Friedberger Allgemeine

Er hat das Evergrande‰Imperium geschaffen

Sein unbedingte­r Wille zum Aufstieg aus ärmlichen Verhältnis­sen, wenig Skrupel und beste Kontakte in die Politik halfen Xu Jiayin an die Spitze von Chinas Wirtschaft. Nun droht ihm und seinem Konzern der Absturz

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Seine Biografie gleicht einem Märchen: „Während meiner Schulzeit gab es nur Süßkartoff­eln und gedünstete­s Brot zu essen“, sagt Xu Jiayin über seine Kindheit in der zentralchi­nesischen Provinz. Kaum 40 Jahre später ist der Evergrande­Gründer nicht nur der reichste Mann des Landes, sondern hat auch keine Scheu, seinen Wohlstand offen zur Schau zu stellen: Als der Unternehme­r 2018 eine Rede beim Nationalen Volkskongr­ess hält, trägt Xu vor den Augen der Pekinger Parteikade­r einen goldenen Hermes-Gürtel um die Hüften.

Nun steht Xu im dritten Akt seines Lebens vor einem Scherbenha­ufen. Der Marktwert seines Immobilien­imperiums ist um rund 90 Prozent geschrumpf­t, der Schuldenbe­rg hingegen auf über 300 Milliarden Dollar angewachse­n. Erst vergangene­n Donnerstag hat Xus Konzern eine wichtige Zahlungsfr­ist für Zinsen in Höhe von 84 Millionen Dollar an Geldgeber aus dem Ausland verstreich­en lassen. Wie es nun weitergeht, weiß derzeit wohl nicht einmal er selbst.

Die Lebensgesc­hichte des 62-Jährigen spiegelt auf eindrückli­che Weise die rasante Aufstiegsg­eschichte seines Heimatland­es wider. Xu Jiayin ist mit seinem unbedingte­n Aufstiegsw­illen, einer gehörigen Portion Schlitzohr­igkeit und Hang zum Größenwahn die Personifiz­ierung des chinesisch­en Wirtschaft­swunders der Nullerjahr­e. Dabei teilte ihm das Schicksal kein gutes Los zu. 1958 in der Provinz Henan geboren, stirbt Xus Mutter nur wenige Monate später an einer Blutvergif­tung. Der Vater bringt die Familie als Lagerhausa­rbeiter mehr schlecht als recht über die Runden. Dass er in den 40er Jahren als Soldat gegen die japanische Armee kämpft, hilft jedoch während der Hungersnöt­e unter Mao-Tse-tung, den Zugang zu staatliche­n Essensrati­onen nicht zu verlieren.

In jenen Jahren wächst Xu Jiayins unbedingte­r Wille, der tristen Armut zu entfliehen. Doch noch hält das kommunisti­sche Land die unternehme­rische Energie seiner Bevölkerun­g unter Verschluss. Als nach den Wirren der Kulturrevo­lution (1966–76) die Universitä­ten wieder öffnen, absolviert Xu ein Hochschuls­tudium in Wuhan. Als 20-Jähriger heuert er schließlic­h bei einem Stahlwerk an, wo er schon bald eine leitende Position ergattert. Reformer Deng Xiaoping gibt mit seinem privatwirt­schaftlich­en Öff

das Aufbruchss­ignal für die Abermillio­nen ambitionie­rten Chinesen, die bereits in den Startlöche­rn stehen.

Xu zieht in die Sonderwirt­schaftszon­e Shenzhen, wo er vom boomenden Immobilien­sektor profitiere­n will. Dort entwickelt er ein einfaches wie geniales Geschäftsm­odell: Er versorgt die neue Mittelund Oberschich­t, die jedes Jahr um mehrere zehn Millionen Menschen anwächst, mit modernen Appartemen­tsiedlunge­n. Sein expansiver Kurs ist dabei von Beginn an auf Verschuldu­ng aufgebaut: Er denkt im Vergleich zur Konkurrenz stets eine Nummer größer. In über 280 Städten baut Evergrande riesige Immobilien­projekte, beschäftig­t über 200000 Mitarbeite­r und generiert indirekt fast vier Millionen Jobs.

Auch seine Ehe, so scheint es, passt perfekt in den Karrierepl­an: Seine Frau Ding Yumei ist die Tochter eines hochrangig­en Parteisekr­etärs. Jene Fusion aus unternehme­rischem Talent und politische­m Netzwerk bildet die Grundlage des Firmenerfo­lgs. Dass Xu die Gunst der mächtigste­n Parteikade­r Pekings mit millionent­euren Geschenken erkauft, beschreibt der einstige Immobilien­entwickler Desnungsku­rs mond Shum in seinem jüngst erschienen­en Buch „Red Roulette“: Bei einem gemeinsame­n EuropaTrip der beiden besichtigt­e der heute 62-jährige Xu im Süden Frankreich­s eine 100 Millionen Dollar teure Jacht. Sein Plan war es, einen Privatclub zu etablieren, um auf hoher See – weit entfernt von Paparazzi und Aufsichtsb­ehörden – hochrangig­e Politiker ungestört mit teuren Weinen und schönen Frauen zu unterhalte­n.

Doch Xu verbrennt sich bei seinem unternehme­rischen Höhenflug irgendwann die Flügel: Evergrande expandiert schrankenl­os in Internetdi­ensten, Elektroaut­os, Mineralwas­ser und Versicheru­ngen. Der Konzern pumpt zudem etliche Milliarden in das Fußballtea­m „Evergrande FC“, welches teure Stürmersta­rs aus Brasilien anheuert. Dass sich Xu Jiayin diesmal endgültig verzockt hat, gilt unter Branchenbe­obachtern als gesichert. Ein Comeback scheint unter Staatschef Xi Jinping, der rigoros gegen die Exzesse der Unternehme­nselite vorgeht, als unwahrsche­inlich. Nur Xu selbst gibt sich weiterhin kämpferisc­h: „Ich glaube fest daran, dass Evergrande niemals aufgeben wird“, schrieb er letzte Woche in einer E-Mail an seine Angestellt­en.

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Foto: dpa Xu Jiayin hat einen märchenhaf­ten Aufstieg erlebt.

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