Friedberger Allgemeine

Das Unberechen­bare gibt’s nur in Clubs

Zwei Musiker haben die Corona-Zeit genutzt, eine Hommage an Liveclubs zu sammeln: Viele Künstler haben Texte beigesteue­rt – hier Trinker-Poesie, dort etwas über den überforder­ten Kurt Cobain

- VON SEBASTIAN KRAUS

Am Ortsrand von Blaubeuren liegt umgeben von Wald und Zufahrtsst­raßen ein kleines, einstöckig­es Häuschen mit rotem Satteldach und Fenstergau­ben. Der Ort scheint nicht gerade vor Rock ’n’ Roll zu sprühen, doch weit gefehlt. Die vielen Bands, die sich im Jugendhaus Blaubeuren schon die Klinke in die Hand gaben, sind allesamt nichts für die Untermalun­g von Omas Achtzigste­m.

Für eine gewisse Zeit, es ist schon eine Weile her, lockte der heute in Augsburg ansässige Musiker und Autor Sebastian Schwaigert Punkund Hardcoreba­nds auf die Schwäbisch­e Alb. Ohne dieses kleine Häuschen hätte er sich später vielleicht nie samt Freund und Drummer Marc Huttenloch­er mit ihren Bands Benzin und Go Go Gazelle quer durch die herrlich ranzig riechenden Liveclubs der Republik gespielt. Diese sind nicht nur Orte für trommelfel­lgefährden­de Konzerte und rauschmitt­elgeschwän­gerte Exzesse, sondern fester Treffpunkt für Menschen verschiede­nster Hintergrün­de, die sich gegenseiti­g kulturell und politisch sozialisie­ren und gemeinsam etwas auf die Beine stellen. Daher lag es für die beiden Freunde auf der Hand, in der Zeit der verschloss­enen Clubtüren dieser Institutio­n des subkulture­llen Lebens Tribut zu zollen.

In „Potzblitz. Liebeserkl­ärungen an meinen Liveclub“teilen große Talente und kleine Legenden in kleinen Geschichte­n ihre tiefe Zuneigung zu ihrem persönlich­en Club, weil dort Karrieren begannen, Freundscha­ften wuchsen und die kleinen und großen Dramen des Lebens mit Gleichgesi­nnten erlebt wurden. Klee, Oliver Uschmann, Nagel von Muff Potter, Slime, die Augsburger Italo-Pophelden Abbrunzati Boys – die Auswahl ist so exquisit wie abwechslun­gsreich.

Das Buch ist beileibe keine beliebige Aufzählung betrunkene­r Abende an irgendeine­r Theke, es gibt Geschichte­n über zweifelhaf­te blinde Passagiere im Bandbus von Akne Kid Joe, eine vor Schimpfwor­ten und Aggression nur so strotzende Kurzgeschi­chte über die Turteltaub­en Karla und Konrad von Pöbel MC, Trinker-Poesie von Götz Widmann und Absurdes von Heinz Ratz, der weiß, warum in Bruno, dem Problembär­en, ein anarchisch­es Herz schlägt.

Schwaigert wollte mit dem Buch einen „Selbstzwec­k und einen Mehrwert schaffen“: Das Buch soll – und kann – bestens unterhalte­n, aber eben auch helfen. Alle Beteiligte­n stellen ihr Honorar vollständi­g der Bundesstif­tung Livekultur zur Verfügung, um die Liveszene zu unterstütz­en und die subkulture­lle Infrastruk­tur für kommende Generation­en zu bewahren.

Schorsch Kamerun, den man getrost als einen der ersten Punks der

BRD bezeichnen kann, war schon immer ein unberechen­barer Künstler mit einem Faible für unberechen­bare Auftritte, und diese funktionie­ren laut seines Beitrags eben „nur in Clubs unter 500 Leuten. Alles darüber hat zu viele Zäune, Manager und Ausweise“. Die kleinen Clubs hingegen haben jegliche Freiheit, Idealisten und wenig Putzzeug, aber das ist egal, denn in ihrer Funktion als Bodensatz der Szene sind sie essenziell.

Kein großer Popzirkus ohne kleine Clubs. Nicht mal die Beatles haben gleich in Stadien gespielt, sondern erst mal viele Nächte in den engen Kellern unter der Hamburger Reeperbahn verbracht. Und die meisten Clubs stehen eben nicht in den Metropolen des Landes, sondern in der Provinz. Wie der Lieblingsc­lub von MTV-Gesicht Markus Kavka, der im Niemandsla­nd zwischen Ingolstadt und Nürnberg beobachten durfte, wie sich ein übernächti­gter Kurt Cobain hinter der Bühne Löcher in den Wollpullov­er popelte, da ihm schon damals alles zu viel wurde, obwohl „Smells like teen spirit“noch nicht einmal geschriebe­n war.

Songwriter Philip Bradatsch schreibt, die Musiker seien gar nicht die Helden der Szene. „Die Helden sind die, die uns Musiker auf die Bühne stellen“. Und die gibt es in jeder Stadt, in jedem Dorf. Über und für sie sind die Geschichte­n aufgeschri­eben.

Sie sind tieftrauri­g und schreiend komisch, peinlich und heroisch, nur eines nie: langweilig. Auch wenn Millionen von Menschen schon entscheide­nde Momente vor, auf oder hinter den kleinen Bühnen des Landes erlebt haben, sind alle Geschichte­n vor allem eines: einzigarti­g.

 ?? Foto: Andy Fröhlich ?? Eine große Hommage an Lieblings‰Liveclubs haben Marc Huttenloch­er (links) und Sebastian Schwaigert zusammenge­fasst – als Herausgebe­r des Buchs „Potzblitz. 31+1 er‰ leuchtende Liebeserkl­ärungen an meinen Liveclub“.
Foto: Andy Fröhlich Eine große Hommage an Lieblings‰Liveclubs haben Marc Huttenloch­er (links) und Sebastian Schwaigert zusammenge­fasst – als Herausgebe­r des Buchs „Potzblitz. 31+1 er‰ leuchtende Liebeserkl­ärungen an meinen Liveclub“.
 ?? ?? » Marc Huttenlo‰ cher, Sebastian Schwaigert (Hrsg.): Potzblitz. 31+1 erleuchten­de Liebeserkl­ärungen an meinen Liveclub, 272 S., 14,95 Euro
» Marc Huttenlo‰ cher, Sebastian Schwaigert (Hrsg.): Potzblitz. 31+1 erleuchten­de Liebeserkl­ärungen an meinen Liveclub, 272 S., 14,95 Euro

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