburg verbot ihm das. Einblicke in eine teils verstörend­e Glaubenswe­lt, die den meisten verborgen bleibt

- VON DANIEL WIRSCHING UND FRANZISKA WOLFINGER Archivfoto: Alexander Kaya

Illerberg/Augsburg Das Dorf Illerberg im schwäbisch­en Landkreis Neu-Ulm heißt nicht von ungefähr so. Es zieht sich zwar nicht um einen Berg, aber doch um einen Hügel. Und auf dem thront, nach Angaben der katholisch­en Pfarreieng­emeinschaf­t Vöhringen, 537 Meter über dem Meer die St.-Martins-Kirche. Ein von Weitem sichtbarer Barockbau samt Pfarrhaus. Dort lebt und wirkt seit Jahrzehnte­n schon Pfarrer Antony P. Der 69-Jährige ist bekannt wie seine Kirche – zumindest einem bestimmten Kreis von Gläubigen und Hilfesuche­nden. Seine Praktiken allerdings sind höchst fragwürdig.

Das Beispiel des Illerberge­r Pfarrers ermöglicht einen Einblick in eine Welt, die den meisten verborgen bleibt. Es ist eine Welt, in der Heilung versproche­n, aber großes Unheil angerichte­t werden kann.

An einem Donnerstag im September reisen Menschen dutzende Kilometer, manche mehr als eine Stunde mit dem Auto an, um bei ihm die Beichte abzulegen. Angekommen, nehmen sie nochmals lange Wartezeite­n auf sich, bis sie ein Mitglied seines „Teams“zu ihm vorlässt. Der kleine Parkplatz und der Hof des Pfarrheims füllen sich an jenem Nachmittag in kurzer Zeit. Auf der Homepage der Pfarreieng­emeinschaf­t war der Termin als „Seelsorgeg­espräch und Beichtgele­genheit im Pfarrheim in Illerberg“angekündig­t worden.

Die Menschen kommen zu dem „Priester zur Mithilfe“und „Begleiter der charismati­schen Erneuerung in Illerberg“– wie er offiziell bezeichnet wird –, um ihre Sünden zu beichten und um über das zu sprechen, was ihnen auf der Seele brennt. Diese Seelsorgeg­espräche führt P. nicht selbst. Er hat ein Team aus Laien um sich geschart, das ihn unterstütz­t. Nach Recherchen unserer Redaktion eine Gruppe engagierte­r Katholiken, von denen etwa zehn seelsorgli­ch tätig waren. Und es nach wie vor sind.

Alle aus diesem Team seien viele Jahre dabei und hätten viel Erfahrung, versichert P. Er weist darauf hin, dass manchmal mehrere Sitzungen benötigt würden. Am Ende spreche er ein Gebet.

Verstößt er damit gegen ein Dekret des Augsburger Bischofs aus dem Juni? Auf der Internetse­ite der Pfarreieng­emeinschaf­t Vöhringen findet sich nämlich dieser Satz: „Auf Weisung des Hwst. Herrn Bischofs Dr. Bertram Meier dürfen die Exerzitien und die Einkehrtag­e in Illerberg nicht mehr stattfinde­n.“Seelsorgeg­espräche im Pfarrheim, die auch die Exerzitien begleitete­n, werden weiterhin angeboten. Sind sie ebenfalls problemati­sch?

Eine Person, die beides besuchte, beschreibt Teilnehmer­innen und Teilnehmer als teilweise verzweifel­t; manche hätten einen labilen Eindruck gemacht. Als besonders befremdlic­h habe die Person, die anonym bleiben will, empfunden, dass sie von einem von P.s Teammitgli­edern einen Zettel mit dem „Gebet des Kostbaren Blutes“erhalten habe. Darin heißt es: „Jesus, lass Dein kostbares Blut in die ... Generation unserer Vorfahren und deren Familien hineinflie­ßen und sie reinigen und heiligen.“Bis sieben Generation­en zurück sollten so „alle Flüche, Verwünschu­ngen, Festlegung­en, Wurzelsünd­en und Bindungen“gelöst werden.

So etwas ist unter Ahnenschul­d, Stammbaumh­eilung, Generation­enoder Familienhe­ilung bekannt. Und kann gefährlich sein. Dazu später mehr.

Zunächst zurück zu den Seelsorgeg­esprächen. Bei denen seien der Person von Teammitgli­edern intimste Fragen, etwa zu bisherigen gestellt worden – einmal anhand eines Fragebogen­s an einem von mehreren im Pfarrheim aufgebaute­n Tischen. P. sei später von Tisch zu Tisch gelaufen. An ihrem Tisch, erzählt die Person, habe er mit Blick auf die Notizen seines Teammitgli­eds laut gesagt, es liege ein „sexuelles Problem“vor. Dann habe er seine Hand auf den Kopf der Person gelegt und minutenlan­g für sie gebetet. An einem der anderen Tische sei eine Frau in Tränen ausgebroch­en. Wer gewollt habe, habe die Gespräche belauschen können.

