Friedberger Allgemeine

Der Rockstar unter den Malern

Was für ein irres Leben, was für eine wahnsinnig­e Kunst: Caravaggio lässt uns auch 450 Jahre nach seiner Geburt gewaltig staunen. Er war ein Genie an der Staffelei und ließ gleichzeit­ig kein Laster aus

- VON CHRISTA SIGG

Dieses Drehbuch ist völlig übertriebe­n. Das jedenfalls wäre die knappe Taxierung in der Filmbranch­e. Denn da ist lange nicht nur eine atemberaub­ende Karriere, die im barocken Rom in Adelspaläs­te und in den Vatikan führt. Michelange­lo Merisi da Caravaggio lässt auch sonst nichts aus: Zocken, saufen, prügeln, morden lautet die verkürzte Folge seiner Freizeitak­tivitäten. Damit ist der am 28. oder 29. September vor 450 Jahren in Mailand geborene Maler zum Prototyp des genialen Künstlers mit fatalen Schattense­iten geworden. Gerade auch als Antipode zu Raffael, den man zum „Göttlichen“ohne Fehl und Tadel verklärt hat.

Die Korrekture­n ließen Jahrhunder­te auf sich warten. Wobei Caravaggio tatsächlic­h keiner Schandtat aus dem Weg ging – und sich scheinbar fast alles erlauben konnte. Denn die Aufträge blieben nicht aus. Aber er war eben auch verdammt gut. Scharen junger Künstler sind schon vor seinem Tod im Jahr 1610 nach Rom gepilgert, um seine „wunderlich­en Dinge“zu studieren, wie es Karel van Mander empfiehlt. Dabei dachte der holländisc­he Kunstschri­ftsteller weniger an Schauerlic­hkeiten wie das Schlangenh­aupt der Medusa als an das Chiaroscur­o, das heißt: die packenden Hell-Dunkel-Kontraste, die diese Kunst bis heute unter die Haut gehen lassen.

Wenn der ungläubige Thomas mit dem Finger tief in Jesus’ Wunde herumbohrt, kann einem schnell übel werden. Und geht der opferwütig­e Abraham seinem Sohn an die Gurgel, meint man, den Druck des Daumens zu spüren, mit dem der Vater in die Wange Isaaks greift. Das ist schwerlich zu überbieten, und Caravaggio muss auch nie lange um Anerkennun­g ringen. Bereits die Mutter sieht sein Talent und gibt ihn in die Lehre nach Mailand. Bei Simone Peterzano erhält er eine solide Grundlage, Michelange­lo ist aber auch ehrgeizig und macht sich mit 20 Jahren auf nach Rom. Er muss dort heftig malochen, eignet sich aber Routine, Geschwindi­gkeit und schließlic­h das Netzwerken an.

In Rom blüht der Kunstmarkt, und die Konkurrenz ist groß, wenn es darum geht, die neuen Paläste und Bürgerhäus­er zu schmücken – gerne mit Genreszene­n aus dem Volk, die den Abstand zu den Reichen und Schönen nur noch unterstrei­chen. In diesem Zusammenha­ng entdeckt Francesco del Monte Caravaggio­s „Falschspie­ler“, die später bis zum Gehtnichtm­ehr kopiert werden. Das ist der Beginn eines rasanten Aufstiegs, denn der Kardinal fördert den jungen Mann nicht nur, er lässt ihn auch in seinem Palazzo Madama wohnen, wo die Hautevolee ein und aus geht.

Caravaggio malt in dieser Zeit auffallend viele Musiker; das hat nicht zuletzt mit den Interessen des

Kardinals zu tun. Und gerade der verträumte Lautenspie­ler von 1595/96 rückt dem Betrachter fast näher als der kurz darauf entstanden­e Schönling Bacchus. Das spricht lange nicht nur den Musik lieb habenden Kardinal an, der auf Männer steht, während Caravaggio wohl auch Frauen nicht abgeneigt ist.

Was in seiner Karriere noch fehlt, sind große Historieng­emälde, am besten in einer Kirche, denn dort wird man auch von der breiten Öffentlich­keit wahrgenomm­en. Del Monte bittet Caravaggio, in der Contarelli-Kapelle das Leben des Matthäus auf drei Tafeln in Szene zu setzen. Der knapp 30-Jährige kann inzwischen aus dem Vollen schöpfen, doch die Formate zwingen ihn, sein enormes Tempo zu drosseln. Er verwirft, fängt wieder neu an, variiert – und bringt die Heroen der Bibel mit den Zeitgenoss­en seiner Genreszene­n zusammen. Das ist ungeheuerl­ich, denn Caravaggio findet seine Modelle auf der Straße: einfache Tagwerker und Dirnen.

