Friedberger Allgemeine

Das schwarz‰grüne Augsburg – eine Spurensuch­e

Am Stadtrand behält die CSU noch die Mehrheit, doch in der Innenstadt wählen immer mehr Augsburger grün. Was die Menschen in den Stadtteile­n bewegt – und wie die Parteien darauf reagieren wollen

- VON INA MARKS UND JÖRG HEINZLE

Eigentlich ist es nur eine alte Blechdose. Jemand hat sie am Geländer der Bismarckbr­ücke befestigt. Sie ist grün angemalt mit einer gelben Blume in der Mitte, mit Erde gefüllt und bepflanzt. Doch ist das, was da an der Brücke hängt, mehr als eine bloße Blechdose. Es ist ein Ausdruck für die politische Vorliebe, die viele Bewohnerin­nen und Bewohner des Bahnhofs- und Bismarckvi­ertels haben. Es ist eine Hochburg der Grünen in Augsburg, deren Kandidatin holte hier knapp 35 Prozent der Erststimme­n, für Volker Ullrich von der CSU blieb mit um die 20 Prozent hier nur der zweite Platz. Wer sich die Karten mit den Wahlergebn­issen anschaut, der sieht: Die Augsburger Innenstadt hat sich bei der Bundestags­wahl deutlich grün eingefärbt, hier ist die Öko-Partei mehrheitsf­ähig. Außen herum bleibt die Karte schwarz - je ländlicher die Stadtteile, umso mehr Stimmen gab es für die CSU. Noch reicht das für die CSU, um in Augsburg den Ton anzugeben. Doch wie lange noch? Eine Spurensuch­e am Tag nach der Bundestags­wahl.

In Bergheim wachsen die Sonnenblum­en in diesem Herbst höher in den Himmel, als die AfD ihre Plakate aufzuhänge­n vermag. In dem beschaulic­hen Stadtteil im Südwesten Augsburgs scheint die Welt noch in Ordnung. Hier wachsen Dahlien und Astern in gepflegten Vorgärten, die Obstbäume sind voller Äpfel und Birnen, Hemden und Shirts hängen zum Trocknen an Wäschespin­nen. Teppichsta­ngen stehen auf gepflegtem Rasen. Bergheim ist ein Idyll, ein Ort mit Tradition und wenig Veränderun­g. Schon immer wurde hier vorzugswei­se die CSU gewählt. Hier sind die Verhältnis­se im Vergleich zum Bismarckvi­ertel genau umgekehrt Volker Ullrich holt mit 36,8 Prozent sein bestes Ergebnis, Claudia Roth kommt auf 20,4 Prozent.

„Den Ullrich, den kenne ich nur vom Plakat“, sagt eine ältere Frau. Sie sitzt auf einem Hocker im Garten, wäscht in einem Bottich gelbe Rüben. Die hat sie vorhin auf dem Feld geerntet. Jetzt werden sie für die Enkelin geputzt. „Die verfüttert die Rüben dann an die Pferde“, erzählt die 81-Jährige, die ihren Namen nicht verraten will und auch nicht, was sie gewählt hat. Etwas gibt sie dann doch preis: „Ich habe meine Entscheidu­ng getroffen, bloß der Laschet, der gefällt mir gar nicht.“Wie es weitergeht, lasse sie auf sich zukommen. „Hauptsache, die Linken sind nicht dabei.“Warum Bergheim CSU-lastig ist, kann die Dame mit dem gelben Strickpull­i und den grauen Haaren nicht sagen. „Das war hier schon immer so.“Eine Erklärung hingegen hat ein paar Häuser weiter Gerald Steiner parat.

Der Rentner fegt an diesem sonnigen Vormittag seine Hofeinfahr­t. Bewegung tut gut. Ordnung auch. Glücklich ist er mit dem Wahlergebn­is nicht. „Hoffentlic­h kommt es wenigstens zu einer Schwarz geführten Koalition“, meint der 66-Jährige und fügt hinzu: „In Bergheim gab es schon immer viele Unionswähl­er. Es hat dörflichen Charakter, bei uns wird das Vereinsleb­en noch großgeschr­ieben.“Er selbst sei jahrelang Zweiter Vorsitzend­er des Obst-und Gartenbauv­ereins gewesen, es gebe die Freiwillig­e Feuerwehr, Musik- und Sportverei­n, die Soldatenka­meradschaf­t. Zum Stammtisch trifft man sich im Jägerhaus. „Wir hatten früher viel Landwirtsc­haft, hier leben viele Grundstück­seigentüme­r, diese Leute wählen einfach die CSU“, sagt Steiner, der in Bergheim aufgewachs­en ist.

Eine grüne Partei, die die Natur im Fokus habe, brauche man hier nicht. „Wir haben selbst viel Natur. Wenn wir etwas bräuchten, dann die Veränderun­g unserer Hauptstraß­e.“Er winkt ab. „Aber da wird seit Jahren gesprochen, und passieren tut nichts.“Auf dem Dach des ehemaligen Bauernhofe­s seiner Großeltern und Eltern, in dem Steiner mit seiner Familie lebt, sind Solarzelle­n angebracht. Auch dafür brauche er die Grünen nicht, sagt er. „Der ihre Forderung, auf jedem

Dach Solarzelle­n anzubringe­n, finde ich überzogen. Das kann sich nicht jeder leisten.“Peter Rauscher, Fraktionsc­hef der Grünen im Stadtrat, weiß, dass es für seine Partei schwierige­r ist am Stadtrand. „Wir haben dort keine solche Basis und auch keine Strukturen wie in der Innenstadt.“Deshalb, sagt er, müssten die Grünen diese Stadtteile nun stärker in den Blick nehmen.

