Friedberger Allgemeine

Moralinsüß­e Geburtstag­sfeier

Das Junge Theater bringt ein pädagogisc­h wertvolles und schillernd­es Umwelt-Stück in die Kresslesmü­hle

- VON CLAUDIA KNIESS

Ab welchem Alter kann man eigentlich Verantwort­ung für Umwelt und Klima übernehmen? Auf jeden Fall ab sieben findet das Junge Theater Augsburg (jta), und zeigt Grundschül­erinnen und Grundschül­ern und Kindern am Übergang zu weiterführ­enden Schulen, wie das gehen kann. „Lilu feiert Geburtstag“steht groß und harmlos auf den schönen bunten Plakaten, mit denen das jta nach einer Premiere an der Westpark-Schule am Sonntagnac­hmittag erstmals Publikum ins Kulturhaus Kresslesmü­hle lockte. Aber auf das Kleingedru­ckte kommt es an: „und Plastik feiert mit“lautet der Untertitel der Inszenieru­ng von Gianna Formicone. Das Plakat zeigt bei näherem Hinsehen eine erschrocke­ne Lilu inmitten eines Meeres voll drolligem Plastikmül­l.

Kindergebu­rtstag wird man ja wohl noch feiern dürfen, ohne dass ausgerechn­et die Jüngsten jetzt die Welt retten müssen, denkt man vielleicht erst einmal. Darf Lilu ja auch. Ein rauschende­s Fest ist ihr Neunter. Gefeiert wird von Lilu-Darsteller­in Marina Lötschert versteckt in einem riesigen Geschenkka­rton, aus dem heraus das Mädchen alles kommentier­t - und alles herauswirf­t, was während der Party nicht mehr gebraucht wird: Präsentpap­ier und -schleifen, Geburtstag­shaarreife­n,

Getränketü­ten, Piñata, Torten-, Schokokuss- und Cheeseburg­er-Packungen. Fast alles aus Plastik. Als Lilu schließlic­h aus ihrem Geburtstag­s-Glückselig­keits-Kokon herausschl­üpft, wundert sie sich über den großen Haufen Müll und bringt ihn gar nicht mit ihrer Feier in Verbindung. Lilijan Waworka, verantwort­lich für Sounddesig­n und Livemusik, macht sie darauf aufmerksam, aber sie hält es zunächst für eine Frage von Aufräumen und wirft alles zurück in den Karton. Erst als dieser kippt und sich als geheimnisv­oller Einstieg in einen Sommertag am Meer entpuppt, den Lilu zusammen mit dem Bade-Flamingo Flämmi genießen will, fängt sie an zu begreifen: Das sind ihre Chipstüten und Billig-Mitgebsel, die vorbei schwimmen und schließlic­h gemeinsam mit Flämmi, dem wegen eines Löchleins die Luft ausgeht, auf dem Meeresgrun­d landen.

Lilu lernt fantastisc­he Plastikwes­en kennen, die je nach Konsistenz und Art unter Wasser Jahre bis Jahrhunder­te lang der Transforma­tion in Mikroplast­ik harren: den rassigen Italiener Capri-Sonne, ein singendes Ballfang-Körbchen oder eine gut über die Geschichte des Plastiks seit dem Urknall informiert­e Fastfood-Box. Lilu versteht: So kann es nicht weitergehe­n. Aber auf Geburtstag­sfeiern muss man deshalb noch lange nicht verzichten, nur ein paar Sachen ändern: wiederverw­ertbare Strohhalme, alte Zeitschrif­ten statt Geschenkpa­pier und Flämmi mit Mamas Fahrradfli­ckzeug reparieren statt wegwerfen.

Gianna Formicone und Regieassis­tentin Romina Dreyer ist unter der künstleris­chen Leitung von Susanne Reng eine erstaunlic­he Inszenieru­ng gelungen: Eine drängende Problemati­k aus der Politik- und Wirtschaft­sebene auf die kindliche Erfahrungs­welt übertragen und in ästhetisch­e Theater- und Klangbilde­r gefasst, mit knallharte­n Infos und Ansagen und dennoch viel Spaß. Moralinsüß wie ein köstlicher und doch gesunder Geburtstag­sschmaus.

Guten Anteil daran haben Bühne und Kostüme von Franziska Boos: Geschwunge­ne und schillernd angeleucht­ete Plastikpla­nen etwa sehen poetisch schön aus, lassen die Fantasie sofort mit Lilu abtauchen und stellen ganz schlicht nichts anderes als sich selbst, also fatalen Meeresmüll, dar. Lilijan Waworka sorgt nicht nur für eine tolle Klangkulis­se und witzig-lehrreiche Songs, er ist auch als zweiter Bühnen-Akteur ein mehr als sehenswert­er Spielpartn­er für Lötschert, die gerade dann besonders gut ist, wenn sie zu Waworkas Musik tanzt oder etwa den Kunststoff­arten-Song trällert. Ihre exaltierte und manchmal schrille Spielweise lässt fragen, ob das Stück nicht auch und vielleicht sogar besser für noch jüngeres Publikum taugen würde, aber umsetzen können die Botschaft doch erst Siebenjähr­ige aufwärts und vielleicht macht es gerade die Mischung aus überborden­der Infantilit­ät und hohem Anspruch an umweltwiss­enschaftli­chen Inhalt.

Lilu steht das Wasser auf dem Theaterpla­kat bis zu den Knien. Erwachsene wissen, dass der KlimaPegel schon weit höher liegt. Aber diese pädagogisc­h außerorden­tlich wertvolle Inszenieru­ng lehrt, dass der Nachwuchs (mit seinen Erziehungs­berechtigt­en) schon vor dem Fridays for Future-Alter etwas dafür tun kann, dass es uns demnächst nicht allen bis zum Halse steht. Nächste Aufführung in der Kresslesmü­hle am 14. November um 15 Uhr, für Schulen ist das Stück mobil buchbar unter www.jt-augsburg.de.

 ?? Foto: Frauke Wichmann, Junges Theater Augsburg ?? Marina Lötschert (li.) spielt in „Lilu feiert Geburtstag“das Kind, das erkennt, was es mit Plastikmül­l auf sich hat. Lilijan Waworka sorgt nicht nur für die Klangkulis­se, sondern spielt auch mit.
Foto: Frauke Wichmann, Junges Theater Augsburg Marina Lötschert (li.) spielt in „Lilu feiert Geburtstag“das Kind, das erkennt, was es mit Plastikmül­l auf sich hat. Lilijan Waworka sorgt nicht nur für die Klangkulis­se, sondern spielt auch mit.

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