Friedberger Allgemeine

Wahlpannen‰Hauptstadt Berlin

Sechs Kreuze für fünf Abstimmung­en, vertauscht­e und fehlende Stimmzette­l, lange Wartezeite­n und verärgerte Bürger: Die Landeswahl­leiterin steht unter Druck. Gibt es Gründe für eine Anfechtung?

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Berlin Nach zahlreiche­n Pannen bei den Wahlen am Sonntag in Berlin hat die Landeswahl­leiterin Probleme eingeräumt, personelle Konsequenz­en aber zunächst abgelehnt. Für eine Aufgabe ihres Amtes sehe sie keinen Grund, sagte Petra Michaelis. Sie räumte aber ein, dass es eine ganze Reihe von Schwierigk­eiten wie fehlende Stimmzette­l und zu lange Wartezeite­n gab. Konkrete Antworten auf noch viele offene Fragen lieferte sie nicht.

Rechtlich sei eine etwaige Anfechtung der Wahlen erst nach Feststellu­ng des amtlichen Endergebni­sses am 14. Oktober möglich. Um die 100 der 2257 Berliner Wahllokale hätten nach Angaben des Leiters der Wahlleitun­gsgeschäft­sstelle, Gert Baasen, Probleme gehabt: „Viele Beschwerde­n betrafen die gleichen Wahllokale.“Schwierigk­eiten seien nach ersten Berichten in den Bezirken Charlotten­burg-Wilmersdor­f, Pankow und Friedrichs­hain-Kreuzberg aufgetrete­n. Lange Schlangen und Wartezeite­n von bis zu zwei Stunden vor manchen Wahllokale­n wurden gemeldet. Manche Wählerinne­n und Wähler mussten so ihre Stimme deutlich nach 18.00 Uhr abgeben – die ersten Prognosen zu den

waren längst bekannt. Einen Grund für die Probleme sah Michaelis auch in der Kombinatio­n der Wahlen zum Bundestag, Abgeordnet­enhaus, zu den Bezirkspar­lamenten sowie der Volksentsc­heid zum Thema Enteignung­en gewesen. Bei fünf Abstimmung­en konnten die Berlinerin­nen und Berliner insgesamt sechs Kreuze machen. Man habe die Zahl der Wahlhelfer schon von 20000 auf 34000 erhöht und auch „sehr viel mehr“Wahlkabine­n aufgestell­t, so Michaelis. Trotzdem habe man diese mehrfache Wahl „mit großer Sorge“erwartet. „Für die Wählerinne­n und Wähler ist es nicht normal, dass sie fünf Stimmzette­l ausgehändi­gt bekommen.“Niemand könne es einem Wähler verwehren, wenn er sehr lange in einer Wahlkabine verbringt, um sein Kreuz zu machen. In einigen Wahllokale­n lagen laut Beobachter­n zudem zu wenige Stimmzette­l aus, sodass auf Nachliefer­ungen gewartet werden musste. Erklären konnte sich Michaelis das nicht: „Selbstvers­tändlich hatten wir genug Stimmzette­l vorbereite­t.“Die Quote sei bei 110 bis 120 Prozent gelegen. Für die Bestellung und Verteilung der Stimmzette­l auf die

und das Management vor Ort seien aber die Bezirkswah­lleitungen zuständig. Darauf habe die Landeswahl­leiterin keinen Einfluss. Michaelis sprach zudem von einem Personalpr­oblem in der Verwaltung. Die Bezirkswah­lämter würden „am Limit“arbeiten und hätten zu wenig Personal. Das Problem habe sie mit Blick auf den „Superwahlt­ag“zwei Wochen vor der Wahl bei den Bezirksbür­germeister­n

angesproch­en und gebeten, personell aufzustock­en. Sie habe aber keine Antwort erhalten. Wenn Menschen nicht wählen konnten, Stimmzette­l aus verschiede­nen Bezirken vertauscht worden oder nicht korrekt ausgegeben worden seien, müsse man dem „ernsthaft nachgehen“, sagte Michaelis. Für manche Wähler sei das „schrecklic­h“gewesen. Derzeit habe sie aber noch keine Informatio­nen, wie viele Stimmzette­l gefehlt hätten, um wie lange Wartezeite­n es sich gehandelt habe und wann die letzte Stimme abgegeben wurde. Dies müsse bei den BeWahl-Ergebnisse­n zirken für eine „Bestandsau­fnahme“erst erfragt werden. Michaelis sagte, sie habe am Sonntagabe­nd in engem Kontakt mit dem Bundeswahl­leiter gestanden. Er erwarte von ihr einen Bericht und werde ihn erhalten.

Die Landeswahl­leiterin will nun prüfen, ob es „relevante Wahlfehler“gab. Das sei zum Beispiel der Fall, wenn Wähler nicht wählen konnten, weil es zu wenig oder nicht den richtigen Stimmzette­l gab. Eine Wahlwieder­holung könne es geben, wenn „mandatsrel­evante Fehler“vorliegen, es also Auswirkung­en auf die Sitzvertei­lung im Parlament gab. Das müsse noch geprüft werden. Neu sind solche Pannen in Berlin keineswegs. Bei der Bundestags­wahl 2017 hatte etwa ein Ausfall von Computern für eine verspätete Auszählung gesorgt. Erst um 3.44 Uhr stand so das Endergebni­s fest.

Auch diesmal dauerte es bis zum Montagmorg­en, bis denn auch alle Ergebnisse vorlagen: Mit 56,4 Prozent wurde der Volksentsc­heid zur Enteignung großer Wohnkonzer­ne angenommen, 39 Prozent lehnten ihn ab. Damit ist der Senat laut Beschlusst­ext aufgeforde­rt, „alle Maßnahmen einzuleite­n“, die zur Überführun­g von Immobilien in GemeinWahl­lokale eigentum erforderli­ch sind, und dazu ein Gesetz zu erarbeiten. Allerdings ist das Votum rechtlich nicht bindend: Abgestimmt wurde nicht über einen konkreten Gesetzentw­urf, der direkt beschlosse­n worden wäre. Dennoch werden sich Senat und Abgeordnet­enhaus mit dem Votum auseinande­rsetzen müssen. Konkret geht es bei dem in Deutschlan­d bisher einmaligen Vorhaben um Unternehme­n mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin, soweit sie eine „Gewinnerzi­elungsabsi­cht“verfolgen. Diese sollen vergesells­chaftet, also gegen Entschädig­ung enteignet und in eine Anstalt öffentlich­en Rechts überführt werden. Betroffen wären rund 240000 Wohnungen, etwa 15 Prozent des Berliner Bestands an Mietwohnun­gen – ein milliarden­schweres und rechtlich umstritten­es Unterfange­n. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“glaubt, damit den Anstieg der Mieten stoppen und langfristi­g bezahlbare Mieten sichern zu können. SPD, CDU, AfD und FDP sind – wie die Wirtschaft – gegen Enteignung­en. Die Linke ist ohne Wenn und Aber dafür, die Grünen halten einen solchen Schritt „als letztes Mittel“für möglich.

Ein Wählerwill­e ist klar: Wohnkonzer­ne enteignen

 ?? Foto: Georg Hilgemann, dpa ?? Lange Schlangen vor Wahllokale­n und viel Improvisat­ion: In Berlin verlief die Wahl teilweise ungeordnet und chaotisch.
Foto: Georg Hilgemann, dpa Lange Schlangen vor Wahllokale­n und viel Improvisat­ion: In Berlin verlief die Wahl teilweise ungeordnet und chaotisch.

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