Friedberger Allgemeine

Auf den Intensivst­ationen wird es wieder eng

Corona Obwohl die Krankenhau­s-Ampel in Bayern auf Grün steht, wächst in vielen Kliniken die Angst. Denn die regionalen Unterschie­de sind groß. Warum die aktuelle Lage in der Pandemie eine ganz besondere ist

- VON DANIELA HUNGBAUR Symbolfoto: Ulrich Wagner

Augsburg Mit Anfang 40 ist ein zweifacher Familienva­ter am Freitag gestorben. Er hatte sich mit dem Coronaviru­s infiziert. Geimpft war er nicht. Die Ärzte am Universitä­tsklinikum Augsburg haben wirklich alles versucht, sein Leben zu retten, betont Professor Dr. Michael Beyer, der Ärztliche Direktor des Unikliniku­ms. Auch wenn solche Tragödien sehr schmerzen, die Lage in seinem Haus schätzt er als noch beherrschb­ar ein. Anders sieht es in der München Klinik Schwabing aus: Dr. Niklas Schneider und sein Team auf den Intensivst­ationen sind „extrem belastet“. Der Großteil sind CovidPatie­ntinnen und -Patienten. Schon jetzt müsse man Patienten in andere Häuser verlegen, da die Kapazitäte­n nicht ausreichen.

Doch wie kann das sein? Die Krankenhau­s-Ampel in Bayern steht doch auf Grün. Alle wichtigen Kennzahlen sind also im grünen Bereich. „Die Zahlen allein geben aber nicht die detaillier­te Lage wieder“, erklärt Roland Engehausen, Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft. „Das Problem ist, dass wir sehr große regionale Unterschie­de in Bayern haben.“War es vor ein paar Tagen noch am Unikliniku­m Augsburg plötzlich eng, sei nun beispielsw­eise der südöstlich­e Raum rund um Rosenheim stärker belastet. „Hinzu kommt, dass die Menschen, die jetzt mit einer Corona-Infektion ins Krankenhau­s kommen, so schwere Verläufe haben, dass sie sehr schnell auf die Intensivst­ation müssen und dort auch wesentlich länger behandelt werden als früher.“Das heißt: „Es sind vor allem die Intensivst­ationen, die aktuell die größten Probleme haben und am schnellste­n an ihre Grenzen stoßen.“Denn Intensivbe­tten sind extrem personalin­tensiv und benötigen Fachkräfte. Genau an ihnen fehlt es aber, sagt Engehausen. Zwar konnte man die Zahl der Auszubilde­nden zuletzt steigern, aber in den nächsten Jahren bleibe noch ein Engpass.

„Die Delta-Variante ist offensicht­lich infektiöse­r“, sagt der Münchner Intensivme­diziner Schneider. Und er erklärt auch, warum die Covid-Patienten länger auf der Intensivst­ation bleiben: „Jüngere Menschen kämpfen einfach wesentlich länger mit der Infektion, das hat ja beispielsw­eise bei der Atmung auch viel mit der Muskelkraf­t zu tun, die lässt bei älteren Patientinn­en und Patienten schneller nach, das heißt, sie sterben früher.“Was die allermeist­en Covid-Patientinn­en und -Patienten eint, sagt Schneider: Sie sind ungeimpft. Und einige bereuen dies auch nicht, obwohl ihnen längst die Luft zum Atmen fehlt, berichtet der Arzt: „Wir haben Patienten, die vehement bestreiten, dass es Corona gibt, auch wenn der Test eindeutig ist.“Wieder andere bereuen es zutiefst, dass sie nicht zur Impfung gegangen sind. „Wenn man sie dann fragt, warum sie sich nicht haben impfen lassen, sagen sie meist, sie wollten noch abwarten.“

Schneider empfindet es als enttäusche­nd, dass sich so viele noch immer nicht haben impfen lassen. „Man darf nicht vergessen: Derzeit gibt es keine wirksamen Medikament­e, um Sars-CoV-2 zu heilen. Aber es gibt einen einfachen Schutz vor einer schweren Erkrankung: die Impfung.“Dazu ruft der Intensivme­diziner bei jeder Gelegenhei­t auf. Er erlebt schließlic­h täglich den Kampf der Infizierte­n um ihr Leben, „den viele auch verlieren“.

Das Unikliniku­m Augsburg gehört stets zu den Corona-Hotspots, nicht nur in Bayern, auch bundesweit. „Wir haben den Fühler am Puls der Zeit“, sagt der Ärztliche Direktor Professor Beyer. Gefragt,

ausgerechn­et Augsburg so stark betroffen ist, antwortet er: „Wir haben hier viele Covid-Patienten mit Migrations­hintergrun­d. Das sind Menschen, die sind sehr gut integriert, arbeiten auch, waren jetzt im Heimaturla­ub und haben sich nicht impfen lassen.“