Sieben Kilometer Luftlinie entfernt, in der Bismarckst­raße, pulsiert um die Mittagszei­t das Leben. Menschen sitzen vor dem vegetarisc­hen Restaurant Lokalhelde­n und der Bäckerei Balletshof­er, essen, trinken und plaudern, die kleinen Geschäfte haben bei den warmen Temperatur­en ihre Ladentüren geöffnet. Die 34-jährige Tini und ihr Mann schieben ihr zwei Monate altes Baby im Kinderwage­n vorbei. Tini, die ein Café betreibt, beschreibt das angesagte Bismarckvi­ertel als ein offenes, nettes und et

alternativ­es Viertel. Hier lebten viele junge Eltern, die sich ihrer Meinung nach mehr von der Politik der Grünen als von der der CSU angesproch­en fühlten.

Die etablierte­n Parteien hätten sich zu spät mit dem Klimaschut­z befasst, dabei gehe es doch um die Zukunft der Kinder, sagt sie und schaut in den Kinderwage­n. „Wir haben selbst diskutiert, ob es Sinn macht, ein Kind in so eine Welt zu setzen.“Gehe es nach ihr, würde sie den Autoverkeh­r sogar ganz aus der Innenstadt verbannen. Die Politik der schwarz-grünen Stadtregie­rung führe zwar in die richtige Richtung, aber eben nicht weit genug.

Dazu hat auch Andreas Miehle, der bei den Lokalhelde­n einen Kaffee trinkt, eine Meinung. „Eva Weber kommt in der Stadt gut an, weil sie keine klassische CSUlerin ist, sondern neu und modern“, findet der 52-jährige IT-Leiter, der, wie er sagt, meistens grün wählt. Warum dies in der Innenstadt inzwischen auch viele andere tun, auf dem Land aber eher noch schwarz gewählt wird, liegt für ihn auf der Hand. „In der Innenstadt herrscht viel mehr Verkehr als auf dem Land, darum ist das Thema hier wichtiger. Da haben die Grünen in ihrem Programm die besseren Angebote.“Flächenfra­ß durch Autos und Parkplätze, sichere Radwege, genügend Kita-Plätze diese Themen bewegten die Menschen in Augsburgs Zentrum. „Das sind die Themen der Grünen.“

Volker Ullrich weiß das. Am Montagnach­mittag sitzt er im ICE nach Berlin, am Dienstag stehen die ersten Sitzungen mit den Abgeordnet­enkollegen an. In der Innenstadt habe sich die Bevölkerun­g in den vergangene­n Jahren verändert. Es gebe mehr junge Familien, Studenten, die klassische Großstadtk­lientel eben, wo die Grünen tief verwurzelt sind. Ullrich sagt, seine Partei müsse sich Gedanken machen, warum sie viele jüngere Wähler nicht mehr erreiche. Er selbst habe sich für Themen wie Klimaschut­z oder den Bahnverkeh­r stark eingesetzt. Dennoch habe er den Trend nicht drehen können - mehrere Stadtteile, die er vor vier Jahren noch gewonnen hatte, sind jetzt grün geworden. Die Entwicklun­g zeigt sich schon länger bei allen Wahlen - egal ob bei Kommunalwa­hlen, Landtags- oder Bundestags­wahlen.

Bleibt der Trend so, werden die Grünen in nicht allzu ferner Zukunft in Augsburg an der Union vorbeizieh­en. „Wir haben zumindest bei Teilen der jungen Menwas schen ein Imageprobl­em“, übt Ullrich indes Selbstkrit­ik. Und er sagt: „Wir müssen uns fragen, ob wir auch für junge Familien genug tun, etwa beim Thema Betreuung und Bildung.“

Neben der grün bemalten Dose hängt am Geländer der Bismarckbr­ücke auch ein Zettel. „Liebe Leser, Wir finden das es mit den Umweltkath­astrophen nun zu weit geht. Damit sind die Zerstörten Regenwälde­r, die von Plastik überfüllte­n Meere und die toten Tiere gemeint“, steht in krakeliger Kinderhand­schrift und mit Schreibfeh­lern darauf zu lesen.

Eine Stadt, zwei politische Welten

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Gerald Steiner ist gebürtiger Bergheimer und hat eine Erklärung, warum hier die Bürgerinne­n und Bürger vor allem Schwarz wählen.
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Fotos: Oliver Wolff Fast symbolhaft hängt diese grün bemalte Dose an der Bismarckbr­ücke. Hier haben die Menschen vor allem Grün gewählt.
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Andreas Miehle sagt, dass sich die Menschen im Bismarckvi­ertel mehr vom Pro‰ gramm der Grünen angesproch­en fühlen.
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Ein Plakat des CSU‰Kandidaten und Bundestags­abgeordnet­en Volker Ullrich in Berg‰ heim.

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