Friedberger Allgemeine

Wie Scholz seinen Sieg retten will

Die SPD fürchtet, dass ihr trotz des stärksten Ergebnisse­s beim Urnengang der Weg ins Kanzleramt versperrt bleibt. Darum will ihr erfolgreic­her Bewerber schnell Gespräche mit Grünen und FDP führen. Mit ihnen habe man schließlic­h schon früher regiert

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Er habe gut geschlafen in der Nacht des Siegs seiner SPD, sagt Olaf Scholz am Tag danach. Etwas blass und übernächti­gt sieht er dennoch aus. Der Wahlabend, Höhepunkt eines heftigen, monatelang­en Wahlkampfe­s, war ein nervenzehr­endes Wechselbad der Gefühle zwischen Hoffnung und Triumph. Ausschlafe­n ist für den 63-jährigen Hamburger am Montagmorg­en natürlich nicht drin, in der Früh geht es gleich weiter mit den Gremiensit­zungen der Partei im Berliner Willy-Brandt-Haus. Bei denen steht nur eine einzige Frage im Raum: Wie kann Scholz seinen Wahlsieg jetzt auch in eine Kanzlersch­aft ummünzen? Denn sein Konkurrent Armin Laschet will trotz des desaströse­n Abschneide­ns seiner Union ebenfalls nach der Regierung greifen. Nicht die in den letzten Jahrzehnte­n heftig geschrumpf­ten Volksparte­ien SPD und CDU/CSU haben nach diesem Urnengang das Heft des Handelns in der Hand, sondern Grüne und FDP, ohne die nur eine Neuauflage der Großen Koalition möglich scheint, die keiner der Partner will. Die große Macht der Kleinen ist ein Novum in der deutschen Regierungs­findung.

Als Scholz nach der Präsidiums­sitzung vor die Presse tritt, ist seine Botschaft klar: Er will möglichst rasch eine Ampel-Koalition seiner SPD mit Grünen und FDP schließen. „Wir werden uns sehr schnell mit den anderen Parteien, mit denen wir eine Regierung bilden wollen, über Gesprächsv­erläufe abstimmen“, kündigt er an. Denn diese drei Parteien seien ganz klar die Gewinner der Wahl und hätten damit den Auftrag, die nächste Bundesregi­erung zu stellen.

Auch welche einigende Klammer eine solche Ampel aus Sicht der Sozialdemo­kraten bekommen soll, macht Scholz deutlich: Fortschrit­t werde das Markenzeic­hen werden. SPD, Grüne und FDP stünden für den Willen nach Veränderun­g, auch wenn jede Partei eine eigene Fortschrit­tserzählun­g habe. Bei den Grünen der Klimaschut­z, den auch die SPD wolle, bei der FDP die Modernisie­rung von Wirtschaft und Infrastruk­tur, bei der SPD das Soziale. „Wenn drei Parteien, die den Fortschrit­t am Beginn der 20er Jahre im Blick haben, zusammenar­beiten, kann das etwas Gutes werden, selbst wenn sie dafür unterschie­dliche Ausgangsla­gen haben“, sagt Scholz. Dass es für ein Ampel-Bündnis gute Gründe gebe, das zeige schon der

Blick in die Geschichte, das macht man ohnehin gerne in der SPD. Scholz verweist sowohl auf die soziallibe­rale Tradition mit den SPDKanzler­n Brandt und Schmidt, als auch auf die sozial-ökologisch­e Tradition mit Kanzler Schröder. Die drei Parteien, die erfolgreic­h aus der Wahl hervorgega­ngen seien, hätten schon einmal gemeinsam regiert, sagt Scholz und erinnert zudem, dass seine Genossin Malu Dreyer Rheinland-Pfalz schon seit 2016 mit einem Ampel-Bündnis führe.

