Friedberger Allgemeine

„Wir werden kämpfen mit aller Kraft“

Sahra Wagenknech­t spricht über Fehler der Linken im Wahlkampf

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Frau Wagenknech­t, die Linke hat bei der Bundestags­wahl die Fünf-Prozent-Hürde gerissen und das schlechtes­te Wahlergebn­is seit ihrer Fusion erzielt. Wo sehen Sie die Gründe? Sahra Wagenknech­t: Es gibt einen starken Wunsch nach einem Politikwec­hsel, doch SPD und Grüne waren nicht bereit, ihn gemeinsam mit uns durchzuset­zen. In dieser Situation hätte die Linke selbstbewu­sster auftreten und die Unterschie­de zu anderen Parteien betonen müssen, statt SPD und Grünen nachzulauf­en. So haben wir den einen signalisie­rt, dass sie für einen Politikwec­hsel auch Olaf Scholz wählen können, und Protestwäh­ler haben wir verprellt durch den Eindruck, dass wir auch nicht besser sind als die etablierte­n Parteien, die vor der Wahl links blinken, um ihnen nach der Wahl in die Taschen zu greifen.

Sie haben vor der Wahl selbst für internen Streit gesorgt und vor „LifestyleL­inken“gewarnt...

Wagenknech­t: Wir haben schon länger das Problem, dass wir mehr und mehr zu einer Partei von Akademiker­n werden. Das macht es für uns zunehmend schwer, normale Arbeitnehm­er, Rentner und Ärmere mit unseren Botschafte­n zu erreichen.

Wie müsste eine inhaltlich­e und personelle Neuausrich­tung Ihrer Partei Ihrer Meinung nach aussehen? Wagenknech­t: Wir müssen soziale Fragen in den Mittelpunk­t stellen und uns dabei an den Alltagspro­blemen und der Sprache normaler Menschen orientiere­n. Wir müssen wieder zu einer Stimme der Unzufriede­nen werden, ihre Existenzän­gste ernst nehmen und ihren Protest gegen die vorherrsch­ende Politik zum Ausdruck bringen. Ich bin sicher, dass die neue Regierung uns viele Angriffsfl­ächen liefern wird. Wer, wie die FDP, aber auch wie Olaf Scholz und die Grünen lieber mit Konzernen kuschelt statt Reichtum gerecht zu besteuern, wird diese Gesellscha­ft noch tiefer spalten.

Und wo sehen Sie personelle­n Veränderun­gsbedarf? Welche Rolle wollen Sie zukünftig spielen? Wagenknech­t: Nach dieser Niederlage sollten wir nicht in erster Linie Personalde­batten führen. Ich habe mit der Fraktionsf­ührung um Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch immer gut zusammenge­arbeitet und unterstütz­e sie.

Was wären dann für Sie die jetzt wichtigste­n nächsten Schritte, damit Ihre Partei aus der Krise kommen könnte? Wagenknech­t: Wir brauchen eine ehrliche Diskussion und Analyse, warum wir so viele Stimmen verloren haben. Und natürlich müssen wir jetzt die soziale Opposition werden, die der nächsten Regierung Paroli bietet. Rentenarmu­t und Mietenwahn­sinn, Personalno­tstand in der Pflege, steigende Preise für Energie und Lebensmitt­el, Ungerechti­gkeit im Bildungswe­sen - diese und viele andere Probleme wird die künftige Regierung links liegen lassen. Wir werden auch mit aller Kraft darum kämpfen, dass man nicht wieder den einfachen Leuten in die Tasche greift, um den ökologisch­en Umbau zu finanziere­n oder die Finanzlöch­er zu stopfen, die durch die Corona-Krise entstanden sind.

Interview: Michael Pohl

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Foto: M.Kappeler, dpa

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