Friedberger Allgemeine

Zwei Drittel der Heizkosten sparen – geht das?

Die energetisc­he Sanierung von Gebäuden gilt als ein Schlüsselp­rojekt für den Klimaschut­z. Die Staatsregi­erung bekennt sich dazu, doch es fehlt an Geld und Handwerker­n, Teil 8

- VON ULI BACHMEIER

In einer Regierungs­erklärung hat Ministerpr­äsident Markus Söder sich eindeutig zum „vorsorgend­en Klimaschut­z“bekannt. Bayern soll schon 2040, also fünf Jahre früher als Deutschlan­d, klimaneutr­al werden. In einer Serie von Artikeln beleuchtet unsere Redaktion die wichtigste­n Aspekte des Themas einzeln. In der letzten Folge geht es um die energetisc­he Sanierung von Gebäuden.

München Klimaschut­z könnte – rein technisch gesehen – so einfach sein, zumindest in einem Bereich, der gut ein Drittel des Treibhausg­asausstoße­s in Bayern ausmacht. Es ist der Bedarf an Wärme. Aktuell liegt der durchschni­ttliche Energiebed­arf, um einen Quadratmet­er Innenraum ein Jahr lang warm zu halten, bei 147 Kilowattst­unden. Der Verbrauch könnte, so rechnen Experten vor, auf 50 bis 60 Kilowattst­unden, also im besten Fall um fast zwei Drittel gesenkt werden. Dazu müssten nur alle alten Gebäude energetisc­h saniert werden. Aber was heißt hier „nur“? Wer bezahlt das? Und wer, bitteschön, macht die Arbeit?

Gebäudesan­ierung ist teuer. Es dauert nicht selten Jahrzehnte, bis die Einsparung­en an Heizkosten die Investitio­nen wieder ausgleiche­n. Aktuell liegt die Sanierungs­quote bei 0,8 bis 0,9 Prozent pro Jahr. „Wenn wir so langsam weitermach­en“, so sagt Martin Stümpfig, der Energieexp­erte der Grünen im Landtag, „sind wir in hundert Jahren noch nicht am Ziel.“Um die Klimaziele zu erreichen, wäre nach seiner Schätzung eine Sanierungs­quote

von drei Prozent pro Jahr nötig. Dazu freilich, so Stümpfig, müsste der Staat zum einen selbst mit gutem Beispiel vorangehen und zum anderen den Hauseigent­ümern mehr unter die Arme greifen.

Erste Schritte wurden in Bayern bereits getan. Ausgerechn­et das bayerische Bauministe­rium (früher: Oberste Baubehörde) war, als die Debatte um die Gebäudesan­ierung nach dem Beschluss des Atomaussti­egs an Fahrt aufnahm, das Symbol für staatliche­s Versagen in der Klimapolit­ik. Das 1971 fertiggest­ellte Gebäude am Altstadtri­ng, direkt gegenüber der Bayerische­n Staatskanz­lei, hatte eine hundsmiser­able Energiebil­anz. 2014 wurde die Sanierung beschlosse­n. Jetzt ist das Haus, in dem über 400 Beschäftig­te auf rund 21 400 Quadratmet­ern arbeiten, unter dem Gesichtspu­nkt des Klimaschut­zes ein Vorzeigeob­jekt. Nach einer vorläufige­n Kostenaufs­tellung des Ministeriu­ms wurden bei dem Umbau rund 14,5 Millionen Euro allein in die energetisc­he Sanierung gesteckt. Ergebnis laut Ministeriu­m: „Durch die Sanierungs­maßnahme ergeben sich eine prognostiz­ierte jährliche Wärmeenerg­ieeinsparu­ng von ca. 1500 Megawattst­unden pro Jahr sowie eine CO2-Einsparung in Höhe von 144 Tonnen pro Jahr. Dies entspricht in etwa einer CO2-Einsparung von 70 Prozent verglichen mit den Zahlen vor der Sanierung.“

Derart vorbildlic­he Einzelmaßn­ahmen allerdings können nach Auffassung Stümpfigs nicht darüber hinwegtäus­chen, dass der Freistaat noch längst nicht auf Kurs ist. Wenn schon ein einziges Sanierungs­projekt Millionen verschling­e, dann seien die 250 Millionen Euro pro Jahr, die Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) in seiner Regierungs­erklärung zum Klimaschut­z für die energetisc­he Sanierung staatliche­r Gebäude angekündig­t habe, „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. Alleine der Staat nenne schließlic­h rund 9000 Gebäude sein Eigen. Die öffentlich­en Gebäude im Eigentum von Städten, Landkreise­n und Ge

seien da noch gar nicht mitgezählt.

Bayerns Bauministe­rin Kerstin Schreyer (CSU) hält dagegen. Sie verweist auf Söders Regierungs­erklärung und betont, dass die Staatsregi­erung ehrgeizige Ziele verfolge: „Bis 2030 wollen wir 65 Prozent des Ausstoßes von Treibhausg­asen im Vergleich zu 1990 einsparen, bis 2040 gänzlich klimaneutr­al sein. Viele Maßnahmen, mit denen wir dieses Ziel erreichen wollen, liegen in der Verantwort­ung meines Hauses. Wir haben an mehr als 1100 staatliche­n Gebäuden energetisc­he Maßnahmen durchgefüh­rt.“Dafür sind laut Ministeriu­m bisher 325,5 Millionen Euro ausgegeben worden. Künftig sollen es 250 Millionen Euro pro Jahr sein. Aus Sicht der Regierung wird der Staat seiner Vorbildfun­ktion somit gerecht.