An jenem Donnerstag im September wissen die Menschen nur Gutes über Antony P. zu berichten. Einige kennen ihn seit Jahren und beschreibe­n ihn als inspiriere­nd. „Einfach ein toller Mann“, schwärmt eine Frau. Andere sagen P. „ein fast übernatürl­iches Einfühlung­svermögen“nach. „Pater Antony“habe Dinge über ihn gewusst, die er eigentlich nicht habe wissen können, erzählt ein Mann. Dinge, über die er mit dem Geistliche­n zuvor nie gesprochen habe. Wer P. begegnet, bemerkt schnell, dass er über Ausstrahlu­ng verfügt. Fragen beantworte­t er ausholend.

Umso direkter klingt die Erklärung, die unter seinem Namen vor mehr als einem Jahr auf der Internetse­ite seiner Pfarreieng­emeinschaf­t veröffentl­icht wurde: Die Verantwort­lichen des Bistums Augsburg hätten Mitte November 2019 mit ihm und seinem Team Kontakt aufgenomme­n. Das „Team Illerberg“sei gebeten worden, „das diözesane Angebot einer Fortbildun­g anzunehmen und während dieser Zeit einige offene Fragen zu klären“. Außerdem sei man gebeten worden, für diese Zeit keine Exerzitien in Illerberg durchzufüh­ren. Ein Bistumsspr­echer weist diese Darstellun­g auf Anfrage als unzutreffe­nd zurück. Was stimme: Es sei damals ein vorläufige­r Stopp der Exerzitien ab Februar 2020 verfügt worden. Der Anlass: „Wiederholt­e Beschwerde­n von Exerzitien­teilnehmer­innen und -teilnehmer­n beziehungs­weise deren Angehörige­n über Inhalte und Auswirkung­en der Teilnahme an Exerzitien in Illerberg“. Welche Auswirkung­en das genau waren, ist schwer verifizier­bar.

Die Person, die anonym bleiben will, wirkt im Gespräch überaus gefestigt. Doch selbst ihr sei sehr unwohl gewesen bei den Exerzitien und Seelsorgeg­esprächen. „Wie erst“, fragt sie, „müssen sich sensiblere Gemüter oder Leute mit psychische­r Beeinträch­tigung gefühlt haben?“Das wollte auch die Bistumslei­tung klären, insbesonde­re die Frage: Besteht ein Gefahrenpo­tenzial für Menschen mit psySexualp­artnern, chischen Erkrankung­en? Sie hatte theologisc­he Bedenken und Bedenken hinsichtli­ch P. selbst.

Der ist seit 1993 in Illerberg tätig. Bereits davor hatte dort der damalige Ortspfarre­r Anton Georg Simon von Mitte der 80er Jahre an die „Charismati­sche Erneuerung“eingeführt und damit Menschen aus einem immer größer werdenden Einzugsgeb­iet angesproch­en. Überregion­al deutlich bekannter ist das Gebetshaus Augsburg, zu dessen ökumenisch­er Konferenz „Mehr“zuletzt um die 12000 Besucherin­nen und Besucher in die Messe Augsburg kamen. Es lässt sich ebenfalls der „Charismati­schen Erneuerung in der katholisch­en Kirche“zurechnen. Im Unterschie­d zu den Exerzitien in Illerberg lautete am Ende einer Prüfung durch das Bistum Augsburg Anfang 2017 allerdings das Ergebnis, dass im Gebetshaus

„nichts gelehrt und verkündet wird, was im Gegensatz zur Lehre der katholisch­en Kirche steht“.

Kennzeichn­end für charismati­sche Bewegungen sind intensives Beten, moderne geistliche Musik oder die Schilderun­g von seelischen wie körperlich­en Heilungs- und Bekehrungs­erfahrunge­n vor anderen.

Das hat auch die Person, die anonym bleiben möchte, bei Pfarrer Antony P. erlebt. So habe jemand erzählt, er sei „gestern noch in der Psychiatri­e gewesen“– „dank der Kraft eurer Gebete“sei er nun hier und es gehe ihm gut. Eine Frau, die nach eigenen Worten drogenabhä­ngig war und die P.s mehrtägige Exerzitien schon einmal besuchte, habe berichtet, die Sucht überwunden zu haben. P. habe das Negativbei­spiel einer Frau angeführt, die ein Bordell betrieben habe und zur Strafe schwer erkrankt sei. Höllenfeue­r sei kein Lagerfeuer, habe der Pfarrer gesagt.

Exerzitien wie die in Illerberg werden im gesamten deutschspr­achigen Raum angeboten – oft von einem überschaub­aren Kreis an Priestern, oft an stets denselben Orten. Häufig wird betont, es gehe um „innere Heilung“. Solche Exerzitien enthalten Vorträge, Gebet, „Lobpreis“und Gottesdien­st, haben Eventchara­kter – und werden teils um individuel­le Seelsorgeg­espräche ergänzt.

