Die einzigen Überlebenden
Die Staats- und Stadtbibliothek verfügt über Schätze der frühen Druckerkunst. Manche Exemplare findet man nur hier in Augsburg. Vom Schicksal sehr alter Bücher
Bücher haben ihr Schicksal. Und je älter sie werden, desto ungewisser ist ihre Zukunft. „Sole Survivors“– einzige Überlebende heißt die neue Ausstellung der Staats- und Stadtbibliothek (Schaezlerstraße 25). Sie stöbert wieder einmal in ihrer Schatzkammer und holt, zum Teil erstmals, ganz frühe Wiegendrucke, Inkunabeln genannt, aus dem Bestand hervor, die weltweit äußerst rar, zuweilen auch einzigartig sind.
Es sind oft keine Prachtbände, die den Titel beanspruchen dürfen: Ein Almanach fürs Jahr, ein Wandkalender, ein Horoskop, ein Ablassbrief gehören dazu – eben Gebrauchsdrucke. Auch mal ein Schulbuch, denn wer wollte die zerschlissenen Exemplare nach 50, 60 Jahren noch aufheben? Die besten Chancen zum Überleben hatte noch ein auf Pergament gedrucktes Buch, dessen Blätter man einzeln für neue Buchumschläge verwenden konnte. Bibliothekar Wolfgang Mayer hat an einem anderen Band erst 2017 ein prächtig illuminiertes Fragment einer noch unbekannten GutenbergBibel entdeckt. In anderen Buchrücken haben sich einige Streifen der lateinischen Elementargrammatik von Aelius Donatus in der Drucktype der 36-zeiligen Gutenberg-Bibel (um 1461/63) erhalten. Nur als Abpausung eines Bibliothekars existiert ein historischer Heiltumszettel für Ulrichserde („Da selben mag kain Ratz wohnung gehaben“), der um 1475 in Augsburg für die Abtei St. Ulrich und Afra gedruckt wurde.
Selbstverständlich glänzt die Bibliothek auch mit prächtig illuminierten Stücken, die schon wegen ihrer Buchmalerei einzigartig sind. Etwa die deutsche Bibel des Augsburger Druckers Anton Sorg von 1480 mit einem nackten Jesusknaben auf Goldgrund – das auch als Titel des umfangreichen Kataloges dient – und einer Widmungsminiatur der Äbtissin Barbara Küniglin an die Muttergottes. Oder die von Anton Koberger in Nürnberg gedruckte deutsche Bibel von 1483, deren Holzschnitte Stadtpfleger Conrad Peutinger für seine Ehefrau in Augsburg komplett und überreich mit Farben und Gold ausmalen ließ.
Dies berührt schon die dritte Abteilung der weltweit einzig vollständigen Exemplare, die Augsburg aufbewahrt. Etwa „Das Narrenschiff“von Sebastian Brant in Johann Schönspergers Druck von 1494. Die Satire menschlichen Fehlverhaltens in 112 Kapiteln war auf Anhieb ein Bestseller. In sechs Jahren erschienen zwölf deutsche Ausgaben. Gleich 1494 hatte der Nürnberger Peter Wagner eine handlichere Ausgabe mit 114 einfacheren Holzschnitten aufgelegt, die Schönsperger nachdruckte. Nur ein Buch davon erhielt sich komplett von der ersten bis zur letzten Seite.
Ein interessantes Zwischenstadium zeigt die Erstausgabe des medizinischen Handbuchs „Von den ausgebrannten Wassern“des Wiener Arztes Michael Puff von Schrick, die 1476 Johann Bämler zu Augsburg druckte. Schnell nachgeschoben wurde hier der Brandwein-Traktat, während der später immer dazu gedruckte Traktat über Kranawitter (Wacholder) und die Tabellen, welche Wässer bei welchen Körperteilen anzuwenden seien, noch fehlen.
Das einst teuerste Buch der Welt, für das 300000 Goldmark geboten wurden, hat sich auch in der Augsburger Sammlung versteckt. Erst 1959 wurde das „Missale Speciale“hier aufgefunden. Es handelt sich um die Kurzfassung des Messbuchs für Filialkirchen. Etwa 1473 wurde es wahrscheinlich in Basel gedruckt. Es ist heute in einigen Einzelblättern, in drei annähernd und dem einzig vollständigen Augsburger Exemplar erhalten. Im Vergleich mit dem Münchner ließen sich Korrekturen am Satz noch während des Druckes nachweisen.
Über ein Jahr lang hat sich Bibliothekar Wolfgang Mayer hineingekniet, seine Augsburger Inkunabeln noch gründlicher zu erforschen. Im Lauf der letzten beiden Jahrzehnte hat er mindestens 15 neue Objekte gefunden, weil sie etwa in einem Sammelband eingebunden waren oder endlich identifiziert wurden. Wenn er durch die Ausstellung führt, sprudelt er vor Wissen über jedes Exponat – etwa die Anleitung, an 28 Fingergliedern der Innen- und Außenseite der linken Hand die Wochentage eines ganzes Jahre zu bestimmen. Oder die spanische Pferdeheilkunde, worin die einzelnen Körperteile des Pferdes den Tierkreiszeichen zugeordnet sind.
„In dieser Zusammenstellung werden unsere unikalen Inkunabeln wirklich zum allerersten Mal gezeigt“, betont Mayer. Unterstützt wurde die Augsburger Staats- und Stadtbibliothek, die hier in erster Reihe steht, von Kollegen der Berliner Staatsbibliothek, die das Gesamtverzeichnis deutscher Wiegendrucke betreuen. Die Wissenschaft haben sie allemal weitergebracht. Bibliotheksdirektor Karl-Georg Pfändtner vermeldet stolz, dass zuallererst die Library of Congress in Washington den zweisprachigen Katalog angefordert hat. Damit rechtfertigt sich auch der englische Titel des gesamten Projekts. „Wir bedienen ein internationales Publikum“, weiß Pfändtner.
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Laufzeit bis 23. Dezember; geöffnet Montag bis Freitag 11 – 16 Uhr, Eintritt frei. Der Katalog (256 Seiten, Konrad Verlag Weißenhorn) kostet 34,95 Euro. Führungen: Tel. 08 21/710 1327 38.
Das einst teuerste Buch der Welt wurde 1959 gefunden