Das schwarzgrüne Augsburg – eine Spurensuche
Am Stadtrand behält die CSU noch die Mehrheit, doch in der Innenstadt wählen immer mehr Augsburger grün. Was die Menschen in den Stadtteilen bewegt – und wie die Parteien darauf reagieren wollen
Eigentlich ist es nur eine alte Blechdose. Jemand hat sie am Geländer der Bismarckbrücke befestigt. Sie ist grün angemalt mit einer gelben Blume in der Mitte, mit Erde gefüllt und bepflanzt. Doch ist das, was da an der Brücke hängt, mehr als eine bloße Blechdose. Es ist ein Ausdruck für die politische Vorliebe, die viele Bewohnerinnen und Bewohner des Bahnhofs- und Bismarckviertels haben. Es ist eine Hochburg der Grünen in Augsburg, deren Kandidatin holte hier knapp 35 Prozent der Erststimmen, für Volker Ullrich von der CSU blieb mit um die 20 Prozent hier nur der zweite Platz. Wer sich die Karten mit den Wahlergebnissen anschaut, der sieht: Die Augsburger Innenstadt hat sich bei der Bundestagswahl deutlich grün eingefärbt, hier ist die Öko-Partei mehrheitsfähig. Außen herum bleibt die Karte schwarz - je ländlicher die Stadtteile, umso mehr Stimmen gab es für die CSU. Noch reicht das für die CSU, um in Augsburg den Ton anzugeben. Doch wie lange noch? Eine Spurensuche am Tag nach der Bundestagswahl.
In Bergheim wachsen die Sonnenblumen in diesem Herbst höher in den Himmel, als die AfD ihre Plakate aufzuhängen vermag. In dem beschaulichen Stadtteil im Südwesten Augsburgs scheint die Welt noch in Ordnung. Hier wachsen Dahlien und Astern in gepflegten Vorgärten, die Obstbäume sind voller Äpfel und Birnen, Hemden und Shirts hängen zum Trocknen an Wäschespinnen. Teppichstangen stehen auf gepflegtem Rasen. Bergheim ist ein Idyll, ein Ort mit Tradition und wenig Veränderung. Schon immer wurde hier vorzugsweise die CSU gewählt. Hier sind die Verhältnisse im Vergleich zum Bismarckviertel genau umgekehrt Volker Ullrich holt mit 36,8 Prozent sein bestes Ergebnis, Claudia Roth kommt auf 20,4 Prozent.
„Den Ullrich, den kenne ich nur vom Plakat“, sagt eine ältere Frau. Sie sitzt auf einem Hocker im Garten, wäscht in einem Bottich gelbe Rüben. Die hat sie vorhin auf dem Feld geerntet. Jetzt werden sie für die Enkelin geputzt. „Die verfüttert die Rüben dann an die Pferde“, erzählt die 81-Jährige, die ihren Namen nicht verraten will und auch nicht, was sie gewählt hat. Etwas gibt sie dann doch preis: „Ich habe meine Entscheidung getroffen, bloß der Laschet, der gefällt mir gar nicht.“Wie es weitergeht, lasse sie auf sich zukommen. „Hauptsache, die Linken sind nicht dabei.“Warum Bergheim CSU-lastig ist, kann die Dame mit dem gelben Strickpulli und den grauen Haaren nicht sagen. „Das war hier schon immer so.“Eine Erklärung hingegen hat ein paar Häuser weiter Gerald Steiner parat.
Der Rentner fegt an diesem sonnigen Vormittag seine Hofeinfahrt. Bewegung tut gut. Ordnung auch. Glücklich ist er mit dem Wahlergebnis nicht. „Hoffentlich kommt es wenigstens zu einer Schwarz geführten Koalition“, meint der 66-Jährige und fügt hinzu: „In Bergheim gab es schon immer viele Unionswähler. Es hat dörflichen Charakter, bei uns wird das Vereinsleben noch großgeschrieben.“Er selbst sei jahrelang Zweiter Vorsitzender des Obst-und Gartenbauvereins gewesen, es gebe die Freiwillige Feuerwehr, Musik- und Sportverein, die Soldatenkameradschaft. Zum Stammtisch trifft man sich im Jägerhaus. „Wir hatten früher viel Landwirtschaft, hier leben viele Grundstückseigentümer, diese Leute wählen einfach die CSU“, sagt Steiner, der in Bergheim aufgewachsen ist.