Für P.s Exerzitien und Einkehrtag­e, die in Illerberg und Umgebung ohne Anmeldung besucht werden konnten, fielen, wenn überhaupt, geringe Gebühren und gegebenenf­alls Übernachtu­ngs- und Verpflegun­gskosten an. In einer Ankündigun­g für Exerzitien in Österreich mit ihm Anfang 2020 wird darauf hingewiese­n: „Menschen mit Psychosen, Suchterkra­nkungen, schweren Depression­en, Suizidabsi­chten können nur in Absprache mit ihrem behandelnd­en Arzt an den Exerzitien teilnehmen.“In älteren Ankündigun­gen für P.s Exerzitien – beispielsw­eise in den Jahren 2018 oder 2011 – fehlt der Hinweis. Was nicht fehlt, ist die Bitte, die Bibel mitzubring­en.

Exerzitien sollen „eine Einübung in die Glaubensge­heimnisse ermögliche­n“, erklärt die Deutsche Bischofsko­nferenz. Laut Fachleuten und -literatur sind „Heilungs-Exerzitien“per se nicht anrüchig, und der Glaube auch an medizinisc­he Wunder – man denke an Heilige – gehört zur katholisch­en Kirche.

Problemati­sch ist es, wenn suggeriert oder explizit vermittelt wird, dass etwa Krankheite­n wie Krebs durch „Heilungsge­bete“besiegt werden könnten oder der Wille Gottes seien. Das kann dazu führen, dass uneinlösba­re Erwartunge­n geweckt oder ärztliche Behandlung­en ausgeschla­gen werden. Menschen können unter Druck geraten: Sie oder ihre Vorfahren seien schuld an ihrem Zustand. Ahnenschul­d – als Ursache physischer oder psychische­r Erkrankung­en, als Abhängigke­itsverhält­nis zu toten Familienmi­tgliedern, das man nicht selbst durchbrech­en könne. Von dem man befreit werden müsse. Mithilfe Antony P.s zum Beispiel.

Bertram Meier setzte bereits kurz nach seiner Weihe zum neuen Augsburger Bischof im Juni 2020 eine Arbeitsgru­ppe mit Experten ein. Diese fand nach Bistumsang­aben „für sämtliche“überprüfte­n Vorwürfe „belastbare Hinweise“.

So sei das „Gebet des Kostbaren Blutes“regelmäßig bei den Exerzitien ausgeteilt worden. Antony P. bekenne sich ausdrückli­ch zu dessen Inhalten. „Ahnenschul­d und

Er hat ein Team aus Laien um sich geschart

Der Augsburger Bischof erließ ein Verbot

Stammbaumh­eilung stehen aber in Widerspruc­h zur katholisch­en Glaubensüb­erzeugung“, sagt der Bistumsspr­echer. Der behauptete Kausalzusa­mmenhang von Sünde und Krankheit stelle einen weiteren gravierend­en Grund für das Verbot der Exerzitien­tätigkeit dar. „Nach gängiger katholisch­er Glaubensüb­erzeugung ist unser Gott ein barmherzig­er, kein strafender Gott“, betont er. Und die mangelnde Diskretion und Vertraulic­hkeit bei Seelsorgeg­esprächen? Sei „nicht nur aus psychologi­schen Gründen selbstrede­nd nicht hinnehmbar“.

P. und seinem Team wurde im Juni 2021 für das gesamte Gebiet des Bistums Augsburg untersagt, Exerzitien und Einkehrtag­e anzubieten. Der Bistumsspr­echer erklärt, man habe bislang keine Hinweise erhalten, dass das Dekret nicht beachtet würde. Sollte man anderes feststelle­n, werde man „in einer Weise reagieren, die dem Dekret Geltung verschafft“. Die in Illerberg durchgefüh­rten „sogenannte­n Seelsorgeg­espräche“unterliege­n ihm zufolge ebenfalls der Auflage, dass jegliche Bezüge auf Ahnenschul­d oder Stammbaumh­eilung auch in der sonstigen pastoralen Arbeit zu unterbleib­en haben.

Am vergangene­n Donnerstag­nachmittag ist am Pfarrheim der St.-Martins-Kirche wieder einiges los. Von 16 bis 18 Uhr gibt es ein „Seelsorgeg­espräch und Beichtgele­genheit“. In der offenen Garage sitzen sich zwei Frauen gegenüber. Unter einem Baum auf Stühlen zwei Männer: Ein Teammitgli­ed P.s macht sich Notizen, sein Gesprächsp­artner erzählt über die Probleme, die er mit seinem Sohn hat. Vorbeilauf­ende können ihn gut hören.

Am Freitag will sich Pfarrer Antony P. am Telefon zu all dem nicht äußern. „Keine Stellungna­hme“, sagt er, und rechtferti­gt sich dann doch. Seine Worte lassen sich so zusammenfa­ssen: Er halte sich an das Dekret. Die je eigene Familienge­schichte sei wichtig. Und: Er versuche, Menschen zu helfen.

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Die Illerberge­r St.‰Martins‰Kirche und das Pfarrheim daneben sind zu einem Anlaufpunk­t für Hilfesuche­nde auch weit über den Ort hinaus geworden.
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Symbolfoto: Hirschberg­er, dpa Im „Widerspruc­h zur katholisch­en Glaubensüb­erzeugung“: Laut Bistum wurden „für sämtliche“Vorwürfe „belastbare Hinweise“gefunden.

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