Moralinsüße Geburtstagsfeier
Das Junge Theater bringt ein pädagogisch wertvolles und schillerndes Umwelt-Stück in die Kresslesmühle
Ab welchem Alter kann man eigentlich Verantwortung für Umwelt und Klima übernehmen? Auf jeden Fall ab sieben findet das Junge Theater Augsburg (jta), und zeigt Grundschülerinnen und Grundschülern und Kindern am Übergang zu weiterführenden Schulen, wie das gehen kann. „Lilu feiert Geburtstag“steht groß und harmlos auf den schönen bunten Plakaten, mit denen das jta nach einer Premiere an der Westpark-Schule am Sonntagnachmittag erstmals Publikum ins Kulturhaus Kresslesmühle lockte. Aber auf das Kleingedruckte kommt es an: „und Plastik feiert mit“lautet der Untertitel der Inszenierung von Gianna Formicone. Das Plakat zeigt bei näherem Hinsehen eine erschrockene Lilu inmitten eines Meeres voll drolligem Plastikmüll.
Kindergeburtstag wird man ja wohl noch feiern dürfen, ohne dass ausgerechnet die Jüngsten jetzt die Welt retten müssen, denkt man vielleicht erst einmal. Darf Lilu ja auch. Ein rauschendes Fest ist ihr Neunter. Gefeiert wird von Lilu-Darstellerin Marina Lötschert versteckt in einem riesigen Geschenkkarton, aus dem heraus das Mädchen alles kommentiert - und alles herauswirft, was während der Party nicht mehr gebraucht wird: Präsentpapier und -schleifen, Geburtstagshaarreifen,
Getränketüten, Piñata, Torten-, Schokokuss- und Cheeseburger-Packungen. Fast alles aus Plastik. Als Lilu schließlich aus ihrem Geburtstags-Glückseligkeits-Kokon herausschlüpft, wundert sie sich über den großen Haufen Müll und bringt ihn gar nicht mit ihrer Feier in Verbindung. Lilijan Waworka, verantwortlich für Sounddesign und Livemusik, macht sie darauf aufmerksam, aber sie hält es zunächst für eine Frage von Aufräumen und wirft alles zurück in den Karton. Erst als dieser kippt und sich als geheimnisvoller Einstieg in einen Sommertag am Meer entpuppt, den Lilu zusammen mit dem Bade-Flamingo Flämmi genießen will, fängt sie an zu begreifen: Das sind ihre Chipstüten und Billig-Mitgebsel, die vorbei schwimmen und schließlich gemeinsam mit Flämmi, dem wegen eines Löchleins die Luft ausgeht, auf dem Meeresgrund landen.
Lilu lernt fantastische Plastikwesen kennen, die je nach Konsistenz und Art unter Wasser Jahre bis Jahrhunderte lang der Transformation in Mikroplastik harren: den rassigen Italiener Capri-Sonne, ein singendes Ballfang-Körbchen oder eine gut über die Geschichte des Plastiks seit dem Urknall informierte Fastfood-Box. Lilu versteht: So kann es nicht weitergehen. Aber auf Geburtstagsfeiern muss man deshalb noch lange nicht verzichten, nur ein paar Sachen ändern: wiederverwertbare Strohhalme, alte Zeitschriften statt Geschenkpapier und Flämmi mit Mamas Fahrradflickzeug reparieren statt wegwerfen.
Gianna Formicone und Regieassistentin Romina Dreyer ist unter der künstlerischen Leitung von Susanne Reng eine erstaunliche Inszenierung gelungen: Eine drängende Problematik aus der Politik- und Wirtschaftsebene auf die kindliche Erfahrungswelt übertragen und in ästhetische Theater- und Klangbilder gefasst, mit knallharten Infos und Ansagen und dennoch viel Spaß. Moralinsüß wie ein köstlicher und doch gesunder Geburtstagsschmaus.
Guten Anteil daran haben Bühne und Kostüme von Franziska Boos: Geschwungene und schillernd angeleuchtete Plastikplanen etwa sehen poetisch schön aus, lassen die Fantasie sofort mit Lilu abtauchen und stellen ganz schlicht nichts anderes als sich selbst, also fatalen Meeresmüll, dar. Lilijan Waworka sorgt nicht nur für eine tolle Klangkulisse und witzig-lehrreiche Songs, er ist auch als zweiter Bühnen-Akteur ein mehr als sehenswerter Spielpartner für Lötschert, die gerade dann besonders gut ist, wenn sie zu Waworkas Musik tanzt oder etwa den Kunststoffarten-Song trällert. Ihre exaltierte und manchmal schrille Spielweise lässt fragen, ob das Stück nicht auch und vielleicht sogar besser für noch jüngeres Publikum taugen würde, aber umsetzen können die Botschaft doch erst Siebenjährige aufwärts und vielleicht macht es gerade die Mischung aus überbordender Infantilität und hohem Anspruch an umweltwissenschaftlichen Inhalt.
Lilu steht das Wasser auf dem Theaterplakat bis zu den Knien. Erwachsene wissen, dass der KlimaPegel schon weit höher liegt. Aber diese pädagogisch außerordentlich wertvolle Inszenierung lehrt, dass der Nachwuchs (mit seinen Erziehungsberechtigten) schon vor dem Fridays for Future-Alter etwas dafür tun kann, dass es uns demnächst nicht allen bis zum Halse steht. Nächste Aufführung in der Kresslesmühle am 14. November um 15 Uhr, für Schulen ist das Stück mobil buchbar unter www.jt-augsburg.de.