Auf den Intensivstationen wird es wieder eng
Corona Obwohl die Krankenhaus-Ampel in Bayern auf Grün steht, wächst in vielen Kliniken die Angst. Denn die regionalen Unterschiede sind groß. Warum die aktuelle Lage in der Pandemie eine ganz besondere ist
Augsburg Mit Anfang 40 ist ein zweifacher Familienvater am Freitag gestorben. Er hatte sich mit dem Coronavirus infiziert. Geimpft war er nicht. Die Ärzte am Universitätsklinikum Augsburg haben wirklich alles versucht, sein Leben zu retten, betont Professor Dr. Michael Beyer, der Ärztliche Direktor des Uniklinikums. Auch wenn solche Tragödien sehr schmerzen, die Lage in seinem Haus schätzt er als noch beherrschbar ein. Anders sieht es in der München Klinik Schwabing aus: Dr. Niklas Schneider und sein Team auf den Intensivstationen sind „extrem belastet“. Der Großteil sind CovidPatientinnen und -Patienten. Schon jetzt müsse man Patienten in andere Häuser verlegen, da die Kapazitäten nicht ausreichen.
Doch wie kann das sein? Die Krankenhaus-Ampel in Bayern steht doch auf Grün. Alle wichtigen Kennzahlen sind also im grünen Bereich. „Die Zahlen allein geben aber nicht die detaillierte Lage wieder“, erklärt Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. „Das Problem ist, dass wir sehr große regionale Unterschiede in Bayern haben.“War es vor ein paar Tagen noch am Uniklinikum Augsburg plötzlich eng, sei nun beispielsweise der südöstliche Raum rund um Rosenheim stärker belastet. „Hinzu kommt, dass die Menschen, die jetzt mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus kommen, so schwere Verläufe haben, dass sie sehr schnell auf die Intensivstation müssen und dort auch wesentlich länger behandelt werden als früher.“Das heißt: „Es sind vor allem die Intensivstationen, die aktuell die größten Probleme haben und am schnellsten an ihre Grenzen stoßen.“Denn Intensivbetten sind extrem personalintensiv und benötigen Fachkräfte. Genau an ihnen fehlt es aber, sagt Engehausen. Zwar konnte man die Zahl der Auszubildenden zuletzt steigern, aber in den nächsten Jahren bleibe noch ein Engpass.
„Die Delta-Variante ist offensichtlich infektiöser“, sagt der Münchner Intensivmediziner Schneider. Und er erklärt auch, warum die Covid-Patienten länger auf der Intensivstation bleiben: „Jüngere Menschen kämpfen einfach wesentlich länger mit der Infektion, das hat ja beispielsweise bei der Atmung auch viel mit der Muskelkraft zu tun, die lässt bei älteren Patientinnen und Patienten schneller nach, das heißt, sie sterben früher.“Was die allermeisten Covid-Patientinnen und -Patienten eint, sagt Schneider: Sie sind ungeimpft. Und einige bereuen dies auch nicht, obwohl ihnen längst die Luft zum Atmen fehlt, berichtet der Arzt: „Wir haben Patienten, die vehement bestreiten, dass es Corona gibt, auch wenn der Test eindeutig ist.“Wieder andere bereuen es zutiefst, dass sie nicht zur Impfung gegangen sind. „Wenn man sie dann fragt, warum sie sich nicht haben impfen lassen, sagen sie meist, sie wollten noch abwarten.“
Schneider empfindet es als enttäuschend, dass sich so viele noch immer nicht haben impfen lassen. „Man darf nicht vergessen: Derzeit gibt es keine wirksamen Medikamente, um Sars-CoV-2 zu heilen. Aber es gibt einen einfachen Schutz vor einer schweren Erkrankung: die Impfung.“Dazu ruft der Intensivmediziner bei jeder Gelegenheit auf. Er erlebt schließlich täglich den Kampf der Infizierten um ihr Leben, „den viele auch verlieren“.
