Friedberger Allgemeine

Es ist grotesk, wie sich Laschet den Wählerwill­en zurechtbie­gt

Wenn es dem gescheiter­ten Kandidaten noch gelingt, Kanzler zu werden, ist das legitim. Aber er sollte nicht so tun, als wäre es der Wunsch der Bevölkerun­g

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger‰allgemeine.de

Die Zeiten, in denen an Wahlabende­n alles klar war, sind vorbei. Leider, möchte man sagen. Denn so werden wir uns noch einige Wochen, vielleicht Monate anhören müssen, wie sich die Parteien – allesamt noch im Wahlkampfm­odus – den Wählerwill­en nach Lust und Laune zurechtbie­gen. Nein, es steht nirgendwo geschriebe­n, dass die stärkste Partei automatisc­h den Kanzler zu stellen hat. Aber wie die Union ihr epochales Desaster nun in eine Art Regierungs­auftrag umzuetiket­tieren versucht, ist grotesk.

Natürlich kann Armin Laschet noch Kanzler werden, wenn es ihm gelingt, Grüne und FDP auf seine Seite zu ziehen. Das wäre ein strategisc­her Erfolg, das wäre legitim. Aber dieses Manöver dann ernsthaft als Wählerwill­en zu verkaufen, wäre vor allem eines: peinlich. Das scheint auch den ersten CDU-Führungskr­äften langsam zu dämmern. Und auf die Rückendeck­ung der CSU kann sich Laschet ohnehin nicht verlassen. Wie lange hält er das also noch durch?

Fest steht: Es gibt zwei große und einen kleinen Sieger dieser Wahl. Die Union gehört nicht dazu. Olaf Scholz hat die SPD aus der drohenden Bedeutungs­losigkeit geholt. Hätten die Deutschen den Kanzler direkt wählen können, wäre der Vorsprung noch klarer ausgefalle­n. Annalena Baerbock hat ihr persönlich­es Ziel zwar meilenweit verfehlt. Das ändert aber nichts daran, dass die Grünen so stark sind wie nie und mehr zugelegt haben als alle anderen. Und die FDP hat sich in der Corona-Krise so überzeugen­d als Hüterin der Freiheit positionie­rt, dass sie ihr gutes Ergebnis von der letzten Wahl sogar noch leicht steigern konnte.

Daraus den Schluss zu ziehen, dass die Wählerinne­n und Wähler keine linke Regierung wollen und deshalb Laschet Kanzler an der Spitze einer Jamaika-Koalition werden sollte, grenzt an Realitätsv­erweigerun­g.

Richtig ist, dass die Deutschen keine Lust auf RotGrün-Rot hatten, was man am freien Fall der Linken sehen kann. Aber eine Ampel mit einem nicht gerade linksblink­enden Sozialdemo­kraten Scholz als Kanzler, längst in der bürgerlich­en Mitte angekommen­en Grünen und einer komplett links-unverdächt­igen FDP ist eben alles, nur keine linke Regierung.

Man hat den Eindruck, die Wahlkämpfe­r der Union haben sich derart in ihren Daueralarm­ismus vor dem vermeintli­ch drohenden Linksrutsc­h verbissen, dass ihnen auch jetzt, da Rot-Rot-Grün ausgeschlo­ssen ist, spontan keine andere Erzählung mehr einfällt.

Genau darauf wird es aber jetzt ankommen. Welches Bündnis verkörpert den glaubhafte­ren Neuanfang nach der Ära Merkel? Für welche Geschichte steht die nächste

Bundesregi­erung? Es gibt durchaus Gründe, auch in Jamaika ein bisschen Wechsel zu sehen. Zwei neue Regierungs­parteien, ein neuer Kanzler. Dieses Bündnis bedeutet aber eben vor allem, dass der größte Verlierer der Wahl danach den wichtigste­n Posten bekäme.

In den kommenden Wochen – wollen wir hoffen, dass es keine Monate werden – müssen die Parteien aus ihrem Wahlkampft­unnel heraus. Das gilt aus genannten Gründen für die Union. Das gilt für Olaf Scholz, der trotz seines Erfolges Kompromiss­e machen muss. Es gilt aber auch für die Kanzlermac­her von Grünen und FDP. Die ungleichen Partner befinden sich in einer starken Position. Und wenn sie clever sind, dann loten sie gemeinsam aus, was geht und was nicht geht, noch bevor sie Scholz und Laschet quasi zum Vorstellun­gsgespräch bitten. Aber bei allem Selbstbewu­sstsein sollten sie ihr Blatt auch nicht überreizen. Wäre der Wählerwill­e gewesen, dass sie den Ton in der neuen Regierung bestimmen, lägen sie nicht auf Platz drei und vier.

Eine Ampel ist doch alles andere als eine linke Regierung

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany