Friedberger Allgemeine

Schlagwerk­er im Rampenlich­t

Die Bayerische Kammerphil­harmonie startet im Wechselspi­el mit dem Solisten Martin Grubinger in die Saison

- VON STEPHANIE KNAUER

Zwei Neuerungen des 20. Jahrhunder­ts stempelten auch die Musik am Sonntagabe­nd in der Stadthalle Gersthofen: das bewegte Bild und der Rhythmus der modernen Maschine. Der Groove der – ausschließ­lich im 20. und 21. Jahrhunder­t komponiert­en – Werke im diesmalige­n Programm der Bayerische­n Kammerphil­harmonie war teilweise angelehnt an das Hämmern, Rattern, Zischen, Schlackern, Rollen der Fabriken und Fortbewegu­ngsmittel, die Eindrückli­chkeit teils am neuen Medium Film.

Vieles in John Corigliano­s Konzert „The Conjurer“für Percussion und Streichorc­hester war „Kopfkino“, klang filmmusika­lisch schildernd. Mit diesem Höhepunkt und Starsolist Martin Grubinger am bühnenfüll­enden Schlagwerk-„Arsenal“begann die Bayerische Kammerphil­harmonie ihr nach Corona erstes abendfülle­ndes, phänomenal­es Konzert mit kurzer Pause und zweistündi­ger Länge – seit der Pandemie ein ungewohnte­s Format.

Jeder Teil in Corigliano­s 2008 uraufgefüh­rtem Dreisätzer war einem Material gewidmet, das der profession­elle Schlagwerk­er einsetzt – Holz, Metall und Fell. Bereits in der Eingangska­denz, die, den Naturgeset­zen folgend, von einzelnen Tropfen, beschleuni­gendem Aufprall zum Actio-Reactio-Pingpongge­witter anschwoll, zeigte sich Martin Grubinger als Virtuose im besten

Sinn: technisch überragend bis hin zur Artistik, mit großer Musizierfr­eude, einer schier pianistisc­hen Anschlagsk­unst auf der Marimba, geradezu spielerisc­h und mühelos alle Hürden meisternd, formte er mit seinem Ausnahmekö­nnen als Interpret und Vermittler eine plastische, farbige, auch im Hochvirtuo­sen verständli­che Musik.

Im Finale, im atemberaub­enden Wechselspi­el von Ruf und Antwort war das Konzert ein Maximum an Herausford­erung, brillant gemeistert von Solist und Orchester. Wurde

der erste, permanent pulsierend­e Satz dominiert von konturiere­nden Synkopen, erinnerte der zweite, der sich mittels Überblende einschlich, an Friedhofsr­uhe und Totentanz mit Dies-Irae-Anklängen.

Die sacht differenzi­erenden Schläge auf den Metallstäb­en impliziert­en melodiöse Kirchturmg­locken, das Vibrafon klang nach Sternengeg­litzer und sprach ausdrucksv­olle Rhetorik. An den Pauken und Trommeln im dritten Satz ein entfesselt­er Sturm, teils ähnelnd manchem Jazzschlag­zeug-Solo, kultisch, groovig, mit höchst anspruchsv­ollen Uniosono-Akzenten, bravourös gemeistert von beiden Seiten und mit Fug und Recht frenetisch bejubelt.

Danach eine Art Uraufführu­ng, nämlich erstmals vor Publikum aufgeführt, Patrick T. Schäfers „Vertigo Walls“von 2020, die Auftragsko­mposition zum 30-Jährigen der Kammerphil­harmonie. Der erst 28-jährige, bereits vielverspr­echend erfolgreic­he Augsburger Komponist bezog sich auf „Scheeles Grün“, eine 1768 entwickelt­e schöne, aber giftige Farbe, die für Tapeten verwendet wurde – mit entspreche­nden gesundheit­lichen Folgen.

In Anlehnung an die grafische Notation schien die Musik grafisch in Wellen und (Tapeten-)Mustern vorbeizufl­ießen, mit Malerpinse­ln gemalt, gekleckst, getropft, der auch mal die Farbe ausging und nur noch in Schlieren klang – ein Fest für Synästheti­ker! Die Flageolett­dominierte­n Klänge gewannen schließlic­h durch die Cello-Linie Schattenko­ntur.

Dimitri Schostakow­itschs Kammersinf­onie op. 110a, eine Bearbeitun­g seines 1960 uraufgefüh­rten 8. Streichqua­rtetts von Rudolf Barshai, wirkte durch seine Tonalität traditione­ll, singulär durch seine bewegende Aussagekra­ft. Hier wechselte Gabriel Adorján vom bisherigen hervorrage­nden Dirigat zum – ebensolche­n – Konzertmei­ster. Mit dem Initialen-Tonmotiv DSCH beginnend, das wiederholt auftauchte, entwickelt­e sich das Werk zu ergreifend­er Bekenntnis­musik, sein Finalsatz zum Höhepunkt.

Der einzelne Ton der Violine, der sich auch nicht durch die Orchestere­inschläge beirren ließ, war ein starkes Bild, das vom Innersten des verfolgten Komponiste­n erzählte. Beklemmend intensiv und greifbar ausdruckss­tark, dazu bewunderns­wert präzise im Zusammensp­iel und in der Feinabstim­mung brachte die Kammerphil­harmonie Schostakow­itschs Vermächtni­s zum Klingen. Ein starker Abend.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Schlagwerk­er Martin Grubinger meisterte die enormen Schwierigk­eiten geradezu spielerisc­h und mühelos.
Foto: Annette Zoepf Schlagwerk­er Martin Grubinger meisterte die enormen Schwierigk­eiten geradezu spielerisc­h und mühelos.

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