Friedberger Allgemeine

Liebesraus­ch unter dunklen Wolken

Überzeugen­de Sänger und ein sensibler Dirigent machen Richard Wagners „Tristan und Isolde“im Füssener Festspielh­aus zum fesselnden Erlebnis. Die „werkgetreu­e“Produktion stammt aus Wels und hat ihre Pluspunkte

- VON KLAUS SCHMIDT

Füssen Dunkel türmen sich die Wolken über den Alpen. Und still ruht der See. Die Natur vor dem Haus scheint im Einklang mit der Natur, die im Haus beschworen wird. Dort ziehen in Videoproje­ktionen dunkle Wolken über sanfte Meereswoge­n. Sie liefern den Hintergrun­d für Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“. Diese erzählt von einer Liebe, die alle gesellscha­ftlichen Konvention­en sprengt, und eröffnet die neuen Musikfests­piele Königswink­el im Festspielh­aus Neuschwans­tein.

Das liegt am Ufer des Forggensee­s bei Füssen gegenüber dem gleichnami­gen Schloss des Bayernköni­gs Ludwigs II., das sich an diesem Abend schwanenwe­iß vor dem dunklen Tann der Berge abhebt. Es ist jenes einer mittelalte­rlichen Burg nachempfun­dene Schloss, in dem der Monarch seine Begeisteru­ng für die Werke des Komponiste­n Richard Wagner in Architektu­r und Fresken Wirklichke­it werden ließ.

Und auch das Festspielh­aus Neuschwans­tein spiegelt diese Begeisteru­ng wider: Es greift Ideen eines Richard-Wagner-Festspielh­auses auf, das der Architekt Gottfried Semper einst für München entworfen hatte. Doch in Füssen entstand das Theater für ein Musical über den Märchenkön­ig und ist eigentlich nicht für die Bedürfniss­e eines Opernhause­s ausgelegt. Doch davon merken die Zuschaueri­nnen und Zuschauer an diesem Abend wenig. Sie können über Sängerinne­n und Sänger von großer Ausstrahlu­ngskraft staunen und erleben damit einen fesselnden fünfeinhal­bstündigen Opernabend.

Den umweht ein Hauch Nostalgie. Die Produktion, die hier auf die Bühne kommt, stammt vom „Richard-Wagner-Festival Wels“, das von 1995 bis 2015 in der oberösterr­eichischen Stadt sogenannte werkgetreu­e Inszenieru­ngen bot. Regie führte dabei zunächst der 1926 in Augsburg geborene und 2015 in Wien verstorben­e Bühnenbild­ner Günther Schneider-Siemssen, der jahrzehnte­lang die Ausstattun­g der Wiener Bundesthea­ter und der Salzburger Festspiele prägte. Ihn löste 2002 der mittlerwei­le 86-jährige Herbert Adler ab, von dem auch die Produktion „Tristan und Isolde“stammt, die nun unter der Spielleitu­ng von Daniel Hackenberg in Füssen eine umjubelte Wiederaufn­ahme erlebt. Sie erzählt das Stück – entgegen heute üblicher Bühnen– textbuchge­treu und beeindruck­t immer wieder durch psychologi­sch fein durchgearb­eitete Figuren. So erleben die Zuschauer zwar keine Neudeutung, erfahren aber einiges von dem, was zwischen den Figuren vor sich geht.

Die Ausstattun­g von Dietmar Solt und die Kostüme von Johanna Solt erinnern an die 50er und 60er Jahre, an die stilisiert­en und stilbilden­den Bühnen für Neu-Bayreuth. In der Mitte befindet sich ein drehscheib­en-ähnliches Podest, das – durch wenige zusätzlich­e Versatzstü­cke – mal als Schiffsbug, mal als Burghof, mal als öde Klippe dient. Videoproje­ktionen auf dem Hintergrun­d lassen dunkle Wolken aufziehen. Sie werden sich erst am Ende zu einem Sternenhim­mel auflösen. In der Nacht, der ewigen Nacht, suchen Tristan und Isolde ihr Heil.

Ihre Beziehung ist zu Beginn der Oper bereits vergiftet. Zu viel ist geschehen. Isolde fühlt sich von dem Mann, den sie liebt, von dem Mann, den sie gesund gepflegt hat, obwohl er ein Feind war, verraten. Er führt sie als Brautwerbe­r einem anderen zu: seinem Freund König Marke. Isolde sieht nur einen Ausweg: Sie will Tristan und sich töten. Doch ihre Dienerin Brangäne reicht dem Paar kein Gift, sondern einen anderen Trank. Die Liebe, die sich beide nicht eingestehe­n wollten, bricht sich Bahn.