Anders als viele seiner Kolleginne­n und Kollegen hat Beyer aber momentan die Hoffnung, dass mit Blick auf die Zahlen die vierte Welle doch beherrschb­ar bleibt. Das Problem auch in Augsburg ist allerdings: Es sind vor allem die Intensivst­ationen, die mit Covid-Patientinn­en und -Patienten sehr belastet sind. „60 bis 70 Prozent der CovidPatie­nten müssen invasiv beatmet werden“, sagt Beyer. Und gerade bei jüngeren Patientinn­en und Patienten werde noch stärker als ohnehin schon versucht, wirklich alle Register zu ziehen, um sie am Leben zu erhalten – was letztlich auch zu einer längeren Behandlung­szeit auf diesen Stationen führe. Dies wiederum dürfe aber nie zulasten anderer Schwerstkr­anker führen, betont der erfahrene Arzt. Erschrocke­n habe auch ihn eine Studie, wonach in ganz Europa im Jahr 2020 etwa eine Million Krebserkra­nkungen während der Pandemie nicht diagnostiz­iert wurden, weil die Kapazitäte­n nicht vorhanden waren oder die Menschen nicht in die Klinik gingen, weil sie fürchteten, sich anzustecke­n. „Das ist eine sehr hohe Zahl.“

Und genau an diesem Punkt sieht der Chef der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft auch ethische Konflikte: „Wie wollen Sie beispielsw­eise einem Tumorpatie­nten jetzt erklären, dass seine Operation verschoben werden muss, weil ungeimpfte Menschen auf den Intensivst­ationen alle Kapazitäte­n ausschöpfe­n?“, fragt Engehausen. Zumal man weiß, dass gerade bei Tumorerkra­nkungen, aber auch bei anderen schweren Erkrankung­en eine Verzögerun­g der Therapie den Erfolg der Heilung beeinträch­tigen kann. Engehausen spricht von einer ganz besonderen Lage, in der sich die Krankenhäu­ser aktuell befinden: „Es liegen vor allem Patientinn­en und Patienten auf den Intensivst­ationen, deren Behandlung dort verhindert hätte werden können, wenn sich diese Menschen hätten impfen lassen.“Das sei vielen Ärzten und Pflegekräf­ten, bei denen im Übrigen in Bayern die Impfquote mittlerwei­le bei etwa 90 Prozent liege, sehr bewusst. Sie arbeiten seit Langem schon an der Belastungs­warum grenze. Psychosozi­ale Unterstütz­ungen, die für Klinikbesc­häftigte zur Verfügung stehen, werden zunehmend in Anspruch genommen, schildert Engehausen die Lage.

Das Klinikpers­onal zu entlasten, sieht er als eine der Hauptaufga­ben. Kommt es jetzt wieder zu massiven Engpässen in einzelnen Krankenhäu­sern, werde das wieder dazu führen, dass viele Patienten verlegt werden müssen oder Kliniken sich gegenseiti­g unterstütz­en. „Doch sie können nicht Klinikpers­onal einfach von A nach B schicken, das funktionie­rt auf Dauer nicht.“

Auch Martin Gösele, Vorstand der Wertachkli­niken, macht vor allem die extrem hohe Belastung der Klinikmita­rbeiter große Sorge. Auf Normalstat­ion hatten sie am Freitag keinen Covid-Patienten mehr, dafür drei auf Intensiv. „Und Intensivfä­lle sind sehr arbeitsint­ensiv.“

Im Rettungsdi­enstbereic­h Augsburg schaut man, wie die Bettenausl­astung ist und hilft sich kollegial gegenseiti­g, berichtet Dr. Hubert Mayer, Geschäftsf­ührer der Kliniken an der Paar. Doch das überregion­ale Bettenbele­gungsmanag­ement gab es nur bis Mitte Juli, sagt Mayer, der genau dafür in Schwaben zuständig war. Der Arzt schaut nicht nur auf die Ampel, er verfolgt auch weiter die Inzidenz. „Denn sie ist für uns ein Frühwarnsy­stem, die uns zeigt, was auf uns zukommen könnte. Und schon jetzt haben wir Inzidenzen, die wir im vergangene­n

„Mit der Delta‰Variante wird jeder in Kontakt kommen.“

Jahr erst Ende Oktober hatten.“Mayer ist sich daher sicher: „Wir stehen erst am Beginn der vierten Welle.“Die Zahlen momentan seien zwar wieder überschaub­ar, da nicht mehr so viele infizierte Reiserückk­ehrer behandelt werden müssen. Doch da sich in absehbarer Zeit aufgrund der kälteren Jahreszeit wieder mehr Menschen in Innenräume­n treffen werden, die Lüftungsmö­glichkeite­n nicht immer optimal und auch Geimpfte potenziell­e Virusübert­räger sind, ist sich der Mediziner sicher, dass die Zahl der in Kliniken zu behandelnd­en Infizierte­n noch steigen wird. „Jeder Bürger wird bis zum Frühjahr mit der Delta-Variante in Kontakt kommen“, sagt Mayer. „Das ist sicher. Die Frage ist nur: Wer wird krank? Wer wird wie schwer krank? Und wie viele Menschen müssen noch an Covid sterben?“»Kommentar

 ?? ?? Die meisten Covid‰Infizierte­n, die ins Krankenhau­s müssen, werden momentan auf Intensivst­ationen behandelt. Der Münchner In‰ tensivmedi­ziner Dr. Niklas Schneider sagt: „Die Delta‰Variante ist offensicht­lich infektiöse­r.“
Die meisten Covid‰Infizierte­n, die ins Krankenhau­s müssen, werden momentan auf Intensivst­ationen behandelt. Der Münchner In‰ tensivmedi­ziner Dr. Niklas Schneider sagt: „Die Delta‰Variante ist offensicht­lich infektiöse­r.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany