Friedberger Allgemeine

Die Verkörperu­ng der modernen Schauspiel­erin

Karla Andrä und Josef Holzhauser widmen ihren neuen Abend Carola Neher – einer großen Darsteller­in mit einem viel zu kurzen Leben. Ihre Recherche hielt auch eine große Überraschu­ng für sie persönlich bereit

- VON CLAUDIA KNIESS

Die Neher war eine umwerfende Schauspiel­erin. Falls es nicht sofort ähnlich klick macht, wie wenn man von „der Dietrich“liest, liegt das daran, dass Carola Nehers Leben und Karriere durch die beiden großen Diktaturen des 20. Jahrhunder­ts tragisch endete. Von umjubelten Auftritten in der Weimarer Republik bis zum Typhus-Tod im sowjetisch­en Gulag blieben nur wenige ihrer 42 Lebensjahr­e, um als Star auf der Bühne und im Film zu glänzen. Da sie während ihrer kurzen Karriere aber auch berühmte Literaten als Partnerin und Muse verzaubert­e, widmen Karla Andrä und Josef Holzhauser Carola Neher nun ihr neues Programm. Und neu ist beim literarisc­h-musikalisc­hen Duo „Text will Töne“einiges.

Wer als Dreikäseho­ch die erste Kinderthea­teraufführ­ung von Karla Andrä und Josef Holzhauser besucht hat, ist heute um die 30 – ein gutes Alter für Neues, auf Seiten des Publikums wie beim „FaksTheate­r“. Komplett neu ist es nicht, dass das Künstlerpa­ar auch Projekte für Erwachsene in die Augsburger Kulturland­schaft einpflegt: Bei Kunstnächt­en, Brechtfest­ivals und weit über die Stadt hinaus waren sie als „Text will Töne“unterwegs. Nun wollen sie ausschließ­lich für erwachsene­s Publikum auftreten und haben den Corona-Wirrwarr genutzt, um neue Freiheiten zu entdecken: 1. machen, wofür sie brennen, 2. Multimedia, 3. Klavier. „Wir hoffen, unsere Fans gehen da mit, und neues Publikum entdeckt uns“, wünscht sich Andrä.

Neher-Projekt liegt Karla Andrä aus vielerlei Gründen am Herzen, und wer sie begeistert erzählen hört und dann Carola Neher etwa als Polly Peachum in G.W. Pabsts „Dreigrosch­enoper“-Film anschaut, der ahnt warum: Beide Schauspiel­erinnen verbindet die wunderschö­ne, alterslose Aura einer Kindfrau, die sich nicht auf ihrer Ausstrahlu­ng ausruht, sondern mit Klugheit, Witz und performeri­scher Kreativitä­t das Publikum fesselt. Beider Stimmen sind sanft, aber mit Tiefe und Strahlkraf­t. Kein Wunder also, dass Andrä begeistert war, als sie 2014 gemeinsam mit Josef Holzhauser­s Tochter Anna eine Ausstellun­g über Carola Neher im Münchner Theatermus­eum besuchte – und Anna Holzhauser auf einem Foto von Nehers Enkelin die Tochter ihrer Klavierleh­rerin erkannte. Für Familie Andrä-Holzhauser der Anfang einer spannenden Recherche mit noch einer großen Überraschu­ng: Sie fanden heraus, dass Nehers Sohn Georg Becker 1974 aus der Sowjetunio­n nach Deutschlan­d ausgewande­rt und ausgerechn­et in Augsburg gelandet war, wo er als Dozent am Leopold-Mozart-Zentrum unterricht­ete. Unter seinen Studenten in Gehörbildu­ng: ein aufDas strebender junger Musiker namens Josef Holzhauser.

Georg Becker erfuhr erst spät, wer seine Eltern waren. Als Zweijährig­er kam er in Moskau in Pflegefami­lien und Waisenhäus­er, nachdem sein Vater Anatol Becker, Nehers Russisch-Lehrer, exekutiert und seine Mutter zu zehn Jahren Straflager verurteilt worden war, die sie nicht überlebte. Wie auch andere Künstler der Weimarer Republik, hatte Carola Neher in der kommunisti­schen Idee auf die Überwindun­g des Faschismus gehofft, stand Stalins Machtappar­at jedoch nicht unkritisch gegenüber und wurde als angebliche Trotzkisti­n denunziert. Text will Töne wollen auch wegen ihrer tragischen Biografie an Carola Neher erinnern, sie aber nicht als Opfer stilisiere­n, sondern als große Künstlerin feiern: Aus einer musischen Münchner Familie stammend, wollte Neher schon als Kind zum Theater, musste aber erstmal eine Banklehre machen. Aus der lief sie buchstäbli­ch davon ans Theater. Bertolt Brecht sah in ihr die Verkörperu­ng der modernen Schauspiel­erin, engagierte sie in Berlin vom Fleck weg für sein episches Theater und schrieb u.a. die „Heilige Johanna der Schlachthö­fe“für sie. Ein weitere großer Schriftste­ller der Weimarer Jahre, Alfred Henschke alias Klabund, verliebte sich rasend in Carola Neher und heiratete sie. Von ihm, der vier Jahre später an Tuberkulos­e starb, stammen viele für Neher geschriebe­ne oder von ihr inspiriert­e Gedichte und TheaterFig­uren. „Wir haben einen doppelten Schatz gehoben“, erzählt Karla Andrä, „neben Carola Neher haben wir auch Klabund, der in der deutschen Literatur gar nicht mehr so präsent ist, für uns neu entdeckt.“

„Kleiner Vogel Kukuli“heißt das Programm, das am Freitag, 1. Oktober, im Abraxas Premiere feiert nicht etwa doch wieder ein Kinderstüc­k, sondern Titel eines zärtlichen Klabund-Gedichtes an Neher. Weil Andrä und Holzhauser bei ihren Recherchen auch auf viel Bildmateri­al stießen, gibt es bei Text will Töne erstmals multimedia­le Clips einer Videokünst­lerin. Als drittes Novum wird Josef Holzhauser mit eigenen Kompositio­nen und Improvisat­ionen diesmal auch am Klavier zu hören sein: „Klavier war mein erstes Instrument, aber ich habe es bisher nie beruflich gespielt“, erzählt der Mann, den man sich kaum ohne Gitarre vorstellen kann. „Deshalb bin ich auch jetzt ganz frei und nutze die Tasten intuitiv, um Klänge zu den Texten oder Videos zu entwickeln. Ein bisschen fließt vielleicht der damalige Zeitgeist ein, aber auf moderne Art und ohne auf Stile festgelegt zu sein.“Eine Melange aus Lyrik, Drama, Musik und multimedia­ler Erinnerung­skultur erwartet das Publikum im Kulturhaus Abraxas. ⓘ

Weitere Aufführung­en am 3. Okto‰ ber und 21. November jeweils um 19 Uhr, außerdem am 24. Oktober der Goe‰ the‰Abend „Auch ich in Arkadien“. Kar‰ ten in der Bürgerinfo am Rathauspla­tz, der Buchhandlu­ng am Obstmarkt oder über reservix.de

Neher wurde als Trotzkisti­n denunziert

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Foto: Deborah Uhde Ein Carola‰Neher‰Programm haben Karla Andrä und Josef Holzhauser neu zusam‰ mengestell­t.

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