Schlagwerker im Rampenlicht
Die Bayerische Kammerphilharmonie startet im Wechselspiel mit dem Solisten Martin Grubinger in die Saison
Zwei Neuerungen des 20. Jahrhunderts stempelten auch die Musik am Sonntagabend in der Stadthalle Gersthofen: das bewegte Bild und der Rhythmus der modernen Maschine. Der Groove der – ausschließlich im 20. und 21. Jahrhundert komponierten – Werke im diesmaligen Programm der Bayerischen Kammerphilharmonie war teilweise angelehnt an das Hämmern, Rattern, Zischen, Schlackern, Rollen der Fabriken und Fortbewegungsmittel, die Eindrücklichkeit teils am neuen Medium Film.
Vieles in John Coriglianos Konzert „The Conjurer“für Percussion und Streichorchester war „Kopfkino“, klang filmmusikalisch schildernd. Mit diesem Höhepunkt und Starsolist Martin Grubinger am bühnenfüllenden Schlagwerk-„Arsenal“begann die Bayerische Kammerphilharmonie ihr nach Corona erstes abendfüllendes, phänomenales Konzert mit kurzer Pause und zweistündiger Länge – seit der Pandemie ein ungewohntes Format.
Jeder Teil in Coriglianos 2008 uraufgeführtem Dreisätzer war einem Material gewidmet, das der professionelle Schlagwerker einsetzt – Holz, Metall und Fell. Bereits in der Eingangskadenz, die, den Naturgesetzen folgend, von einzelnen Tropfen, beschleunigendem Aufprall zum Actio-Reactio-Pingponggewitter anschwoll, zeigte sich Martin Grubinger als Virtuose im besten
Sinn: technisch überragend bis hin zur Artistik, mit großer Musizierfreude, einer schier pianistischen Anschlagskunst auf der Marimba, geradezu spielerisch und mühelos alle Hürden meisternd, formte er mit seinem Ausnahmekönnen als Interpret und Vermittler eine plastische, farbige, auch im Hochvirtuosen verständliche Musik.
Im Finale, im atemberaubenden Wechselspiel von Ruf und Antwort war das Konzert ein Maximum an Herausforderung, brillant gemeistert von Solist und Orchester. Wurde
der erste, permanent pulsierende Satz dominiert von konturierenden Synkopen, erinnerte der zweite, der sich mittels Überblende einschlich, an Friedhofsruhe und Totentanz mit Dies-Irae-Anklängen.
Die sacht differenzierenden Schläge auf den Metallstäben implizierten melodiöse Kirchturmglocken, das Vibrafon klang nach Sternengeglitzer und sprach ausdrucksvolle Rhetorik. An den Pauken und Trommeln im dritten Satz ein entfesselter Sturm, teils ähnelnd manchem Jazzschlagzeug-Solo, kultisch, groovig, mit höchst anspruchsvollen Uniosono-Akzenten, bravourös gemeistert von beiden Seiten und mit Fug und Recht frenetisch bejubelt.
Danach eine Art Uraufführung, nämlich erstmals vor Publikum aufgeführt, Patrick T. Schäfers „Vertigo Walls“von 2020, die Auftragskomposition zum 30-Jährigen der Kammerphilharmonie. Der erst 28-jährige, bereits vielversprechend erfolgreiche Augsburger Komponist bezog sich auf „Scheeles Grün“, eine 1768 entwickelte schöne, aber giftige Farbe, die für Tapeten verwendet wurde – mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen.
In Anlehnung an die grafische Notation schien die Musik grafisch in Wellen und (Tapeten-)Mustern vorbeizufließen, mit Malerpinseln gemalt, gekleckst, getropft, der auch mal die Farbe ausging und nur noch in Schlieren klang – ein Fest für Synästhetiker! Die Flageolettdominierten Klänge gewannen schließlich durch die Cello-Linie Schattenkontur.
Dimitri Schostakowitschs Kammersinfonie op. 110a, eine Bearbeitung seines 1960 uraufgeführten 8. Streichquartetts von Rudolf Barshai, wirkte durch seine Tonalität traditionell, singulär durch seine bewegende Aussagekraft. Hier wechselte Gabriel Adorján vom bisherigen hervorragenden Dirigat zum – ebensolchen – Konzertmeister. Mit dem Initialen-Tonmotiv DSCH beginnend, das wiederholt auftauchte, entwickelte sich das Werk zu ergreifender Bekenntnismusik, sein Finalsatz zum Höhepunkt.
Der einzelne Ton der Violine, der sich auch nicht durch die Orchestereinschläge beirren ließ, war ein starkes Bild, das vom Innersten des verfolgten Komponisten erzählte. Beklemmend intensiv und greifbar ausdrucksstark, dazu bewundernswert präzise im Zusammenspiel und in der Feinabstimmung brachte die Kammerphilharmonie Schostakowitschs Vermächtnis zum Klingen. Ein starker Abend.