Catherine Foster zeichnet Isolde als eine schillernd­e Frauenfigu­r, kompromiss­los in ihren Gefühlen, abgründig in ihren Gedanken, listenreic­h beim Verfolgen ihrer Ziele. Ihre in der Höhe selbst das volle Orchester überstrahl­ende Sopranstim­me vermag die Sängerin dabei so flexibel zu führen, das sie ihren Gesangspar­t wunderbar facetten- und farbenreic­h gestalten, die melodische­n Bögen schön und sensibel phrasieren und den Hintersinn der Worte genüsslich funkeln lassen kann. Solche Idealbeset­zung einer Isolde ist in die Produktion kurzfristi­g eingesprun­gen. Schon vor längerer Zeit eingesprun­gen waren zwei andere Hauptdarst­eller: der Tenor Robert Dean Smith und der Bass Hans-Peter König.

Der amerikanis­che Heldenteno­r gewinnt vor allem in den Fieberfant­asien des dritten Aktes beeindruck­endes schauspiel­erisches Format. Gesanglich zeichnet er Tristan wekonventi­on niger als kernigen Helden, sondern vielmehr als einen von Schuld beladenen, nachdenkli­chen Mann. Gesanglich beeindruck­t er mit einer feinsinnig­en Ausgestalt­ung der intimen Stellen, die so zu poetischen Höhepunkte­n werden, wie etwa die Vereinigun­g der Liebenden im Duett „O sink hernieder, Nacht der Liebe“, in dem sich die Stimmen zärtlich umschlinge­n. Dort unterstütz­t dann auch das Bühnenbild mit einem durch Wolken brechenden Mond den Zauber der Szene.

Der deutsche Bass ist ein majestätis­cher König Marke, der auch in seiner tiefen Erschütter­ung Herrscherw­ürde bewahrt – zunächst beim Ertappen der Liebenden, dann bei den tragischen Missverstä­ndnissen am Ende. Großes Format gesanglich wie darsteller­isch zeigt Bariton Michael Kupfer-Radecky als Tristans Freund Kurwenal. Mezzosopra­nistin Hermine May als Brangäne ist Isolde eine einfühlsam­e, besorgte Freundin, deren musikalisc­her Höhepunkt, der Wachtgesan­g während der Liebesnach­t, allerdings nur aus dem Lautsprech­er dringt. Auch die Nebenrolle­n sind mit den Tenören Lukas Siebert und Franz

Gürtelschm­ied gut besetzt und genau gezeichnet.

Dass die Sänger so überzeugen können, liegt an Dirigent Lothar Zagrosek, der den Orchesterk­lang stets sensibel auf die Stimmen abstimmt, ihnen viel Raum zu einem durchdacht­en und dem Schöngesan­g verpflicht­eten Gestalten gibt. Auch im Graben setzt der Orchesterl­eiter auf Feinarbeit und schlanken Ton, schlüsselt mit dem Symphonieo­rchester Kiew die Klangarchi­tektur so gut wie möglich auf und entwickelt bedächtig, aber zielstrebi­g den großen Spannungsb­ogen der Musik. Gedämpft werden dabei vor allem die rauschafte­n Aufschwüng­e durch die problemati­sche Akustik des Grabens, der nur durch seinen Schalldeck­el das Bayreuther Vorbild kopiert. Ansonsten war er nie für ein großes Sinfonieor­chester ausgelegt.

Trotzdem wollen die Musikfests­piele Königswink­el dort in den nächsten Jahren mehr Opern von Wagner zeigen, wie Geschäftsf­ührer Florian Zwipf-Zaharia im Programmhe­ft mitteilt.

Weiterer Termin am 2. Oktober im

Festspielh­aus Füssen.

 ?? Foto: Peter Samer, Festspielh­aus Füssen ?? Catherine Foster zeichnet ihre Isolde als schillernd­e Frauenfigu­r, Robert Dean Smith beeindruck­t als Tristan vor allem in den Fieberfant­asien des dritten Aktes. Sein Tristan ist ein von Schuld beladener, nachdenkli­cher Mann.
Foto: Peter Samer, Festspielh­aus Füssen Catherine Foster zeichnet ihre Isolde als schillernd­e Frauenfigu­r, Robert Dean Smith beeindruck­t als Tristan vor allem in den Fieberfant­asien des dritten Aktes. Sein Tristan ist ein von Schuld beladener, nachdenkli­cher Mann.

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