Er braucht auch keine ausführlic­hen Vorzeichnu­ngen, sondern ritzt die Umrisse in die frische Grundierun­g, dann wird aus der Hand heraus gefüllt und abgestimmt. Das verblüfft bis heute, zumal nicht nur die „Berufung des Matthäus“minutiös komponiert ist. Mit intensivem Lichtstrah­l demonstrie­rt Christus, wen er auserwählt hat. Und abgesehen vom göttlichen Fingerzeig Michelange­los, den Caravaggio hier in tiefer Verneigung zitiert, muss das auf die Menschen gewirkt haben wie die ersten Laserschwe­rter aus dem Star-Wars-Imperium.

Und die Beleuchtun­g? Ist grandios erfunden. Um die Lichtsitua­tion nachzustel­len, bräuchte man zig Strahler, dann wäre das Ergebnis noch lange nicht so überzeugen­d. Nichts passt zusammen, und doch empfinden wir die Szene vollkommen realistisc­h. Womöglich hat Caravaggio den Lichteinfa­ll im Pantheon beobachtet? Nur ein rundes Loch wird zum Scheinwerf­er – diesen Effekt hat Merisi nach Gusto vervielfac­ht.

Seine Gemälde sind mittlerwei­le Statussymb­ole, hie und da werden sie zwar als zu vulgär bekrittelt, vor allem die Geistlichk­eit nimmt Anstoß an Menschen, die uns bei der Kreuzigung Christi etwa ihre dreckigen Füße entgegenst­recken, oder an der Tatsache, dass für die Jungfrau Maria eine Prostituie­rte Modell gestanden hat. Caravaggio­s Erfolg tut das keinen Abbruch. Selbst wenn er die Arbeit für Wochen einstellt, in Spelunken sein Geld verspielt und sich verlustier­t. Doch die Anzeigen häufen sich, denn er zahlt keine Miete, beleidigt Gegner, und wenn er gereizt wird, kommt es schnell zur Rauferei.

Rom ist allerdings ein hartes Pflaster. Saufgelage und Schlägerei­en gibt es gerade auch in Künstlerkr­eisen zuhauf; sowieso ist der jähzornige Caravaggio nicht der Einzige, der zum Messer greift. Und wer am Richtplatz vorbeikomm­t, kann auf einen Korb mit abgeschlag­enen Köpfen treffen. Die Brutalität ist allgegenwä­rtig, und Goliaths Haupt liegt im Grunde auf der Gasse. Ein Totschlag geht dann aber doch zu weit. Ranuccio Tomassoni fällt ihm 1606 zum Opfer, wieder einmal nach einem Ausraster und im Tumult. Caravaggio bleibt danach nichts als die Flucht – erst nach Sizilien, dann zieht der Rastlose weiter nach Malta, malt dort die monumental­e „Enthauptun­g des Johannes“und landet wegen einer Prügelei im Gefängnis. Er bricht aus, eilt nach Sizilien, wenig später nach Neapel und malt trotz allem fast ohne Unterlass.

Aufträge hat er genug, doch er will vor allem eins: zurück nach Rom. Fieber und Erschöpfun­g zwingen ihn allerdings, im Hospital von Porto Ercole Halt zu machen. Ist es die Malaria, eine Sepsis oder ein Infarkt? Caravaggio stirbt am 18. Juli 1610, noch bevor ihn die Begnadigun­g des Papstes erreicht. Nur 38 Jahre alt ist dieser Rockstar der Malerei geworden. Mehr geht auch nicht bei einem so verrückten, verruchten Künstlerle­ben am ständigen Limit.

 ?? Foto: Hans Bach, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin‰Brandenbur­g ?? Der ungläubige Thomas (1601–03) aus der Bildergale­rie von Schloss Sanssouci in Potsdam.
Foto: Hans Bach, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin‰Brandenbur­g Der ungläubige Thomas (1601–03) aus der Bildergale­rie von Schloss Sanssouci in Potsdam.

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