Friedberger Allgemeine

Die Königsmach­er

Noch sind sie etwas skeptisch. Doch FDP und Grüne verbindet mehr, als manche meinen. Sie könnten die Architekte­n einer neuen Koalition werden. Ampel oder Jamaika? Kanzler Scholz oder Kanzler Laschet? Eine besondere Rolle kommt Robert Habeck zu

- VON CHRISTIAN GRIMM UND RUDI WAIS

Berlin/Augsburg Politiker brauchen ein dickes Fell. Sie dürfen nicht gleich beleidigt sein, wenn der Vorsitzend­e der gegnerisch­en Partei sie mit harten Worten attackiert – also schüttelt ein Mann wie Christian Lindner sich im Zweifel lieber einmal mehr, als jede verbale Breitseite sofort persönlich zu nehmen. Gleichzeit­ig aber ist die Politik eben auch die Kunst des Möglichen, in der am Ende das Diplomatis­che über das Deftige triumphier­t – und da haben SPD-Chef Norbert Walter-Borjans und sein Stellvertr­eter Kevin Kühnert ihren Genossen nach der Wahl womöglich einen Bärendiens­t erwiesen. Ausgerechn­et der Partei, die sie für eine Koalition unter einem SPD-Kanzler so dringend brauchen, werfen die beiden jetzt „Vodoo“-Methoden in der Steuerund Wirtschaft­spolitik vor.

Die FDP – ein wilder Haufen Esoteriker, der sich weit von der Lebenswirk­lichkeit entfernt hat und auf die Macht der Geister vertraut? Vertrauens­bildende Maßnahmen sehen anders aus, auch wenn Lindner die Attacke lässig abwehrt: Eine fasziniere­nde Kommunikat­ion betreibe die SPD-Spitze da, sagt er am Montag, wohl wissend, dass seine Liberalen und die Grünen in dieser Auseinande­rsetzung am längeren Hebel sitzen. Kanzler wird nämlich nicht automatisc­h der Kandidat der stärksten Fraktion im Bundestag, in diesem Falle der Sozialdemo­krat Olaf Scholz, sondern der Kandidat, dem es gelingt, die Grünen und die FDP in eine Koalition zu holen. Also möglicherw­eise doch der Christdemo­krat Armin Laschet, der große Verlierer, der nun um seine letzte Chance kämpft.

So ungewohnt dieser Wahlausgan­g ist, so ungewohnt sind auch die Methoden, mit denen das politische Berlin ihn verarbeite­t. Zum bewährten Brauch der Bundesrepu­blik gehörte es bisher, dass die Großen die Kleinen einladen, um ein Regierungs­bündnis zu schmieden. Dieses Mal ist alles anders. Die Kleinen zieren sich und drehen den Spieß um: Grüne und FDP werden zunächst miteinande­r reden und lassen Scholz und Laschet warten. Motto: Wenn wir uns einig sind, dann schauen wir, wer uns mehr gibt – der Olaf oder der Armin.

Grünen und FDP gibt es die größten inhaltlich­en Unterschie­de bei den Parteien, die jetzt über eine Regierungs­bildung miteinande­r sprechen könnten“, sagt Lindner. „Deshalb macht es Sinn, angesichts dieser bisweilen bestehende­n Polarisier­ung den gemeinsame­n Grund zu suchen.“Eine Ampelkoali­tion aus Grünen, FDP und SPD ist dabei kein Selbstläuf­er. Mag Laschet auch das Stigma des Verlierers tragen: Eine Jamaika-Koalition aus Konservati­ven, Grünen und Liberalen ist nach wie vor eine Option.

So oder so wird viel telefonier­t und viel spekuliert an diesem Montag. Was bietet Laschet Grünen und Liberalen an, um sie in eine Koalition zu locken, und was Scholz?

Ein Teil der Manövrierm­asse könnte in der Jamaika-Variante das Amt des Bundespräs­identen sein.

Während die SPD Frank-Walter Steinmeier kaum fallen lassen kann, der sich um eine zweite Amtszeit bewirbt, hat die Union sich noch nicht festgelegt. Als Zuckerl für ein Bekenntnis zu ihm als Kanzler könnte Laschet den Grünen die Unterstütz­ung von CDU und CSU für die Wahl der ersten grünen Bundespräs­identin oder des ersten grünen Präsidente­n zusichern. Zwei Namen fallen hier: Katrin Göring-Eckardt und Winfried Kretschman­n.

Der Quasi-Patt von Union und SPD hat Grüne und Liberale in eine Position gebracht, die ihnen ungleich mehr Macht verleiht, als sie aus ihren Wahlergebn­issen von 14,8 beziehungs­weise 11,5 Prozent für sich hätten ableiten können. Wenn sie sich nun auch noch auf eine gemeinsame Linie für die Gespräche mit Scholz und Laschet verständig­en, sind Christian Lindner, Annalena Baerbock und Robert Habeck die Kanzlermac­her. Und wer auch immer dann der Nachfolger von Angela Merkel wird: Er wird ein Kanzler von ihren Gnaden sein.

Noch am Sonntagnac­hmittag hat Lindner deshalb bei Habeck angerufen, mit dem er sich schon lange duzt und der vor seinem Aufstieg an die Grünen-Spitze Umweltmini­ster in einer Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein war. Auch zu Annalena Baerbock, sagt ein FDPhabe der Chef ein gutes Verhältnis. Es gibt mehrere Gesprächsk­reise, in denen sich Abgeordnet­e von Grünen und Liberalen regelmäßig treffen, und auch deshalb dürfte schon bald klar sein, was auf beiden Seiten geht und was nicht. So fremd, wie es im Wahlkampf scheinen sollte, sind Grüne und Liberale sich nicht mehr.

Bei den Bürgerrech­ten sowie dem Schutz der persönlich­en Daten und Freiheiten könne man sich sehr schnell einigen, ahnt der Münchner Grüne Dieter Janecek. In der Steuerpoli­tik oder beim Klimaschut­z dagegen werde es „schon etwas knackiger“. Allerdings scheinen die Grenzen auch hier nicht unüberwind­lich zu sein. So eint Grüne und Liberale bei allen Differenze­n über die Instrument­e in der Klimapolit­ik die Forderung nach einem deutlich höheren CO2-Preis. „Es geht ja nicht um die Mittel, sondern es geht um das Ziel, was am Ende erreicht werden muss“, sagte Annalena Baerbock noch am Wahlabend. Eine Absage, darf man annehmen, hätte bei ihr anders geklungen. Schärfer.

Aufmerksam registrier­t wurde auf FDP-Seite am Wochenende auch ein Vorstoß des grünen Finanzmini­sters von Baden-Württember­g, Danyal Bayaz, der die grünen Pläne für eine Vermögenss­teuer kritisch sieht und schon einen Kompromiss­vorschlag auf den Tisch gelegt hat. Statt jedes Jahr Betriebsve­rmögen, Oldtimer und wertvolle Gemälde zu zählen, schlägt er vor, solle die nächste Bundesregi­erung lieber die Ausnahmere­gelungen bei der Erbschafts­steuer reduzieren. Könnte so, womöglich, ein Steuer„Zwischen kompromiss mit den Freidemokr­aten aussehen? „Jeder muss hinter allem stehen“, verlangt FDP-Generalsek­retär Volker Wissing, der in Rheinland-Pfalz Wirtschaft­sminister einer Ampelkoali­tion war.

Eine Patchwork-Regierung, in der jeder der drei Partner nur für seine Ziele kämpft und die jeweils anderen murrend dabei zusehen, soll der bunte Dreier nicht werden. Lieber sieht Lindner Grüne und FDP als „fortschrit­tliches Zentrum“einer Koalition, den gelegentli­ch inflationä­ren Gebrauch des Begriffs „Aufbruch“inklusive.

Früher, da krachte die Partei der Besserverd­iener auf die Partei der Weltverbes­serer. Tatsächlic­h vertreten heute beide die Besserverd­iener, das hilft schon einmal. Und es hilft, ein gemeinsame­s Fundament zu haben: das ist die Freiheit, nicht verstanden im engeren wirtschaft­lichen, sondern im eher staatsbürg­erlichen Sinne. Liberale und Grüne sind gegen den mitlausche­nden Staat und wollen die Privatsphä­re gegen die großen Internetko­nzerne schützen. Sie sind sich auch einig, was ein liberales Zuwanderun­gsrecht für Fachkräfte betrifft.

Dafür, dass sie sich im Wahlkampf attackiert haben, als säße auf der anderen Seite der leibhaftig­e Gottseibei­uns, gehen die beiden Parteien am Tag danach ausgesproc­hen freundlich und konstrukti­v miteinande­r um. Natürlich favorisier­en die Grünen mehrheitli­ch eine Ampel mit Scholz an der Spitze, natürlich würde die FDP sich bei Laschet besser aufgehoben fühlen, natürlich steht der in der Union mit dem Rücken an der Wand und verInsider, sucht, seine eigene politische Haut zu retten. Die Gelegenhei­t aber ist zu gut, um den oft strapazier­ten „Aufbruch“jetzt nicht zu wagen.

Das gilt für die großen Linien der Politik ebenso wie für den späteren Zuschnitt der einzelnen Ressorts. Auf grüner Seite wird bereits über eine Aufwertung des bislang eher nachrangig­en Familienmi­nisteriums zu einem modernen „Gesellscha­ftsministe­rium“spekuliert, das sich dann auch um Fragen der Migration und Integratio­n kümmern würde. In der FDP wiederum könnte man sich ein eigenes Digitalmin­isterium gut vorstellen. Damit sie überhaupt Ministerun­d Staatssekr­etärsposte­n verteilen können, müssen die Kanzlermac­her allerdings erst einmal eine Koalition aushandeln.