Das Uniklinikum Augsburg gehört stets zu den Corona-Hotspots, nicht nur in Bayern, auch bundesweit. „Wir haben den Fühler am Puls der Zeit“, sagt der Ärztliche Direktor Professor Beyer. Gefragt,
ausgerechnet Augsburg so stark betroffen ist, antwortet er: „Wir haben hier viele Covid-Patienten mit Migrationshintergrund. Das sind Menschen, die sind sehr gut integriert, arbeiten auch, waren jetzt im Heimaturlaub und haben sich nicht impfen lassen.“
Anders als viele seiner Kolleginnen und Kollegen hat Beyer aber momentan die Hoffnung, dass mit Blick auf die Zahlen die vierte Welle doch beherrschbar bleibt. Das Problem auch in Augsburg ist allerdings: Es sind vor allem die Intensivstationen, die mit Covid-Patientinnen und -Patienten sehr belastet sind. „60 bis 70 Prozent der CovidPatienten müssen invasiv beatmet werden“, sagt Beyer. Und gerade bei jüngeren Patientinnen und Patienten werde noch stärker als ohnehin schon versucht, wirklich alle Register zu ziehen, um sie am Leben zu erhalten – was letztlich auch zu einer längeren Behandlungszeit auf diesen Stationen führe. Dies wiederum dürfe aber nie zulasten anderer Schwerstkranker führen, betont der erfahrene Arzt. Erschrocken habe auch ihn eine Studie, wonach in ganz Europa im Jahr 2020 etwa eine Million Krebserkrankungen während der Pandemie nicht diagnostiziert wurden, weil die Kapazitäten nicht vorhanden waren oder die Menschen nicht in die Klinik gingen, weil sie fürchteten, sich anzustecken. „Das ist eine sehr hohe Zahl.“
Und genau an diesem Punkt sieht der Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft auch ethische Konflikte: „Wie wollen Sie beispielsweise einem Tumorpatienten jetzt erklären, dass seine Operation verschoben werden muss, weil ungeimpfte Menschen auf den Intensivstationen alle Kapazitäten ausschöpfen?“, fragt Engehausen. Zumal man weiß, dass gerade bei Tumorerkrankungen, aber auch bei anderen schweren Erkrankungen eine Verzögerung der Therapie den Erfolg der Heilung beeinträchtigen kann. Engehausen spricht von einer ganz besonderen Lage, in der sich die Krankenhäuser aktuell befinden: „Es liegen vor allem Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen, deren Behandlung dort verhindert hätte werden können, wenn sich diese Menschen hätten impfen lassen.“Das sei vielen Ärzten und Pflegekräften, bei denen im Übrigen in Bayern die Impfquote mittlerweile bei etwa 90 Prozent liege, sehr bewusst. Sie arbeiten seit Langem schon an der Belastungswarum grenze. Psychosoziale Unterstützungen, die für Klinikbeschäftigte zur Verfügung stehen, werden zunehmend in Anspruch genommen, schildert Engehausen die Lage.
Das Klinikpersonal zu entlasten, sieht er als eine der Hauptaufgaben. Kommt es jetzt wieder zu massiven Engpässen in einzelnen Krankenhäusern, werde das wieder dazu führen, dass viele Patienten verlegt werden müssen oder Kliniken sich gegenseitig unterstützen. „Doch sie können nicht Klinikpersonal einfach von A nach B schicken, das funktioniert auf Dauer nicht.“
Auch Martin Gösele, Vorstand der Wertachkliniken, macht vor allem die extrem hohe Belastung der Klinikmitarbeiter große Sorge. Auf Normalstation hatten sie am Freitag keinen Covid-Patienten mehr, dafür drei auf Intensiv. „Und Intensivfälle sind sehr arbeitsintensiv.“
Im Rettungsdienstbereich Augsburg schaut man, wie die Bettenauslastung ist und hilft sich kollegial gegenseitig, berichtet Dr. Hubert Mayer, Geschäftsführer der Kliniken an der Paar. Doch das überregionale Bettenbelegungsmanagement gab es nur bis Mitte Juli, sagt Mayer, der genau dafür in Schwaben zuständig war. Der Arzt schaut nicht nur auf die Ampel, er verfolgt auch weiter die Inzidenz. „Denn sie ist für uns ein Frühwarnsystem, die uns zeigt, was auf uns zukommen könnte. Und schon jetzt haben wir Inzidenzen, die wir im vergangenen
„Mit der DeltaVariante wird jeder in Kontakt kommen.“
Jahr erst Ende Oktober hatten.“Mayer ist sich daher sicher: „Wir stehen erst am Beginn der vierten Welle.“Die Zahlen momentan seien zwar wieder überschaubar, da nicht mehr so viele infizierte Reiserückkehrer behandelt werden müssen. Doch da sich in absehbarer Zeit aufgrund der kälteren Jahreszeit wieder mehr Menschen in Innenräumen treffen werden, die Lüftungsmöglichkeiten nicht immer optimal und auch Geimpfte potenzielle Virusüberträger sind, ist sich der Mediziner sicher, dass die Zahl der in Kliniken zu behandelnden Infizierten noch steigen wird. „Jeder Bürger wird bis zum Frühjahr mit der Delta-Variante in Kontakt kommen“, sagt Mayer. „Das ist sicher. Die Frage ist nur: Wer wird krank? Wer wird wie schwer krank? Und wie viele Menschen müssen noch an Covid sterben?“»Kommentar