Klarinette statt Koalitionsspekulation
Wieder einmal reißt Sabine Meyer beim Festival der Nationen in Bad Wörishofen zu Ovationen hin
Bad Wörishofen Dass einem die ersten genaueren Wahl-Hochrechnungen mit Verspätung erreichen, ist ganz leicht zu verschmerzen, wenn Sabine Meyer das Bassettklarinettenkonzert Wolfgang Amadeus Mozarts offeriert. Womöglich ist das sogar weit ergiebiger und nutzbringender und konstruktiver als alles Spekulieren und Palavern darüber, wer nun mit wem ins Koalitionsbett steigt.
Dabei hätte dieser gesamte Abend im Rahmen des Festivals der Nationen im Kurhaus von Bad Wörishofen mit gutem Grund im Zeichen der von Mozart so geliebten Klarinette stehen können. Es blieb aber beim ersten Teil mit der durchaus das Kammerorchester des BR-Symphonieorchesters
animierenden und gedanklich immer einen Tick vorausschauenden Sabine Meyer, die dieses A-Dur-Konzert in ihrem Leben wohl schon einige hunderte Male gespielt hat, es aber dennoch in Bad Wörishofen wieder frisch belebt, klanglich delikat umsetzt, innig und beseelt ertönen lässt.
Das Faszinosum des Instruments kommt einmal mehr zum Tragen: Wie sein Ton in einem akustischen sfumato aufblüht und verklingt, wie es – bei guter Stütze – einen Kometenbogen ziehen kann über wuseligem Orchestergeschehen, wie das Legato das allerschmeichelhafteste der Welt ist. Das beherrscht Sabine Meyer aus dem Effeff – und auf der anderen Seite auch das Feuerwerk der Staccato-Raketen im Kehraus. Immer wieder beglückend, immer wieder mit Ovationen bedacht. – Und dann war man gespannt auf die große g-Moll-Sinfonie KV 550, weil doch hier – wie das Programmheft vermerkt – Mozart nachträglich die Oboen gegen seine geliebten Klarinetten ausgetauscht hatte. Aber keine zwei Klarinetten traten mit dem 20-köpfigen Kammerorchester unter Leitung von Primus Radoslaw Szulc auf, sondern die ursprünglich besetzten zwei Oboen. Schade. Die Gelegenheit zu einer Hommage an Amadés Änderungswunsch verstrich ungenutzt und damit die Gelegenheit zu einem runderen, weicheren Ensembleklang, im Gegensatz zum eingebetteten – etwas spitzeren, leicht schärferen – OboenTimbre.
Unter dem Strich jedenfalls ertönte dann KV 550 einerseits sicherlich vitalisiert durch zügige Tempi, andererseits aber auch leicht routiniert. Manches hätte man sich artikulatorisch profilierter vorstellen können, wie etwa jene Passage im Menuett, da Mozart das Metrum originell gegen den Strich bürstet.
Freilich war diese Art von Gebrauchsinterpretation auf der anderen Seite auch wieder verständlich, da doch ein Teil des Orchesters am Nachmittag schon bei einer BRAufführung von Beethovens „Missa solemnis“unter John Eliot Gardiner in Ottobeuren mitgewirkt hatte – und das Bad Wörishofener Programm am fortgeschrittenen Abend ja noch einmal wiederholt zu werden hatte. Hochspannung ist nicht beliebig abrufbar in enger TerminTaktung. Gleichwohl auch hier: viele Bravos.