Eine grüne Partei, die die Natur im Fokus habe, brauche man hier nicht. „Wir haben selbst viel Natur. Wenn wir etwas bräuchten, dann die Veränderung unserer Hauptstraße.“Er winkt ab. „Aber da wird seit Jahren gesprochen, und passieren tut nichts.“Auf dem Dach des ehemaligen Bauernhofes seiner Großeltern und Eltern, in dem Steiner mit seiner Familie lebt, sind Solarzellen angebracht. Auch dafür brauche er die Grünen nicht, sagt er. „Der ihre Forderung, auf jedem
Dach Solarzellen anzubringen, finde ich überzogen. Das kann sich nicht jeder leisten.“Peter Rauscher, Fraktionschef der Grünen im Stadtrat, weiß, dass es für seine Partei schwieriger ist am Stadtrand. „Wir haben dort keine solche Basis und auch keine Strukturen wie in der Innenstadt.“Deshalb, sagt er, müssten die Grünen diese Stadtteile nun stärker in den Blick nehmen.
Sieben Kilometer Luftlinie entfernt, in der Bismarckstraße, pulsiert um die Mittagszeit das Leben. Menschen sitzen vor dem vegetarischen Restaurant Lokalhelden und der Bäckerei Balletshofer, essen, trinken und plaudern, die kleinen Geschäfte haben bei den warmen Temperaturen ihre Ladentüren geöffnet. Die 34-jährige Tini und ihr Mann schieben ihr zwei Monate altes Baby im Kinderwagen vorbei. Tini, die ein Café betreibt, beschreibt das angesagte Bismarckviertel als ein offenes, nettes und et
alternatives Viertel. Hier lebten viele junge Eltern, die sich ihrer Meinung nach mehr von der Politik der Grünen als von der der CSU angesprochen fühlten.
Die etablierten Parteien hätten sich zu spät mit dem Klimaschutz befasst, dabei gehe es doch um die Zukunft der Kinder, sagt sie und schaut in den Kinderwagen. „Wir haben selbst diskutiert, ob es Sinn macht, ein Kind in so eine Welt zu setzen.“Gehe es nach ihr, würde sie den Autoverkehr sogar ganz aus der Innenstadt verbannen. Die Politik der schwarz-grünen Stadtregierung führe zwar in die richtige Richtung, aber eben nicht weit genug.
Dazu hat auch Andreas Miehle, der bei den Lokalhelden einen Kaffee trinkt, eine Meinung. „Eva Weber kommt in der Stadt gut an, weil sie keine klassische CSUlerin ist, sondern neu und modern“, findet der 52-jährige IT-Leiter, der, wie er sagt, meistens grün wählt. Warum dies in der Innenstadt inzwischen auch viele andere tun, auf dem Land aber eher noch schwarz gewählt wird, liegt für ihn auf der Hand. „In der Innenstadt herrscht viel mehr Verkehr als auf dem Land, darum ist das Thema hier wichtiger. Da haben die Grünen in ihrem Programm die besseren Angebote.“Flächenfraß durch Autos und Parkplätze, sichere Radwege, genügend Kita-Plätze diese Themen bewegten die Menschen in Augsburgs Zentrum. „Das sind die Themen der Grünen.“
Volker Ullrich weiß das. Am Montagnachmittag sitzt er im ICE nach Berlin, am Dienstag stehen die ersten Sitzungen mit den Abgeordnetenkollegen an. In der Innenstadt habe sich die Bevölkerung in den vergangenen Jahren verändert. Es gebe mehr junge Familien, Studenten, die klassische Großstadtklientel eben, wo die Grünen tief verwurzelt sind. Ullrich sagt, seine Partei müsse sich Gedanken machen, warum sie viele jüngere Wähler nicht mehr erreiche. Er selbst habe sich für Themen wie Klimaschutz oder den Bahnverkehr stark eingesetzt. Dennoch habe er den Trend nicht drehen können - mehrere Stadtteile, die er vor vier Jahren noch gewonnen hatte, sind jetzt grün geworden. Die Entwicklung zeigt sich schon länger bei allen Wahlen - egal ob bei Kommunalwahlen, Landtags- oder Bundestagswahlen.
Bleibt der Trend so, werden die Grünen in nicht allzu ferner Zukunft in Augsburg an der Union vorbeiziehen. „Wir haben zumindest bei Teilen der jungen Menwas schen ein Imageproblem“, übt Ullrich indes Selbstkritik. Und er sagt: „Wir müssen uns fragen, ob wir auch für junge Familien genug tun, etwa beim Thema Betreuung und Bildung.“
Neben der grün bemalten Dose hängt am Geländer der Bismarckbrücke auch ein Zettel. „Liebe Leser, Wir finden das es mit den Umweltkathastrophen nun zu weit geht. Damit sind die Zerstörten Regenwälder, die von Plastik überfüllten Meere und die toten Tiere gemeint“, steht in krakeliger Kinderhandschrift und mit Schreibfehlern darauf zu lesen.
Eine Stadt, zwei politische Welten