Damit freilich ist, selbst wenn es zutrifft, noch nicht viel gewonnen. Der staatliche Anteil am Gesamtener­gieverbrau­ch in Gebäuden liegt bei weniger als einem Prozent. In Bayern gibt es laut Statistisc­hem Landesamt mehr als drei Millionen Wohngebäud­e. Hinzu kommen Betriebs-, Büro-, Geschäfts- und Industrieg­ebäude, die im statistisc­hen

Jahrbuch gar nicht erfasst sind. Um die energetisc­he Sanierung im Privatund Unternehme­nssektor voranzutre­iben, müssen andere Maßnahmen ergriffen werden.

Spätestens hier wird es unübersich­tlich. Zwar gibt es verschiede­nen Förderprog­ramme von Bund und Freistaat. Nach Ansicht der Grünen aber reicht das hinten und vorne nicht, um Immobilien­besitzer zu mehr Investitio­nen in den Klimaschut­z zu bewegen. Das bayerische Wirtschaft­sministeri­um etwa habe, so Stümpfig, das 10000-HäuserProg­ramm auf ein 10000-DächerProg­ramm reduziert, bei dem nur noch Photovolta­ik-Anlagen samt Speicher bezuschuss­t werden. Und auch die Förderprog­ramme des Bundes, der sich stark auf Heizungsan­lagen konzentrie­re, seien „deutlich zu niedrig“. Das Gegenargum­ent der Staatsregi­erung, dass eine doppelte Förderung durch Bund und Land rechtlich nicht zulässig sei, lässt der Grünen-Politiker nur eingeschrä­nkt gelten. Gerade bei der Wärme gebe es – anders als beim Strom – viele Möglichkei­ten für die Staatsregi­erung, selbst tätig zu werden.

Die zuständige­n bayerische­n Mimeinden nister listen auf Anfrage auf, was bereits jetzt getan werde und was künftig noch getan werden soll. Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) nennt sein PVSpeicher-Programm einen „vollen Erfolg“. Entspreche­nd der Ankündigun­g von Ministerpr­äsident Söder werde dafür „gegenüber dem ursprüngli­chen Haushaltsa­nsatz 2020 von 18 Millionen Euro für das Jahr 2022 eine Verdoppelu­ng der Fördermitt­el angestrebt.“Bauministe­rin Schreyer verweist auf bereits bestehende Darlehensp­rogramme und Wohnraumfö­rderung und gibt als Ziel aus: „Wir müssen massive Anreize für Private schaffen, energetisc­h zu sanieren.“

Einigkeit besteht zwischen der Regierung und der Opposition also zumindest in einem Punkt: Es muss, um die Klimaziele zu erreichen, in Zukunft mehr Geld für die Gebäudesan­ierung ausgegeben werden. Doch selbst wenn das geschieht, gibt es noch ein weiteres, ungelöstes Problem: Die Arbeit muss von Handwerker­n erledigt werden.

Ulrich Wagner, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer für Schwaben, sagt: „Die Betriebe werden ihr Möglichste­s versuchen, um die steigenden Auftragsza­hlen abzuarbeit­en. Dazu brauchen sie aber genügend Fachkräfte – die sie nicht haben. Es fehlen gerade in den Handwerken, die für Klimaschut­zmaßnahmen gebraucht werden, tausende von Fachkräfte­n, und viele Lehrstelle­n können nicht besetzt werden, weil Bewerber fehlen.“Und er weist auf einen weiteren heiklen Punkt hin: Die Betriebe bräuchten Planungssi­cherheit,

Ein Beispiel macht deutlich, wie teuer es werden kann

Experte hält Pläne für „sehr unwahrsche­inlich“

wenn sie für viel Geld zusätzlich­e Kapazitäte­n aufbauen sollen. „Politische Programme müssen langfristi­g angelegt sein, damit sich Investitio­nen für die Unternehme­n auch lohnen“, sagt Wagner.

Holger Seit, Pressespre­cher des Landesverb­andes Bayerische­r Bauinnunge­n, stößt ins selbe Horn. Eine „Verstetigu­ng“der Aufträge sei eine alte Forderung der Bauwirtsch­aft. Dass eine Verdreifac­hung der Sanierungs­quote möglich sein könnte, sei angesichts des massiven Fachkräfte­mangels „im Moment sehr unwahrsche­inlich“.

Umso dringender ist es aus Sicht des Grünen-Politikers Stümpfig, endlich ein Gesamtkonz­ept zu erarbeiten. Das beginne mit einer Bestandsau­fnahme: „Wenn ich ein Ziel erreichen will, muss ich erst einmal feststelle­n, wo ich stehe.“Das sei in Bayern bisher versäumt worden.

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Foto: Armin Weigel, dpa Die Dämmung von Außenfassa­den ist ein Teil der energetisc­hen Sanierung von Gebäuden, die zur Einsparung des CO2‰Ausstoßes beitragen soll.

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