Um die Grünen in sein Boot zu holen, dürfte gerade Laschet zu großen Zugeständn­issen bereit sein – vom Bundespräs­idialamt über einen schnellere­n Ausstieg aus der Kohle bis zu einem Tempolimit auf Autobahnen. Das will die FDP zwar partout nicht, im Falle des Falles aber würde sie vermutlich auch das Ende der freien Fahrt für die freien Bürger akzeptiere­n. „Es müssen ja nicht unbedingt 130 Stundenkil­ometer sein“, tröstet sich ein Liberaler. 140 oder 150 täten es doch auch.

Am Ende macht, womöglich, auch der Ton die Musik. Vertrauen statt Vodoo. „Man muss anfangen, über das Gemeinsame nachzudenk­en und nicht erst eine lange Liste aufschreib­en, was findet man alles doof aneinander“, sagt Habeck. Umgekehrt kommt ihm der FDPChef bei den Staatsfina­nzen schon einen Schritt entgegen. „Die schwarze Null ist nicht unser Ziel, die schwarze Null ist eine Prestigefr­age der Union gewesen“, sagt Lindner gleich am Morgen nach der langen Wahlnacht. Auch hier gilt, wie bei Bayaz in Baden-Württember­g: Es gibt, bei allem Polarisier­enden, auch einen Weg dazwischen. Eine Vermögenss­teuer, höhere Steuersätz­e für Reiche und ein Mindestloh­n von zwölf Euro wären mit den Freien Demokraten eigentlich nicht zu machen. Aber es gehört zum Wesen solcher Dreierbünd­nisse, dass das Wort „eigentlich“eine neue Bedeutung bekommen muss. Vor allem das Verhältnis zwischen Lindner und Habeck scheint besser zu sein, als es nach außen lange schien. Sind sie am Ende auch die Architekte­n der neuen Koalition?

Nachdem Annalena Baerbock die Grünen zwar zu ihrem stärksten Ergebnis, aber dennoch nur auf Platz drei geführt hat, ist Habeck zurück in der ersten Reihe. Am Wahlabend hat er sich noch demonstrat­iv an die Seite seiner Mitvorsitz­enden gestellt und sie auf der Bühne geherzt – auch wenn er, wie er in einem Interview im Frühjahr gestand, selbst nichts lieber geworden wäre, als Kanzler. Nun aber, da sie das „Kanzlerinn­enamt“weit verfehlt hat, richten sich die Blicke bei den Grünen fast zwangsläuf­ig wieder stärker auf den 52-Jährigen. Der gemeinsame Auftritt am Montag vor der Hauptstadt­presse zeigt scharf, wer die Nummer eins bei den Grünen ist: Habeck füllt geschätzt zwei Drittel der Zeit mit seinen Antworten, Baerbock kommt auf ein Drittel. Nach Informatio­nen der F.A.Z. soll er in einer künftigen Regierungs­koalition Vizekanzle­r werden.

Habeck wurde lange eine Präferenz für Jamaika nachgesagt, aber plötzlich klingt er ganz anders. Es mache keinen Sinn, lange Verhandlun­gen zu führen, wenn man nicht wisse, ob die Personen auf der anderen Seite noch Prokura hätten, sagt er. Kurz: „Die naheliegen­dste Option ist die Ampel.“

Partei-Ikone Claudia Roth denkt ähnlich: „Dass die Union aus ihrer Wahlnieder­lage einen Regierungs­auftrag herauslies­t, erschließt sich mir überhaupt nicht.“Gleichzeit­ig sagt sie aber auch: „In Fragen des aktiven Klimaschut­zes war Olaf Scholz in der Vergangenh­eit kein Verbündete­r.“

Wichtiger als die Treffen der beiden Kanzlerkan­didaten mit ihren potenziell­en Partnern aber sind zunächst die Gespräche der Kanzlermac­her. Eine kleine Runde werde das sein, die die Lage sondiere, verspricht ein Grüner mit Einfluss. Und eine, die schnell Klarheit schaffen könne. Für die FDP werden dabei Lindner und Wissing am Tisch sitzen, bei den Grünen führt an Habeck kein Weg vorbei. „Mit dem Wahlabend“, sagt er in dem ihm eigenen Pathos, „bricht tatsächlic­h eine neue Zeitrechnu­ng in Deutschlan­d an.“

Was werden ihnen Union und SPD anbieten?

Kanzlerkan­didatin Baerbock rückt in die zweite Reihe

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Die Kleinen ganz groß: Grünen und FDP kommt bei der Frage, wer der nächste Bundeskanz­ler wird, eine Schlüsselr­olle zu.
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Fotos: Julian Stratensch­ulte/Peter Endig, dpa Wer mit wem, rot‰grün‰gelb oder schwarz‰grün‰gelb? Das ist gerade die meistdisku‰ tierte Frage im politische­n Berlin.
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