„Meine Frau hat mich kaputtgemacht“
Häusliche Gewalt trifft in erster Linie Frauen – aber nicht nur. Jedes fünfte Opfer ist ein Mann. Ein Betroffener erzählt, warum die Schläge der Ehefrau für ihn nicht das größte Problem waren und wo er schließlich Hilfe fand
Augsburg In der Nacht haben sie wieder gestritten. Der Streit eskalierte, seine Frau bedrohte ihn mit einer Schere, zerschnitt seine Jacke und seine Schuhe. Ben floh durch das Toilettenfenster. „Ich habe ihr nicht gesagt, wohin ich gehe“, sagt er. „Nur, dass ich nie wieder nach Hause komme.“
Als Ben jetzt im Büro des Projekts „Adami“in der Augsburger Innenstadt sitzt, kommen ihm immer wieder Tränen. Er lebte drei Jahre lang in einer gewalttätigen Beziehung in Düsseldorf. Die Schläge habe er aushalten können. Doch die verbale Gewalt hat tiefe Spuren hinterlassen. „Meine Frau hat mich kaputtgemacht“, sagt er. Flüchten konnte der gebürtige Algerier erst mit einer sicheren Anlaufstelle: die Männerschutzwohnung in Augsburg.
Bei Opfern häuslicher Gewalt denkt man zuallererst an Frauen. Und Männer, die ihre körperliche Überlegenheit nutzen, ihre Partnerinnen bedrohen, verprügeln und oft schwer verletzen. Nicht ohne Grund, Frauen sind sehr viel stärker von häuslicher Gewalt betroffen. Doch auch Partnerinnen können Täterinnen sein. Die Formen der
Gewalt unterscheiden sich dann – und der Umgang damit.
Der 2020 veröffentlichten Kriminalstatistik der Polizei zufolge wurden 2019 bundesweit rund 26900 Männer Opfer von häuslicher Gewalt, also in etwa 20 Prozent aller Fälle. Die Tendenz ist steigend. Das beobachten auch Beraterinnen und Berater des bundesweiten Männerhilfetelefons. Einige von ihnen sind bei „Via – Anlaufstelle für Wege aus der Gewalt“in Augsburg tätig, das mit „Adami“zusammenarbeitet.
Das Hilfetelefon gibt es seit rund eineinhalb Jahren, zuvor hat es spezifische Angebote für Männer nicht gegeben. Fast 2000 Männer meldeten sich in den ersten zwölf Monaten. Wie Paul Schenk von „Via“beschreibt, reagierten viele Männer erleichtert auf das Angebot. „Für viele ist es schwierig, über ihre Erfahrungen zu sprechen, gerade als Mann. Sie brauchen oft Bestätigung, dass das Gewalt war, was ihnen widerfahren ist.“
In Bayern gibt es seit Dezember 2019 zwei Männerschutzwohnungen, eine in Nürnberg mit drei Plätzen und in Augsburg mit vier. Sie sind Teil des Programms „Bayern gegen Gewalt“, das das bayerische Ministerium für Familie, Arbeit und
Soziales finanziert. Für manche Männer sind die Wohnungen der einzige Ausweg, sie werden dringend gebraucht.
Ben lernte seine zehn Jahre ältere Ehefrau über Facebook kennen, sie verstanden sich gut, er zog nach Düsseldorf, sie heirateten. Von da an ging es bergab. Gerade Menschen mit Migrationshintergrund sind in einer verletzlichen Situation. Ben war ohne Familie und Freunde, Sprachkenntnisse und eigenes Geld vollkommen abhängig von seiner Frau. Doch häusliche Gewalt zieht sich durch Familien jeder Herkunft und jeder Schicht.
Niklas Mülstroh arbeitet seit Beginn des Projekts bei „Adami“. Er hat viele Männer begleitet, sich ihre Geschichten angehört. Was ihn am meisten erschüttert, ist nicht in erster Linie die Gewalt, die Frauen ihren Partnern antun. „Da werden sie jeden Tag unter Druck gesetzt, geschlagen, bespuckt, runtergemacht.“Er schüttelt den Kopf. „Und das alles halten sie aus. Teilweise über Jahrzehnte. Ich frage mich das so oft: Wie stehen sie das durch?“.
Nach wie vor ist das Thema tabuisiert, die Scham unter Betroffenen ist groß. Über Gewalt gegen Männer gibt es kaum Forschungen und nur eine einzige größer angelegte Studie aus dem Jahr 2004. Die männerspezifischen Hilfsangebote von „Adami“und „Via“werden wissenschaftlich begleitet, was die Forschung in dem Bereich voranbringt. Zudem gewinnt das Thema immer mehr an Aufmerksamkeit. Birgit Gaile, Fachbereichsleitung bei „Via“, sagt: „Es reicht noch nicht. Wir brauchen deutschlandweit mehr Angebote. Viele Männer wissen nicht, dass es für sie ein Hilfesystem gibt.“
In Bens Beziehung stieg der Druck jeden Tag. Seine Frau kontrollierte sein Handy, sein Konto, alle Briefe, die für ihn ankamen. Er durfte nur zu Deutschkursen, wenn sie es erlaubte. „Sie dachte, ich wollte besser Deutsch lernen, um eine andere Frau zu finden“, sagt Ben. Manchmal verschloss sie Fenster und Türen und sperrte ihn ein. An anderen Tagen warf sie seine Kleidung auf die Straße und ließ ihn nicht ins Haus. „Dann war ich einige Tage ohne Dach über dem Kopf und musste auf der Straße schlafen, bis ich freiwillig zurückgekommen bin.“Zunehmend griff ihn seine Partnerin auch körperlich an, schlug ihn mit Kleiderbügeln oder den Fäusten. Das erwähnt er jedoch nur am Rande, schnaubt bei Nachfragen. „Das war nichts, ich bin kräftig. Schlimmer war das Psychotheater.“Achtmal hätten die Nachbarn wegen lauter Auseinandersetzungen die Polizei gerufen. „Sie kamen und haben nichts getan“, sagt Ben mit einem bitteren Unterton. Seine Frau hätte sich vor den Beamten öfters daneben verhalten, einmal musste sie sogar ein Bußgeld wegen Beleidigung zahlen. „Aber wenn ich um Hilfe gebeten habe, haben sie mir gesagt, sie können nichts tun.“
Die Ausländerbehörde vermittelt Ben schließlich einen Kontakt zum Männerhaus. Als er über seinen Alltag dort spricht, entspannt er sich sichtlich. „Niemand schreibt mir hier etwas vor, ich kann rausgehen, wann ich will.“Er ist auf der Suche nach einer Arbeit, will sich ehrenamtlich engagieren. Seine Frau habe die Scheidung eingereicht, darüber ist er froh. Das Geschehene wird ihn jedoch noch lange beschäftigen. „Es ist schwer, als Mann ein Opfer zu sein.“
Viele Männer wissen nicht, dass es Hilfe für sie gibt