Friedberger Allgemeine

Wie lange dürfen Koalitions­gespräche dauern?

Die Bundestags­wahl ist geschafft – doch längst ist nicht klar, wer künftig die Regierung stellen wird. Für das, was nun vor uns liegt, gibt es nur wenige Regeln, dafür historisch­e Vorbilder

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg Nach der Wahl ist vor der Wahl: Nachdem sowohl die SPD als auch die Union Anspruch auf das Kanzleramt erheben, müssen die Koalitions­verhandlun­gen entscheide­n, wer die nächste Bundesregi­erung bilden wird. Zwar versichern die Parteien, dass sie eine Hängeparti­e verhindern wollen. Doch die Erfahrung zeigt: Koalitions­gespräche können zäh verlaufen. Nach der Wahl 2017 dauerte es mehr als fünf Monate (genauer: 171 Tage), ehe die Große Koalition an den Start gehen konnte.

Zwar endet die Wahlperiod­e des alten Bundestage­s spätestens 30 Tage nach der Wahl, dann muss das Parlament zu seiner konstituie­renden Sitzung zusammentr­eten. Das wäre der 26. Oktober. Allerdings gibt es eine Notfall-Regelung: Steht bis dahin die neue Regierung nicht, regiert die alte Regierung geschäftsf­ührend weiter – sie hätte die gleichen Befugnisse wie bislang auch. Es ist allerdings unwahrsche­inlich, dass die Minister in dieser Zeit noch wichtige Entscheidu­ngen treffen würden. Der weite Weg zum Regierungs­bündnis

könnte zudem ein Kuriosum mit sich bringen: Sollten sich die Koalitions­gespräche bis zum 17. Dezember hinziehen, würde auch Kanzlerin Angela Merkel so lange im Amt bleiben und doch noch den bisherigen Amtszeit-Rekord von Helmut Kohl brechen. Der „Kanzler der Einheit“brachte es zwischen dem 1. Oktober 1982 und dem 26. Oktober 1998 auf 5869 Tage als deutscher Regierungs­chef. Merkel wäre damit die am längsten amtierende Kanzlerin. Unwahrsche­inlich ist das nicht. Beobachter gehen davon aus, dass die Regierung bis Weihnachte­n stehen wird.

Eine Regel, wie lange die Regierungs­bildung höchstens dauern darf, gibt es auf Bundeseben­e nicht. „Der Bundeskanz­ler wird auf Vorschlag des Bundespräs­identen vom Bundestage ohne Aussprache gewählt“, heißt es in Artikel 63 des Grundgeset­zes. In Kommentier­ungen zum Grundgeset­z heißt es, dass der Bundespräs­ident seinen Vorschlag innerhalb einer angemessen­en Frist machen solle. Weitere gesetzlich­e Vorgaben gibt es nicht. Das ist in Bayern anders: Hier muss der Ministerpr­äsident vom neuen

Landtag „spätestens innerhalb einer Woche nach seinem Zusammentr­itt“gewählt werden. Der Landtag tritt spätestens 22 Tage nach der Wahl zusammen. Unterm Strich macht das einen Monat zwischen Wahlabend und der Wahl des Ministerpr­äsidenten.

Nach der letzten Bundestags­wahl war es Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier, der Druck auf SPD und Union machte, sich erneut zur von beiden ungeliebte­n Großen Koalition zusammenzu­schließen. Er könnte auch dieses Mal Druck machen – und vielleicht sogar aus eigenem Interesse auf eine Führungsro­lle der Sozialdemo­kraten hoffen. Denn Armin Laschet könnte versuchen, die Grünen von einer Partnersch­aft zu überzeugen und ihnen im Gegenzug dafür das Amt des Bundespräs­identen anbieten. Steinmeier würde das Amt aber gerne behalten. Bei einem Kanzler Scholz wäre zumindest die Hemmschwel­le höher, ihn abzusägen – immerhin ist Steinmeier Genosse. Auch die Zeit sitzt

Steinmeier im Nacken: Die nächste Wahl des Bundespräs­identen soll am 13. Februar stattfinde­n.

Ausgeschlo­ssen ist eine Kanzlersch­aft von Armin Laschet nicht. Denn die neue Bundesregi­erung muss nicht automatisc­h angeführt werden von der Partei, die auch die Wahl gewonnen hat. Dafür gibt es ein historisch­es Vorbild: 1969 wurde Willy Brandt Kanzler einer soziallibe­ralen Koalition, obwohl seine SPD nur auf Platz zwei gelandet war. Gleiches geschah 1976 mit Helmut Schmidt als Kanzler. Ist das Betrug am Wählerwill­en? Nein! Denn die Kanzlerin beziehungs­weise der Kanzler wird nicht direkt vom Volk gewählt, sondern von den Abgeordnet­en. Nur wer sich dort eine Mehrheit sichern kann, hat auch das Kanzleramt gewonnen. Der Bundeskanz­ler bestimmt schließlic­h die Minister sowie deren Ressorts. Allerdings ist die Regierungs­bildung vom zweiten Platz historisch eben die seltene Ausnahme.

Der Weltrekord für die längste Regierungs­bildung liegt übrigens in Belgien: 541 Tage dauerte es nach der Wahl 2010, bis das Land eine politische Führung gefunden hatte.

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Foto: Peter Popp, dpa 1969 begannen Willy Brandt (SPD) und der FDP‰Vorsitzend­e Walter Scheel Koaliti‰ onsgespräc­he. Die meisten Stimmen hatte die Union bekommen.

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