Es ist grotesk, wie sich Laschet den Wählerwillen zurechtbiegt
Wenn es dem gescheiterten Kandidaten noch gelingt, Kanzler zu werden, ist das legitim. Aber er sollte nicht so tun, als wäre es der Wunsch der Bevölkerung
Die Zeiten, in denen an Wahlabenden alles klar war, sind vorbei. Leider, möchte man sagen. Denn so werden wir uns noch einige Wochen, vielleicht Monate anhören müssen, wie sich die Parteien – allesamt noch im Wahlkampfmodus – den Wählerwillen nach Lust und Laune zurechtbiegen. Nein, es steht nirgendwo geschrieben, dass die stärkste Partei automatisch den Kanzler zu stellen hat. Aber wie die Union ihr epochales Desaster nun in eine Art Regierungsauftrag umzuetikettieren versucht, ist grotesk.
Natürlich kann Armin Laschet noch Kanzler werden, wenn es ihm gelingt, Grüne und FDP auf seine Seite zu ziehen. Das wäre ein strategischer Erfolg, das wäre legitim. Aber dieses Manöver dann ernsthaft als Wählerwillen zu verkaufen, wäre vor allem eines: peinlich. Das scheint auch den ersten CDU-Führungskräften langsam zu dämmern. Und auf die Rückendeckung der CSU kann sich Laschet ohnehin nicht verlassen. Wie lange hält er das also noch durch?
Fest steht: Es gibt zwei große und einen kleinen Sieger dieser Wahl. Die Union gehört nicht dazu. Olaf Scholz hat die SPD aus der drohenden Bedeutungslosigkeit geholt. Hätten die Deutschen den Kanzler direkt wählen können, wäre der Vorsprung noch klarer ausgefallen. Annalena Baerbock hat ihr persönliches Ziel zwar meilenweit verfehlt. Das ändert aber nichts daran, dass die Grünen so stark sind wie nie und mehr zugelegt haben als alle anderen. Und die FDP hat sich in der Corona-Krise so überzeugend als Hüterin der Freiheit positioniert, dass sie ihr gutes Ergebnis von der letzten Wahl sogar noch leicht steigern konnte.
Daraus den Schluss zu ziehen, dass die Wählerinnen und Wähler keine linke Regierung wollen und deshalb Laschet Kanzler an der Spitze einer Jamaika-Koalition werden sollte, grenzt an Realitätsverweigerung.
Richtig ist, dass die Deutschen keine Lust auf RotGrün-Rot hatten, was man am freien Fall der Linken sehen kann. Aber eine Ampel mit einem nicht gerade linksblinkenden Sozialdemokraten Scholz als Kanzler, längst in der bürgerlichen Mitte angekommenen Grünen und einer komplett links-unverdächtigen FDP ist eben alles, nur keine linke Regierung.
Man hat den Eindruck, die Wahlkämpfer der Union haben sich derart in ihren Daueralarmismus vor dem vermeintlich drohenden Linksrutsch verbissen, dass ihnen auch jetzt, da Rot-Rot-Grün ausgeschlossen ist, spontan keine andere Erzählung mehr einfällt.
Genau darauf wird es aber jetzt ankommen. Welches Bündnis verkörpert den glaubhafteren Neuanfang nach der Ära Merkel? Für welche Geschichte steht die nächste
Bundesregierung? Es gibt durchaus Gründe, auch in Jamaika ein bisschen Wechsel zu sehen. Zwei neue Regierungsparteien, ein neuer Kanzler. Dieses Bündnis bedeutet aber eben vor allem, dass der größte Verlierer der Wahl danach den wichtigsten Posten bekäme.
In den kommenden Wochen – wollen wir hoffen, dass es keine Monate werden – müssen die Parteien aus ihrem Wahlkampftunnel heraus. Das gilt aus genannten Gründen für die Union. Das gilt für Olaf Scholz, der trotz seines Erfolges Kompromisse machen muss. Es gilt aber auch für die Kanzlermacher von Grünen und FDP. Die ungleichen Partner befinden sich in einer starken Position. Und wenn sie clever sind, dann loten sie gemeinsam aus, was geht und was nicht geht, noch bevor sie Scholz und Laschet quasi zum Vorstellungsgespräch bitten. Aber bei allem Selbstbewusstsein sollten sie ihr Blatt auch nicht überreizen. Wäre der Wählerwille gewesen, dass sie den Ton in der neuen Regierung bestimmen, lägen sie nicht auf Platz drei und vier.
Eine Ampel ist doch alles andere als eine linke Regierung