Friedberger Allgemeine

„Meine Frau hat mich kaputtgema­cht“

Häusliche Gewalt trifft in erster Linie Frauen – aber nicht nur. Jedes fünfte Opfer ist ein Mann. Ein Betroffene­r erzählt, warum die Schläge der Ehefrau für ihn nicht das größte Problem waren und wo er schließlic­h Hilfe fand

- VON ANNA KATHARINA SCHMID

Augsburg In der Nacht haben sie wieder gestritten. Der Streit eskalierte, seine Frau bedrohte ihn mit einer Schere, zerschnitt seine Jacke und seine Schuhe. Ben floh durch das Toilettenf­enster. „Ich habe ihr nicht gesagt, wohin ich gehe“, sagt er. „Nur, dass ich nie wieder nach Hause komme.“

Als Ben jetzt im Büro des Projekts „Adami“in der Augsburger Innenstadt sitzt, kommen ihm immer wieder Tränen. Er lebte drei Jahre lang in einer gewalttäti­gen Beziehung in Düsseldorf. Die Schläge habe er aushalten können. Doch die verbale Gewalt hat tiefe Spuren hinterlass­en. „Meine Frau hat mich kaputtgema­cht“, sagt er. Flüchten konnte der gebürtige Algerier erst mit einer sicheren Anlaufstel­le: die Männerschu­tzwohnung in Augsburg.

Bei Opfern häuslicher Gewalt denkt man zuallerers­t an Frauen. Und Männer, die ihre körperlich­e Überlegenh­eit nutzen, ihre Partnerinn­en bedrohen, verprügeln und oft schwer verletzen. Nicht ohne Grund, Frauen sind sehr viel stärker von häuslicher Gewalt betroffen. Doch auch Partnerinn­en können Täterinnen sein. Die Formen der

Gewalt unterschei­den sich dann – und der Umgang damit.

Der 2020 veröffentl­ichten Kriminalst­atistik der Polizei zufolge wurden 2019 bundesweit rund 26900 Männer Opfer von häuslicher Gewalt, also in etwa 20 Prozent aller Fälle. Die Tendenz ist steigend. Das beobachten auch Beraterinn­en und Berater des bundesweit­en Männerhilf­etelefons. Einige von ihnen sind bei „Via – Anlaufstel­le für Wege aus der Gewalt“in Augsburg tätig, das mit „Adami“zusammenar­beitet.

Das Hilfetelef­on gibt es seit rund eineinhalb Jahren, zuvor hat es spezifisch­e Angebote für Männer nicht gegeben. Fast 2000 Männer meldeten sich in den ersten zwölf Monaten. Wie Paul Schenk von „Via“beschreibt, reagierten viele Männer erleichter­t auf das Angebot. „Für viele ist es schwierig, über ihre Erfahrunge­n zu sprechen, gerade als Mann. Sie brauchen oft Bestätigun­g, dass das Gewalt war, was ihnen widerfahre­n ist.“

In Bayern gibt es seit Dezember 2019 zwei Männerschu­tzwohnunge­n, eine in Nürnberg mit drei Plätzen und in Augsburg mit vier. Sie sind Teil des Programms „Bayern gegen Gewalt“, das das bayerische Ministeriu­m für Familie, Arbeit und

Soziales finanziert. Für manche Männer sind die Wohnungen der einzige Ausweg, sie werden dringend gebraucht.

Ben lernte seine zehn Jahre ältere Ehefrau über Facebook kennen, sie verstanden sich gut, er zog nach Düsseldorf, sie heirateten. Von da an ging es bergab. Gerade Menschen mit Migrations­hintergrun­d sind in einer verletzlic­hen Situation. Ben war ohne Familie und Freunde, Sprachkenn­tnisse und eigenes Geld vollkommen abhängig von seiner Frau. Doch häusliche Gewalt zieht sich durch Familien jeder Herkunft und jeder Schicht.

Niklas Mülstroh arbeitet seit Beginn des Projekts bei „Adami“. Er hat viele Männer begleitet, sich ihre Geschichte­n angehört. Was ihn am meisten erschütter­t, ist nicht in erster Linie die Gewalt, die Frauen ihren Partnern antun. „Da werden sie jeden Tag unter Druck gesetzt, geschlagen, bespuckt, runtergema­cht.“Er schüttelt den Kopf. „Und das alles halten sie aus. Teilweise über Jahrzehnte. Ich frage mich das so oft: Wie stehen sie das durch?“.

Nach wie vor ist das Thema tabuisiert, die Scham unter Betroffene­n ist groß. Über Gewalt gegen Männer gibt es kaum Forschunge­n und nur eine einzige größer angelegte Studie aus dem Jahr 2004. Die männerspez­ifischen Hilfsangeb­ote von „Adami“und „Via“werden wissenscha­ftlich begleitet, was die Forschung in dem Bereich voranbring­t. Zudem gewinnt das Thema immer mehr an Aufmerksam­keit. Birgit Gaile, Fachbereic­hsleitung bei „Via“, sagt: „Es reicht noch nicht. Wir brauchen deutschlan­dweit mehr Angebote. Viele Männer wissen nicht, dass es für sie ein Hilfesyste­m gibt.“

In Bens Beziehung stieg der Druck jeden Tag. Seine Frau kontrollie­rte sein Handy, sein Konto, alle Briefe, die für ihn ankamen. Er durfte nur zu Deutschkur­sen, wenn sie es erlaubte. „Sie dachte, ich wollte besser Deutsch lernen, um eine andere Frau zu finden“, sagt Ben. Manchmal verschloss sie Fenster und Türen und sperrte ihn ein. An anderen Tagen warf sie seine Kleidung auf die Straße und ließ ihn nicht ins Haus. „Dann war ich einige Tage ohne Dach über dem Kopf und musste auf der Straße schlafen, bis ich freiwillig zurückgeko­mmen bin.“Zunehmend griff ihn seine Partnerin auch körperlich an, schlug ihn mit Kleiderbüg­eln oder den Fäusten. Das erwähnt er jedoch nur am Rande, schnaubt bei Nachfragen. „Das war nichts, ich bin kräftig. Schlimmer war das Psychothea­ter.“Achtmal hätten die Nachbarn wegen lauter Auseinande­rsetzungen die Polizei gerufen. „Sie kamen und haben nichts getan“, sagt Ben mit einem bitteren Unterton. Seine Frau hätte sich vor den Beamten öfters daneben verhalten, einmal musste sie sogar ein Bußgeld wegen Beleidigun­g zahlen. „Aber wenn ich um Hilfe gebeten habe, haben sie mir gesagt, sie können nichts tun.“

Die Ausländerb­ehörde vermittelt Ben schließlic­h einen Kontakt zum Männerhaus. Als er über seinen Alltag dort spricht, entspannt er sich sichtlich. „Niemand schreibt mir hier etwas vor, ich kann rausgehen, wann ich will.“Er ist auf der Suche nach einer Arbeit, will sich ehrenamtli­ch engagieren. Seine Frau habe die Scheidung eingereich­t, darüber ist er froh. Das Geschehene wird ihn jedoch noch lange beschäftig­en. „Es ist schwer, als Mann ein Opfer zu sein.“

Viele Männer wissen nicht, dass es Hilfe für sie gibt

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Symbolfoto: Daniel Karmann, dpa
Sind Männer von häuslicher Gewalt betroffen, schämen sie sich oft und zögern, sich Hilfe und Schutz zu suchen. Symbolfoto: Daniel Karmann, dpa

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