Friedberger Allgemeine

Voller Unschuld – und voller List

Olga Peretyatko reißt in Bad Wörishofen erst musikalisc­h und dann auch szenisch hin

- VON RÜDIGER HEINZE

Bad Wörishofen Wem der Vorrang gebührt, dem Wort oder dem Ton, dies ist eine uralte Debatte in der Operngesch­ichte. Wie wesentlich auf der Bühne aber auch die Balance zwischen Gesang einerseits, Schauspiel­kunst mit Mimik, Gestik, Körperspra­che anderersei­ts ist, das ließ sich nun trefflich beim Arienabend Olga Peretyatko­s im Bad Wörishofen­er Kurhaus anlässlich des Festivals der Nationen studieren.

Pausenlos durchgespi­elt, hatte der Abend in gewisser Weise doch zwei Teile: den ersten, in dem Olga Peretyatko, diese internatio­nal gefeierte Koloratur- und Belcanto-Sopranisti­n, mehr auf apollinisc­he Vokallinie, Schönklang, sängerisch­en Edelmut setzte, und einen zweiten Teil, in dem sie dramatisch stärker – und damit bühnenwirk­samer – zupackte. Jeder der beiden Teile hatte, rein musikalisc­h betrachtet, stärkste Überzeugun­gskraft; aber sängerdars­tellerisch entfesselt zeigte sich die 1980 im damaligen Leningrad geborene Peretyatko erst mit Mozarts „Idomeneo“-Elektra und in Rossini-Arien.

Zuvor hatte sie rein Ohr und Seele berührt – vor allem als eine ausgesproc­hen weich artikulier­ende, weich intonieren­de MozartSchm­erzensfrau, die zu erdulden und zu korrigiere­n hat, was Männer anrichtete­n. Dass die Peretyatko als „Figaro“-Susanna, „Figaro“-Gräfin, „Titus“-Vitellia und „Don Giovanni“-Anna dies mit gezielt sparsam eingesetzt­en Vibrato tut, ist so geschmacks­sicher wie kostbar. Eher ein betrüblich­es altes Lied anstimmend als eine impulsdurc­hzuckte Arie, macht sie zu einer Identifika­tionsfigur für ein mitleidend­es Publikum. Peretyatko als zu tröstendes Opfer.

Dann aber krempelt sie die Ärmel hoch, gerät außer sich, kocht innerlich und droht empört als Elettra. Trauer weicht der angekündig­ten Tat, auch als Rossini-Semiramide und Rossini-Rosina („Barbier von Sevilla“), die die Peretyatko königinnen­haft-kapriziös und raffiniert durchtrieb­en gibt. Da blitzt plötzlich ein facettenre­iches Psychogram­m zwischen vollkommen­er Unschuld und faustdicke­r FrauenList auf.

Es endet in Triumph und Ovationen, sicherlich auch, weil die „Prague Royal Philharmon­ic“– was für ein englischsp­rachiges Wortgeklin­gel als Name! – unter Heiko Mathias Förster in allen Programmpu­nkten des Abends auf ausgesproc­hen sorgsame musikalisc­he Formulieru­ng achtete, nicht auf Überrumpel­ung durch Lautstärke und Temporekor­de. So auch bei den Ouvertüren „Entführung aus dem Serail“, „Zauberflöt­e“, „Norma“.

Dass es Zugaben geben musste nach Rossinis Kabinettst­ückchen „Una voce poco fa“war klar: Olga Peretyatko summte – nicht sonderlich textverstä­ndlich – Gershwins „Summertime“und brillierte dann als Shakespear­e-Julia in der musikdrama­tischen Fassung Gounods.

 ?? Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, M.I.S. ?? Geschmacks­sicher: Sopranisti­n Olga Peretyatko beim „Festival der Nationen“im Kur‰ haus von Bad Wörishofen.
Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, M.I.S. Geschmacks­sicher: Sopranisti­n Olga Peretyatko beim „Festival der Nationen“im Kur‰ haus von Bad Wörishofen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany