Friedberger Allgemeine

Grüße der dribbelnde­n Schrankwan­d

Niklas Süle galt vor wenigen Wochen als Verkaufska­ndidat. Jetzt ist er Publikumsl­iebling und der Trainer sieht mehr in ihm als nur einen Defensivsp­ieler

- VON TILMANN MEHL

München Die Geschichte in den Angriff aufbrechen­der Abwehrspie­ler beim FC Bayern ist lang und ruhmreich. Einst machte sich ein junger Mann auf, der unter dem Namen „Kaiser“Bekannthei­t erlangte. Er schritt durch das Mittelfeld und spielte Doppelpäss­e mit einem, den sie klein und dick nannten – der aber die Zuspiele des Herrn Kaiser zu verwerten wusste wie kein anderer. Wenig später stürmte ein gelockter Hasardeur aus der Abwehr energisch über das Feld, in bürgerlich­en Kategorien wie Spielfeld-Positionen hat ein Paul Breitner nie gedacht. Letzter Vertreter der stürmenden Verteidige­r war ein Brasiliane­r, dessen Galoppaden selbst Ottmar Hitzfeld ein nervöses Zucken des Mundwinkel­s abtrotzten. Der Trainer erteilte Lucio zeitweise das Verbot, die Mittellini­e zu übertreten.

Neuestes Mitglied der Ahnengaler­ie: Niklas Süle. Kategorie: dribbelnde Schrankwan­d. Der Innenverte­idiger hat schon in der Vergangenh­eit den ein oder anderen überrasche­nden Übersteige­r gezeigt, nun aber hat er mit Julian Nagelsmann auch noch einen Trainer, der den Offensivge­ist Süles forciert. Vor dem Spiel gegen Dynamo Kiew, das die Münchner mühelos mit 5:0 gewannen, hatte er gesagt, er wünsche sich, dass Süle noch „mehr Einfluss auf das Offensivge­schehen“haben solle. Der 26-Jährige gehorchte und trieb den Ball bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t nach vorne. Die Fans honorierte­n die Bemühungen nach dem Spiel mit lauten und lang anhaltende­n „Süle“-Sprechchör­en.

Das Münchner Publikum gilt als äußerst wählerisch, wenn es um seine Lieblinge geht. Bastian Schweinste­iger feierten sie als „Fußballgot­t“, Franck Ribéry freute sich immer mal wieder, wenn sein Name skandiert wurde und Holger Badstuber konnte auch dann und wann seinen Namen durch die Arena schallen hören. Nun haben die Münchner scheinbar einen neuen Liebling. Vor wenigen Wochen galt Süle als potenziell­er Verkaufska­ndidat. Sein Vertrag läuft im kommenden Sommer aus, mit Dayot Upamecano, Benjamin Pavard, Lucas Hernandez und Tanguy Nianzou haben die Bayern vier weitere Innenverte­idiger im Kader. Doch Nagelsmann setzte auf Süle, er kennt ihn noch aus gemeinsame­n Hoffenheim­er Zeiten und mittlerwei­le steht ein Mann auf dem Feld, der eher an einen römischen Gladiator erinnert als an einen nicht ganz austrainie­rten Hochbegabt­en wie in den vergangene­n Spielzeite­n.

Neben Süle glänzte Leroy Sané als auffälligs­ter Spieler und wo ihn vor wenigen Wochen die Zuschauer noch auspfiffen, honorierte­n sie bereits in der sechsten Minute einen engagierte­n Sprint samt Ballgewinn mit anerkennen­dem Applaus. Dem Linksfuß misslang zwar auch manch’ Aktion, bevor er Serge Gnabry den Ball zum dritten Tor auflegte und das vierte mit einer abgerutsch­ten Flanke selbst erzielte – in dieser Bayern-Mannschaft aber werden Fehler schnellstm­öglich im Kollektiv ausgemerzt. Der 25-Jährige blickt mittlerwei­le gelassen auf die vergangene­n Probleme.„Das hat auf jeden Fall wehgetan. Das tut keinem gut, es gehört aber auch dazu. Ich habe keine gute Leistung gebracht und akzeptiere das. Ich bin froh, dass es jetzt wieder läuft.“

Weil es aber bei allen läuft, sind Gefahren für die Münchner derzeit kaum auszumache­n. Einzig das Bewusstsei­n, dass Erfolg vergänglic­h ist, darf der Konkurrenz Hoffnung machen. Vor etwa 2000 Jahren postierten die Römer hinter siegreiche­n Feldherren einen Sklaven, der ihnen ununterbro­chen ins Ohr flüsterte, dass doch auch sie nur Menschen seien und irgendwann gewiss auch mal sterben müssten. Als Erinnerung, dass der Erfolg nur geborgt ist. Heutzutage ist das die Aufgabe eines Trainers – als erster Diener des Vereins.

Bayern München Neuer – Süle, Upame‰ cano, Lucas Hernandez, Davies (69. Pa‰ vard) – Kimmich, Goretzka (79. Sabitzer) – Gnabry (69. Musiala), Th. Müller, L. Sané (79. Sarr) – Lewandowsk­i (79. Choupo‰ Moting) Dynamo Kiew Buschtscha­n – Tymtschik (46. Kedziora), Sabarny, Scha‰ banow, Mykolenko – Zygankow (70. Kara‰ wajew), Sidortschu­k, Andrijewsk­yi, De Pena – Garmasch (70. Suprjaga), Schapa‰ renko (46. Schepelew) – Zuschauer: 25000 Tore 1:0 Lewandowsk­i (12./Hand‰ elfmeter), 2:0 Lewandowsk­i (27.), 3:0 Gnabry (68.), 4:0 L. Sané (74.), 5:0 Chou‰ po‰Moting (87.) Schiedsric­hter: Guida (Italien)

 ?? Foto: Stefan Matzke ?? Die Fans feierten Niklas Süle nach dem Spiel mit Sprechchör­en. Der richtete seinem Trainer aus, dabei habe es sich ausschließ­lich um seine Frankfurte­r Verwandtsc­haft gehandelt.
Foto: Stefan Matzke Die Fans feierten Niklas Süle nach dem Spiel mit Sprechchör­en. Der richtete seinem Trainer aus, dabei habe es sich ausschließ­lich um seine Frankfurte­r Verwandtsc­haft gehandelt.

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