Zimmermann opfert sich
Rad-Profi hat als Helfer versucht, den deutschen Kapitän ganz vorne zu führen, was nicht gelang. Warum er sich dennoch freut
Als Nils Politt Georg Zimmermann den Auftrag zur Attacke gab, da war dem Neusäßer Radprofi schon fast klar, dass es dies nun war mit einer eingermaßen guten Platzierung für ihn bei der Straßenrad-Weltmeisterschaft in Flandern. Doch was der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft anordnet, wird von den Helfern ausgeführt. „Nils meinte, dass er das Rennen gerne schwer haben würde und ich jetzt losfahren sollte“, erzählt Zimmermann. Und so trat Zimmermann ungefähr nach 100 Kilometern an und verschärfte das Tempo für seinen Kapitän, um das Feld auseinanderzuziehen und vielleicht so den einen anderen Konkurrenten von Politt zu schwächen.
Zimmermanns Attacke dauerte nur ein paar Minuten, doch sie kostete auf dem schweren und mit vielen kleinen Anstiegen gespickten 268-Kilometer-Kurs Kraft.
Zu viel Kraft für Zimmermann. „Die Attacke war ein bisschen der Gnadenstoß für mich, weil ich mich davon nicht mehr richtig erholen konnte“, sagt der 23-Jährige. Zimmermann hatte sich geopfert. Zwar konnte er bis rund 70 Kilometer vor dem Ziel in Antwerpen weiter den deutschen Kapitän unterstützen, doch dann musste er abreisen lassen. Am Ende überquerte er mit über 17 Minuten Rückstand auf Sieger Julian Alaphilippe die Ziellinie.
Doch das spielte für Zimmermann keine so große Rolle an diesem Sonntag. Er hatte seine Arbeit mit dem zweiten Helfer Nikia Arndt getan. Sie hatten Politt, dem 27-jährigen Kölner, Windschatten gegeben wenn nötig, sie hatten ihn an den vielen kurzen Steigungen immer wieder im Feld ganz vorne positioniert, was auf den engen Straßen und den fast 200 Fahrern ein ständiger Kampf war, damit er nicht überrascht werden konnte, und sie hatten ihn immer wieder mit Verpflegung versorgt. „Wir hatten als Team ja die Aufgabe, Nils Politt zu unterstützen, und ich denke, das haben wir richtig gut gemacht. Wir hatten einen richtig guten Teamspirit“, zog Zimmermann Bilanz. Für ihn war es eine Ehre, zum zweiten Mal in Folge das deutsche Trikot bei einer Weltmeisterschaft tragen zu dürfen.
Als es aber Ernst wurde, war Politt alleine. Der Tour-Etappensieger hatte sich auf dem knallharten Kurs einiges ausgerechnet, es im Finale früh mit einer Attacke versucht und sich mit einer Gruppe abgesetzt. Doch die Ausreißer wurden gestellt, Politts Kraftreserven waren aufgebraucht. Gerade auf dem Kopfsteinpflaster, das er als Zweiter bei ParisRoubaix eigentlich so liebt, vergab er eine bessere Platzierung. „Er hat sich auf den Kopfsteinpflasterbergen nicht so gut gefühlt, zweimal wurde er abgehangen. Das ist man von ihm eigentlich nicht gewohnt“, war auch Zimmermann von der Schwächephase seines Kapitäns überrascht. Am Ende wurde Politt mit fünf Minuten Rückstand 16.
Seit 2011 wartet Deutschland auf eine Medaille. Die Enttäuschung war spürbar, dennoch hatte Zimmermann die WM im radsportverrückten Flandern, wo rund eine Million Zuschauer den Kurs säumten, in vollen Zügen genossen. „Ich bin noch nie vor so vielen Zuschauern gefahren, es war unglaublich. Es hat auf mich gewirkt, wie wenn man in Dortmund vor der Südtribüne spielt.“
Die Belgier waren durch Corona auch ausgehungert. Im Frühjahr, als die berühmten Ein-Tages-Klassiker im Land stattfanden, durften keine Fans an die Strecke. Jetzt kamen sie in Scharen. Besonders im kleinen Zielort Leuven, den das Peloton mehrmals auf dem Rundkurs durchquerte, machten die Belgier richtig Party. „Da wurde aus jeder Garage Bier ausgeschenkt, standen die Fernseher auf der Straße. Es war der Wahnsinn“, schwärmte Zimmermann. Die WM wäre durchaus ein krönendes Saisonfinale gewesen, doch für Zimmermann stehen noch zwei Rennen an.
Am 9. Oktober die LombardeiRundfahrt und jetzt am Sonntag der Münsterland-Giro, der in Enschede startet und über die Kreise Coesfeld und Borken zum Ziel in Nienberge, einem Stadtteil von Münster, führt. „Wir haben nicht so viele Rennen in Deutschland, darum freue ich mich sehr darauf“, sagt Zimmermann.