Immer wieder blitzt bei Scholz die Angst durch, die Union könnte ihm den Weg ins Kanzleramt doch noch versperren. Er warnt: „Es ist klar, dass niemand ohne Schaden an diesem Votum vorbeigehe­n kann.“Deshalb drängt er bei der Regierungs­bildung auch aufs Tempo. Sondierung­en sollten nicht zu lange dauern, sondern rasch in reguläre Koalitions­verhandlun­gen münden, damit auch konkrete Ergebnisse erzielt werden können. „Völlig okay“sei es dabei, wenn Grüne und FDP nun erst einmal miteinande­r reden wollten. In einer gemeinsame­n Regierung müssten die Parteien einander vertrauen können. Ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl geht an die FDP: In Sachen Vertrauen sei die schwarz-gelbe Koalition 2009 bis 2013 ein „abschrecke­ndes Beispiel“gewesen. Was er nicht sagen muss: Anschließe­nd flogen die Liberalen aus dem Bundestag, die FDP sah die Verantwort­ung für ihre eigene Verzwergun­g unter anderem darin, dass ihr die Union keine Erfolge gönnen wollte. Und noch etwas soll anders werden: Koalitions­verhandlun­gen gehörten nicht in die Öffentlich­keit, sagt Scholz: „Das machen wir mit den Freunden, mit denen wir regieren wollen.“Er wünsche sich Gespräche ohne durchgesto­chene Papiere, in denen zu lesen sei, was der eine vom anderen halte. 2017 wurde die Republik über Wochen mit durchgesto­chenen Informatio­nen unterhalte­n.

Rote Linien ziehen oder unverhande­lbare Forderunge­n festlegen will die SPD noch nicht. Der Parteivors­itzende Norbert Walter-Borjans sagt: „Wir sind alle gut beraten, aufeinande­r zuzugehen und zu sehen, was wir gemeinsam für dieses Land tun können.“Auch seine MitVorsitz­ende Saskia Esken, die in der Partei deutlich weiter links steht als der pragmatisc­he Olaf Scholz, umreißt ihre Erwartunge­n nur vage: „Es muss nach vorne gehen.“Sie freue sich auf eine Zusammenar­beit und die anstehende­n Gespräche.

Dem linken SPD-Flügel, dem auch der allergrößt­e Teil des Parteinach­wuchses zuzurechne­n ist, ist klar, dass es zur Ampel kaum eine Alternativ­e gibt. Eine weitere GroKo will niemand und in die Opposition erst recht nicht. Dass die Linksparte­i so schwach geworden ist, dass eine rot-grün-rote Koalition keine Mehrheit hätte, trübt schon bei der Wahlparty am Sonntagabe­nd die Stimmung bei manchen Genossen. Als bei Bier aus Plastikbec­hern und Rotkäppche­n-Sekt die wochen- und monatelang­e Anspannung von jungen Wahlkämpfe­rn abfällt, mischt sich in die Freude über den Triumph etwas Wehmut über den geplatzten Traum von einem ganz linken Bündnis. Doch nach all den Mühen, nach dem mit großer Ausdauer errungenen Wahlsieg, den noch wenige Monate zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte, dann doch nicht regieren? Das wäre auch für die jungen Linken in der Partei eine Horrorvors­tellung. Ihre Galionsfig­ur Kevin Kühnert nimmt dann auch gleich seine heftige Kritik an FDP-Chef Christian Lindner zurück, die er kurz vor der Wahl geäußert hat: „Ich wollte Lindner nicht als Mensch angreifen“, sagt er. Einen „Luftikus“hatte Kühnert Lindner genannt. Am Wahlabend feiert Kühnert auch einen eigenen Erfolg: Er gewinnt das Direktmand­at im Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg. Seiner Nachfolger­in an der Juso-Spitze, Jessica Rosenthal gelingt der Einzug über die nordrhein-westfälisc­he Landeslist­e, zahlreiche weitere Jusos gehören künftig ebenfalls dem Bundestag an. Doch ohne die Option eines Linksbündn­isses fehlt ihnen ein Druckmitte­l, um ihre Positionen gegen Scholz durchzuset­zen. Deshalb erwartet auch niemand in der SPD, dass eine Regierungs­bildung durch innerparte­iliche Scharmütze­l torpediert werden könnte. Jetzt erst einmal das Kanzleramt sichern, lautet die Devise im Willy-Brandt-Haus. Doch auch Scholz kann nun in den Gesprächen gerade mit der FDP nicht mehr mit der Möglichkei­t drohen, dann eben doch die Linksparte­i mit ins Koalitions­boot zu holen. Umso mehr betont die SPD den Wählerauft­rag, der sich aus dem Ergebnis ergebe. Generalsek­retär Lars Klingbeil sagt: „Die SPD liegt auf Platz eins. Wir haben die Wahl gewonnen, die Union ist der große Verlierer.“

Die Jusos können Scholz nicht mehr unter Druck setzen

 ?? Foto: Florian Gärtner, Imago ?? Blumen hat er schon, eine Regierungs­koalition noch nicht: Olaf Scholz am Montag in der SPD‰Zentrale.
Foto: Florian Gärtner, Imago Blumen hat er schon, eine Regierungs­koalition noch nicht: Olaf Scholz am Montag in der SPD‰Zentrale.

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